Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Kassandra:

Die kommentierte Presseschau zur bAV

 

Jeden Freitag – am heutigen Montag nachgeholt – bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: Die einzige Steuer, die wirklich bezahlt wird.

 

 

Süddeutsche (8. Juli): „Alle Arbeitnehmer sollen Betriebsrente angeboten bekommen.“

 

Die Münchner warten via dpa mit mehr Details auf zum derzeit laufenden Rentendialog in Berlin. Die Keywords, die hier fallen sind immer die gleichen: Opting-out, Zielrenten (Defined Ambition), Zuschüsse für Geringverdiener. Eben aus diesem Grund verzichtet LEITERbAV zumindest abseits der Presseschau darauf, jeden Diskussionsbeitrag, der in diesem Rentendialog fällt, pedantisch per eigener News nachzuvollziehen. Angesichts der imperativen Zwänge, unter denen die Reformbemühungen der bAV stehen, drehen sich die Diskussionen ohnehin in gewissem Kreise. Die Berichterstattung wird in diesem Forum dann einsetzen, wenn die Sache konkret wird. Bis dahin Presseschau.

 

 

 

Spiegel.de (7. Juli): „Altersversorgung: SPD-Linke will Rentenniveau auf 50 Prozent anheben.“

 

Hier fallen schon andere Keywords als oben, der Spiegel zitiert die SPD-Linken:

 

Die gesetzliche Rente muss den Lebensstandard sichern. Alle anderen Formen der Altersvorsorge, ob betrieblich oder privat, sind ergänzend sinnvoll, müssen aber hinter diesem Ziel zurückstehen.“

 

Interessant auch der von links in schöner Regelmäßigkeit vorgetragene Versuch, angeschlagene Sozialsysteme wie hier die gesetzliche Rente kurzfristig durch Verbreiterung der Beitragszahlerbasis zu stabilisieren:

 

Dazu sollen schrittweise Abgeordnete, Freiberufler, Selbständige und perspektivisch auch Beamte einbezogen werden.“

 

Abgeordnete und Beamte? Das allein ist schon Anlass genug für die Annahme, dass die Pläne im parteipolitischen Abfalleimer landen dürften; Krähe, andere Krähe, Auge und so… Sie wissen schon. Allerdings: Wenn der Bundestagswahlkampf 2017 mit harten Bandagen geführt wird – und danach sieht es glücklicherweise aus – dann kann man nie wissen.

 

 

 

Die Zeit (23. Juni): „Versprochen und gebrochen – Die Betriebsrenten werden schrumpfen. Lohnen sie sich überhaupt noch?“

 

Nicht nur die Überschrift des Zeit-Artikels kann man kritisch sehen. Erster Satz:

 

Das Loch ist riesig: 30 Milliarden Euro fehlen derzeit, um all die Pensionszusagen zu erfüllen, die deutsche Betriebe Mitarbeitern gegeben haben. Das hat die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen festgestellt.“

 

Nun, ob die Mittel wirklich „fehlen“, weil in dieser Höhe nicht gefundet ist, die Mittel daher im Unternehmen sind und dort arbeiten (und streng genommen einen höheren Return als an den Kapitalmärkten erzielen sollten) und daher also ein „riesiges Loch“ vorliegt – da dürfte so mancher auf unserem Parkett eine andere Meinung haben.

 

Gleichwohl: Was der Betrag sonst beschreibt – Kosten, Niedrigzins, insuffiziente Fördertatbestände in der bAV – stimmt. Leider.

 

 

 

Hamburger Abendblatt (6. Juli): „Wie sich die Lufthansa schließlich streikfrei gekauft hat.“

 

Was länge währt… Nun hat die Lufthansa endlich einen großen Schritt Richtung DC gemacht – für das Unternehmen, das sich mit seinem operativen Geschäft in einem äußerst wettbewerbsintensiven wie empfindlichen Markt befindet, möglicherweise einen überlebenswichtigen. Dies gilt erst recht angesichts der ursprünglichen Ambitioniertheit der Arbeitnehmerseite in dieser Sache. Immerhin schrieb die FAZ vor genau einem Jahr noch nicht weniger als:

 

„…die Lufthansa wird von ihren Pensionslasten erdrückt.“

 

 

 

tagesanzeiger.ch (6. Juli): „Sein Pensionskassen-Geld einfach vergessen.“

 

Schweiz: zu 625.000 Kontoinhabern keinen Kontakt, bis zu fünf Milliarden Franken herrenlose Guthaben aus der betrieblichen Vorsorge. Doch auch in Deutschland ist die bAV letztlich eine Holschuld – was kaum jedem Arbeitnehmer so bekannt sein dürfte und sich gar bis auf die Erhöhungen nach § 16 erstreckt.

