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Gestern in Erfurt (II) – Intensivtäter vor Gericht:

Des Widerspenstigen Zähmung

Der 15-Prozent-Zuschuss stand gestern vor dem Bundesarbeitsgericht – und wurde prompt zurechtgestutzt, zumindest ein wenig. Möglicherweise hat das Gericht aber die Gelegenheit verstreichen lassen, umfassende Klarheit bei weiteren offenen, störenden Fragen zu schaffen, obwohl die Verfahren das hergegeben hätten.

 


Der seit seiner Genese berühmt-berüchtigte 15er-Zuschuss zur Entgeltumwandlung hatte sich gestern erstmalig und in gleich zwei Verfahren vor einem obersten deutschen Gericht zu verantworten. Und der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die hochkomplexe Reglung zumindest partiell in die Schranken gewiesen.


Kernsatz des Dritten Senats:

 

Wenn ein Tarifvertrag zur Altersversorgung aus dem Jahr 2008 einen Anspruch der Arbeitnehmer auf Entgeltumwandlung sowie Zusatzleistungen des Arbeitgebers zum umgewandelten Entgelt regelt, können die Arbeitnehmer wegen der gesetzlichen Übergangsbestimmung in § 26a BetrAVG bis zum 31. Dezember 2021 keinen weiteren Arbeitgeberzuschuss verlangen.“


Und – möglicherweise noch wichtiger – fährt der Senat fort:

Verweist ein Haustarifvertrag aus dem Jahre 2019 auf diesen Tarifvertrag, ist ein Anspruch auch über den 31. Dezember 2021 hinaus ausgeschlossen.“


Die Einzelheiten


Nochmal
zu der Entwicklung der beiden Fälle 3 AZR 361/21 und 3 AZR 362/21: In zwei Verfahren hatten die Parteien über die Verpflichtung der Arbeitgeberin, einen Arbeitgeberzuschuss von 15% des umgewandelten Entgelts nach § 1a Abs. 1a BetrAVG in den Jahren 2019 und 2020 zu zahlen, gestritten.


Dieser Anspruch ist 2018 bekanntlich quasi als „Beifang“ durch das BRSG 2018 eingeführt worden, wobei aber von der gesetzlichen Regelung durch Tarifvertrag auch zuungunsten der Arbeitnehmer abgewichen werden darf, § 19 Abs. 1 BetrAVG.


Beide Arbeitnehmer wandelten auf der Grundlage des Tarifvertrags zur Altersversorgung, der zwischen dem Landesverband Niedersachsen und Bremen der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie e.V. und der IG-Metall abgeschlossen worden war, Entgelt zu einem Pensionsfonds der MetallRente um.


Der Tarifvertrag eröffnet den Arbeitnehmern die Möglichkeit, Entgelt bis zur steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Höchstgrenze umzuwandeln. Der Arbeitgeber gewährt ihnen aufgrund des Tarifvertrags zusätzlich einen Altersvorsorgegrundbetrag iHd. 25-fachen Facharbeiterecklohns pro Kalenderjahr.


In einem der beiden verhandelten Fälle kommt der Tarifvertrag aufgrund beidseitiger Tarifbindung zur Anwendung, in dem anderen aufgrund eines normativ anwendbaren Haustarifvertrags aus dem Jahre 2019, der auf diesen Tarifvertrag verweist.


Die Entscheidungen


Wie in den Vorinstanzen hatten die Klagen vor dem Dritten Senat keinen Erfolg.


Der Senat hat dabei offengelassen, ob der Tarifvertrag zur Altersversorgung von 2008 von der Tariföffnung des § 19 Abs. 1 BetrAVG Gebrauch machen und den Anspruch der Arbeitnehmer modifizieren konnte, obwohl er VOR Inkrafttreten des BRSG abgeschlossen wurde. Denn: Da der Tarifvertrag einen Anspruch auf Entgeltumwandlung enthält und ausgestaltet, bildet er eine kollektivrechtliche Entgeltumwandlungsvereinbarung, die wegen § 26a BetrVG frühestens zum 1. Januar 2022 einen Anspruch der Arbeitnehmer auf den Arbeitgeberzuschuss auszulösen vermag. Damit ist eine durchaus wichtige Frage beantwortet, die bis dato offen war.

 

Bertram Zwanziger, Dritter Senat. Foto: BAG.

Bei dem Haustarifvertrag handelt es sich um eine kraft Gesetzes zugelassene Abweichung nach § 19 Abs. 1 BetrAVG. Das folgt daraus, dass dieser Tarifvertrag auf die von § 1a BetrAVG abweichenden Regelungen des Tarifvertrags zur Altersversorgung Bezug nimmt, die u.a. mit dem Altersversorgungsgrundbetrag eine von § 1a Abs. 1a BetrAVG abweichende Verteilung des wirtschaftlichen Nutzens und der Lasten der Entgeltumwandlung enthalten. Auch insofern nun Klarheit.


Ergebnis ist also, das LAG und BAG zu dem gleichen Urteil – Klagen abgewiesen – auf unterschiedlichen, gar entgegengesetzen Wegen gekommen sind. Das LAG Niedersachsen hatte sich in dem Urteil vom 31. Mai 2021 – 15 Sa 1096/20 B – darauf beschränkt, festzustellen, dass der tarifliche Altersvorsorgegrundbetrag auf den Arbeitgeberzuschuss anzurechnen ist – und da der Betrag den gesetzlichen Zuschusses überschreitet, jeder Anspruch des Klägers erfüllt ist. Das BAG wiederum hat festgestellt, dass der Tarifvertrag von 2008 Anwendung auch für neu eintretenden Arbeitnehmer und damit auch die Übergangsregelung Anwendung findet und so – vermutlich – die vom LAG beantwortete Frage deshalb nicht mehr beantworten müssen.


Gut ist, dass das oberste deutsche Arbeitsgericht der 15er-Regelung, die bestens geeignet ist, die bAV zum Hassobjekt in deutschen Personalabteilungen zu machen, etwas gezähmt hat. Es scheint aber, dass es die nicht minder wichtige Frage nach der Anrechnung „älterer“ AG-Zuschüsse dabei offenbar unbeantwortet lies. Allerdings könnte es sein, dass der o.a. Satz des Senats:

 

Verweist ein Haustarifvertrag aus dem Jahre 2019 auf diesen Tarifvertrag, ist ein Anspruch auch über den 31. Dezember 2021 hinaus ausgeschlossen.“


sich gerade darauf bezieht, dass vor dem BRSG vereinbarte AG-Zuschüsse der 15%-Anforderung genügen (weil das hier der Fall war, s. LAG)? Das lässt sich nach Ansicht der Redaktion aus der bisher erfolgten, kurzen BAG-Berichterstattung zu dem Urteil nicht sicher herauslesen. Um hier Klarheit zu erhalten, muss man wohl das Urteil abwarten. Jedenfalls ist zu hoffen, dass das Gericht die Gelegenheit genutzt hat, all diejenigen offenen Fragen zu dem Zuschuss zu klären, die ein Richterspruch bei den zugrundeliegen Verfahren erfassen kann. Denn da auch der Gesetzgeber keine Anstalten macht, dieser Aufgabe nachzukommen würde es anderenfalls im schlechtesten Fall wieder Jahre dauern, bis hier Rechtssicherheit herrscht.


Mehr zu dem zur heutigen Headline anregenden Kulturstück findet sich hier.

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