Derzeit scheint sich die ambitionierte EU-Aufsichtsbehörde mit ihrem Vorstoß zu einem einheitlichen europäischen Altersvorsorgeprodukt auf die dritte Säule zu fokussieren. Doch das muss nicht so bleiben. Thomas Hagemann erläutert.

Wenn jemand ein „einfaches und innovatives privates Altersvorsorgeprodukt“ ankündigt, dann vermutet man in der Regel einen Produktanbieter. Tatsächlich aber findet sich diese Ankündigung in einer Pressemitteilung der Europäischen Kommission: „Kommission stellt Pläne für neues europaweites privates Altersvorsorgeprodukt vor, das den Verbrauchern beim Sparen für ihren Ruhestand helfen soll“. Bekannt ist dieses Produkt auch unter dem Namen PEPP, Pan European Personal Pension Product.
Was hat es mit diesem neuen Altersvorsorgeprodukt auf sich?
Zunächst: Es geht um die dritte Säule, also die private Altersvorsorge. Mit PEPP werden Rahmenbedingungen vorgegeben, unter denen beispielsweise Versicherer und Banken entsprechende Produkte auflegen und EU-weit vertreiben können. Diese sollen die bestehenden drei Säulen der Altersvorsorge in den Mitgliedstaaten ergänzen, aber nicht ersetzen.
Zu einem wichtigen Faktor für den Erfolg eines Altersvorsorgeproduktes hat die EU-Kommission allerdings keinen Zugang: die steuerliche Behandlung. So können die einzelnen Mitgliedstaaten lediglich ermuntert werden, die neuen Produkte ihren nationalen Produkten der privaten Altersversorgung steuerlich gleichzustellen. Aber vielleicht gelingt es der Kommission ja ‒ wie beim Arbeitsrecht der betrieblichen Altersversorgung durch die Mobilitätsrichtlinie ‒ mit der fadenscheinigen Begründung des Mobilitätshemmnisses für die Arbeitnehmer, die mal in dem einen und mal in dem anderen Mitgliedstaat arbeiten, die steuerliche Behandlung zu harmonisieren. Allerdings liegt der Anteil dieser Arbeitnehmer nur bei deutlich unter einem Prozent.
Was sind die wesentlichen Eigenschaften von PEPP?
Offenbar steht hier der Verbraucherschutz sehr stark im Vordergrund. Es gibt klare Vorgaben für die Information der Verbraucher. Bis zu fünf verschiedene Anlagemöglichkeiten stehen zur Auswahl, darunter eine mit niedrigem Risiko. Außerdem müssen verschiedene Auszahlungsmöglichkeiten vorgesehen werden, insbesondere Rente oder Kapital. Der Sparer hat eine Reihe von Wechselmöglichkeiten ohne oder mit begrenzten Kosten: Er kann alle fünf Jahre die Anlage ändern, alle fünf Jahre den Anbieter wechseln und das Vermögen in ein anderes EU-Land mitnehmen. Alle Kosten sind offenzulegen, und Beschwerden können einfach eingereicht werden. Genehmigt werden die Produkte – wie sollte es anders sein – durch die EIOPA.
Bei all der Transparenz und den Wahlmöglichkeiten, die die Verwaltung verkomplizieren, stellt sich die Frage, ob auch die Anbieter Freude an diesem Produkt haben. Nach Auffassung der EU-Kommission besteht hier kein Zweifel, denn die Anbieter können ein einheitliches Produkt EU-weit vermarkten und dadurch große Vermögenswerte zusammenführen.
Stellt sich noch die Frage: Brauchen wir ein solches Produkt?
Dass die EIOPA die Pläne begrüßt, ist nicht überraschend, sondern macht eher skeptisch. Jede Behörde wächst mit ihren Aufgaben, und Wachstum liegt durchaus im Eigeninteresse der EIOPA. Aus deutscher Sicht ist ein solches Produkt nach Ansicht des Autors nicht notwendig. Es gibt bereits ausreichende Produkte für die private Altersversorgung, die keine Wünsche offen lassen, aber die meisten Privatpersonen wegen ihrer Vielfalt und Komplexität überfordern. Da bringt ein zusätzliches EU-Produkt keine weiteren Vorteile.
Hinzu kommt, dass die Verbraucher Garantien wertschätzen, gleichzeitig aber vernünftige Renditen und damit eine Wertsicherung wünschen. Beides zusammen ist aber nicht möglich, auch PEPP ist da keine Lösung. An dem eigentlichen Problem, der Niedrigzinsphase, an der die EU ja nicht ganz unschuldig ist, ändert das Produkt gar nichts.
Bleibt das Argument, dass es in manchen Mitgliedstaaten der EU überhaupt kein ausreichendes Angebot an privaten Altersversorgungsprodukten gebe. Dieses Argument ist nicht nachvollziehbar. Wir bewegen uns in einem grenzüberschreitenden, also europäischen Markt. Wenn der Bedarf in einem Land wirklich so groß wäre, wie die europäische Kommission offenbar annimmt, dann hätten längst Anbieter aus dem europäischen Ausland ein bestehendes Produkt für das betreffende Land „fit“ gemacht, also im Wesentlichen „übersetzt“. Wir erinnern uns: Auch bei PEPP werden die steuerliche Behandlung und sonstige nationale Regelungen nicht harmonisiert.
Die EU-Kommission meint dennoch, dass der Bedarf ausreichend groß sei und dass Produktanbieter sich im Hinblick auf PEPP engagieren werden. Sie rechnet für 2030 mit einem Volumen von 2,1 Billionen Euro in privaten Altersversorgungsprodukten ‒ gegenüber 1,4 Billionen Euro ohne PEPP.
Immer wieder als Argument angeführt werden die wenigen Arbeitnehmer, die zwischen den Mitgliedsstaaten wechseln, doch auch für diese würde sich der Aufwand nicht lohnen. Das angestrebte Volumen jedenfalls lässt sich mit dieser Gruppe nicht erreichen.
Nun könnte man sagen: Lasst es uns doch einfach ausprobieren. Die Kommission selbst betont, dass die bestehenden nationalen Produkte weder ersetzt noch harmonisiert werden sollen. Allerdings ist zu befürchten, dass mit dem neuen Altersvorsorgeprodukt PEPP genau diese Türen geöffnet werden. Die EIOPA wäre nicht die EIOPA, wenn nicht im nächsten Schritt Vorschläge für eine Regulierung der nationalen Altersversorgungsprodukte zu erwarten wären. Das dürfte zunächst die privaten Altersvorsorgeprodukte betreffen. Es bleibt aber zu befürchten, dass EIOPA hier nicht Schluss macht.
Auf der EIOPA-Tagung am 18. Oktober 2016 in Frankfurt hat ihr Chef Gabriel Bernardino bereits den Bogen zur bAV gespannt: Der nächste Schritt ist aus seiner Sicht eine einheitliche Lösung für Beitragszusagen im Rahmen der bAV, also eine Art PEPP für die betriebliche Altersversorgung.
Bedauernswerterweise besteht kein Zweifel, dass EIOPA bei diesem Thema am Ball bleibt. Denn wie oben bereits angeführt: Die EIOPA wächst mit ihren Aufgaben.
Der Autor ist Chefaktuar der Mercer Deutschland GmbH.
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