 

 

 

 

OFF TOPIC – TO WHOM IT MAY CONCERN

Kassandra bei der Arbeit.
Kassandra bei der Arbeit.

 

FAZ (4. Juli): „Roms Zombiebanken.“

 

In schöner Regelmäßigkeit muss man in Europa Angst vor dem Asset Meltdown haben, und das nicht zu unrecht.

 

Muss man nun sich aber konkret um einem Ausfall einer oder mehrerer großer italiensicher Banken sorgen? Vermutlich nicht, dürfte das Feuer doch im Zweifel mit frischem Cash gelöscht werden, komme dieser nun aus der EZB-Notenpresse, der italienischen Notenpresse oder aus irgendwelchen Rettungsfonds. Ein paar Bilder weinender Rentner vor leeren Geldautomaten dürften reichen, alle EU-weit wohlfeil beschlossenen Regeln über den Haufen zu werfen. Vermutlich würde es im Falle eines Falles nicht mal in voller Konsequenz zu dem ordnungspolitisch eigentlich essentiellen Debt to Equity Swap kommen. Im Zweifel dürfte das Problem also erneut durch die Gemeinschaft der Steuerzahler sozialisiert werden.

 

Zu Recht erinnert FAZ-Herausgeber Holger Steltzner in diesem Zusammenhang an die Problematik der gemeinsamen Einlagensicherung.

 

Am Rande: Man wüsste schon gern mehr, um was es sich bei den 360 Milliarden Euro an toxischen Assets genau handelt, die die italienischen Banken derartig unter Druck setzen. Govies irgendwelcher Art können es nicht sein, denn die kauft ja die EZB, und ergo rentieren sie auf Rekordniveau. Ähnliches gilt im Wesentlichen für Corporates. Was ist es also? Kredite an italienische KMU? Dafür scheint die Summe zu groß.

 

Im übrigen wird auch diese sich nun mit Wucht zurückmeldende Bankenkrise Bedeutung haben für die Perspektive der Zinsentwicklung in Europa. Denn neben ihr sieht sich Europa mit der Griechenland- und Staatsschuldenkrise konfrontiert, mit wirtschaftlicher Stagnation und technologischem Rückfall in den EU-Südstaaten, mit militärischen Konflikten und Failed States in unmittelbarer Nähe der europäischen Peripherie (Libyen, Syrien, Ukraine), mit steigender Terrorgefahr und last but not least mit der Flüchtlingsfrage, die mit den gigantischen Summen, die sie erfordern wird, alles andere als beantwortet ist.

 

In dieser katastrophalen Gemengelage ist alles denkbar – außer, dass die EZB die Leitzinsen auch nur einen Jota erhöhen wird. Sie will es nicht, und sie könnte es auch gar nicht. Denn in dieser Situation den Entzug vom billigen Geld einzuleiten, würden Staatshaushalte, Finanzwirtschaft und Realwirtschaft in Europa schlicht nicht überleben.

 

 

 

Finanztreff.net (7. Juli): „EZB/Constancio: Staatshilfen für Banken könnten Stabilität bringen.“

 

Der Chronist vertritt seit dem Amtsantritt Mario Draghis als EZB-Chef die Auffassung, dass für diesen vordergründig für die immer perverser werdende Geldflut stets irgendein ordnungspolitisches Argument herhalten muss, das gar nicht geldpolitikfähig sein sollte – anfangs waren es die zu hohen Zinsen für die Krisenstaaten, dann die angeblich zu geringe Kreditvergabe der Banken, derzeit die zu geringe Inflation (während die Asset Inflation grassiert). Nein, das ist alles vorgeschoben. Draghi will auch nicht per QE der Politik (teure) Zeit kaufen, damit diese die Möglichkeit hätte, ihre Volkswirtschaften zu reformieren (was der ordnungspolitisch einzig vertretbare Sinn von QE wäre).

 

Des Italieners wahres Ziel ist, dass in den Krisenstaaten alles weiter geht wie bisher. Vor allem will er deren marode, überdimensionierte Bankstrukturen um jeden Preis am Leben erhalten und die Politiker dort von Reformdruck befreien. Die prekäre geostrategische Lage Europas erledigt den Rest in Sachen Niedrigzins (s. vorherigen Beitrag).

 

Hier nun lässt die EZB in Gestalt ihres Vizepräsidenten ein wenig die Maske fallen und bestätigt indirekt Kassandras These: Vitor Constancio spricht (wenig charmant für einen Notenbanker übrigens) von Aktienkursrückgängen, von einem angeblichen Marktversagen (von dem faktisch weit und breit nichts zu sehen ist) und schon von einem Nachdenken über eine Verletzung der erst gerade mühsam ausgehandelten Regeln zur Bankenunion.

 

 

 

FAZ (2. Juli): „Die Talente gehen – 400.000 Griechen wegen Finanzkrise ausgewandert.“

 

Auch wird Kassandra seit Jahr und Tag nicht müde, zu warnen, dass sich Griechenland in seiner Sucht nach dem nächsten Euro-Schuss, gepaart mit einem unbändig-reaktionären Willen, nichts zu verändern, selbst vom Globus wischt.

 

Zwar machen die vielen Rettungsmilliarden eine kleine, absahnende Oberkaste im Land unsterblich reich, doch verfestigen sie ansonsten nichts weiter als ein viel zu hohes Preisniveau ohne jeden realen Wohlstandseffekt für die Menschen. Durch die Rettungspolitik des billigen Transfergeldes wird Griechenland auf unabsehbare Zeit (man könnte praktisch sagen: für immer) von einem Abbau der Fehlallokationen und einer Entwicklung hin zu Industriegesellschaft des 21. Jahrhunderts – was für sich genommen schon ein Herkulesaufgabe wäre – abgehalten. Stattdessen wird das Land dauerhaft am Tropf der Geberländer hängen und sich über die kommenden Jahrzehnte von einer Insolvenzverschleppung zur nächsten hangeln.

 

Welcher Investor, der bei Trost ist, soll in einem solchen Land investieren? Welcher begabte Maschinenbaustudent, E-Techniker oder Jungunternehmer soll in einem solchen Land bleiben? Welchen Ausweg soll es aus dieser Sackgasse des immerwährenden „Weiter so“ jemals geben? Nein, dies ist das anspruchsvolle digitale Industriezeitalter, und ein Land, das wie Griechenland weiter am Tropf hängen will, verspielt seine ohnehin nicht leichte Zukunft – für nicht weniger als für immer. Das beweist auch dieser in dem FAZ-Beitrag vermeldete Brain Drain.

 

Griechenland hat verloren und verliert jeden Tag ein bisschen mehr: Souveränität, Zukunft, Menschen – alles, was ein funktionierendes Gemeinwesen ausmacht.

 

 

 

Spiegel.de (7. Juli): „Internet-Pranger: Griechenland veröffentlicht Liste der größten Steuersünder.“

 

Zum oben Gesagten passt auch diese Meldung, und Kassandra bleibt dabei: Die einzige Steuer, die in Griechenland über die Jahrhunderte wirklich stets und umfänglich bezahlt worden ist, ist die Inflation. Wer ernsthaft glaubt, das Land kurieren zu können, in dem er dort deutsche Governance-Strukturen einzuführen versucht, hat – abgesehen davon, dass die Qualität der deutschen Governance selbst einen andauernden Degenerationsprozess durchmacht – nichts verstanden.

 

 

 

FAZ (27. Juni): „Investitionsrückstand – 136 Milliarden Euro zu wenig.“

 

FAZ (30. Juni): „888 Milliarden – Sozialstaat wächst schneller als die Wirtschaft.“

 

Zu besagter deutscher Governance im 21. Jahrhundert – Verfallende Infrastruktur und explodierende Sozialausgaben: Die beiden Artikel illustrierten deutlich, in welchem Zustand sich dieses Land befindet. Es sei daran erinnert, dass dies die guten Zeiten für Deutschland sind: Rekordbeschäftigung, Rekordsteueraufkommen, rekordgünstige Refinanzierungsbedingungen, Rekordexportüberschüsse, Babyboomer noch in Arbeit et cetera. Wie soll es dann erst in den schlechten werden?

 

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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