Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Die Steuerbilanz nach den Anpassungen im 253 HGB:

Der Staub der Jahrzehnte

Über die Notwendigkeit, auch die ertragsteuerliche Bewertung von Pensionsverpflichtungen im Paragrafen 6a EStG den veränderten Gegebenheiten anzupassen, schreibt André Geilenkothen.

 

André Geilenkothen, Aon Hewitt.

Nach knapp einem Jahr der Diskussion in Unternehmen, Verbänden und Politik ist ein erster – wenn auch zaghafter und an vielen Stellen unvollkommener – Schritt in die richtige Richtung getan worden:

 

Die Bundesregierung hat Ende Januar mit einem Vorschlag zur Anpassung des handelsbilanziellen Zinssatzes für die Bilanzierungen von Pensionsverpflichtungen endlich auf das andauernde Niedrigzinsumfeld reagiert. Am 26. Februar hat ein entsprechendes Gesetz auch den Bundesrat passiert und wird in Kürze mit der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt in Kraft treten.

 

Noch viel länger wird aber bereits die Notwendigkeit von Anpassungen auch in der ertragsteuerlichen Bewertung von Pensionsverpflichtungen diskutiert – bislang leider erfolglos. Zudem lassen aktuelle Aussagen erkennen, dass das Bundesministerium der Finanzen dieses Thema – anders als es zwischenzeitlich den Eindruck machte – nicht mehr weiterverfolgen will.

 

Darum soll an dieser Stelle noch einmal aufgezeigt werden, warum ein Frühjahrsputz zum Entstauben des Paragrafen 6a EStG dringend geboten ist, um endlich sachgerechtere Lösungen für ein verändertes bAV-Umfeld zu schaffen.

 

Von 3,5 auf 6 Prozent

 

Zunächst springt der Rechnungszins ins Auge – ein Zins von 6% ist bereits seit einiger Zeit, spätestens aber seit Inkrafttreten des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) im Jahr 2009 kein wirklich sachgerechter Bewertungsmaßstab mehr. In der handelsrechtlichen Bilanzierung müssen die Unternehmen mit deutlich niedrigeren Zinssätzen bewerten. Für viele bAV-Akteure mag der Zinssatz von 6% wie in Stein gemeißelt erscheinen – dies ist allerdings kein ehernes Gesetz, sondern erst seit 1982 so geregelt. Davor lag dieser Rechnungszins bei 5,5%, und zwischen 1955 und 1960 betrug er sogar nur 3,5% – ein Wert, der viel besser der heutigen Welt gerecht würde als 6%.

 

Zudem ist zu beachten, dass der Zins umso stärker seine Wirkung entfaltet, desto länger die Laufzeit der Verpflichtung ist. Und da die Verpflichtungslaufzeit der bAV in Deutschland durchaus eine hohe Streubreite aufweist, ist der Zins von 6% aktuell nicht nur unangemessen hoch, er führt auch zu erheblicher Steuerungerechtigkeit – vor allem für Unternehmen mit lang laufenden Verpflichtungen: Besteuert wird ein Gewinn, der tatsächlich gar nicht entstanden ist.

 

Die Fehlbewertung durch das Teilwertverfahren

 

Aber der Zins ist nicht die einzige angestaubte Stelle am Paragrafen 6a EStG – gerade auch das den Aufwand über die gesamte Dienstzeit gleichverteilende Bewertungsverfahren („Teilwert“) hat eklatante Schwächen, wenn es auf die heute üblichen „gestückelten Versorgungsbiografien“ stößt. Pensionsansprüche werden heutzutage eben nicht mehr durchweg gleichmäßig und zeitratierlich erworben, sondern setzen sich oft aus Besitzständen teils mehrerer Generationen und zusätzlichen neuen, beitragsorientierten Versorgungsbestandteilen zusammen. Auf variable – gegebenenfalls sogar erfolgsabhängige – Versorgungsbausteine oder die künftig wichtiger werdenden flexiblen Ruhestandsmodelle (zum Beispiel Teilrenten) hat der Paragraf 6a EStG aktuell keine Antworten parat. Vielmehr führt das Teilwertverfahren regelmäßig zu einer Fehlbewertung der tatsächlichen Verpflichtung – letztlich wird das Bewertungsverfahren somit zum Hemmnis für die Verbreitung von zukunftsweisenden bAV-Modellen. Eine Klarstellung, dass die Pensionsrückstellung gemäß Stichtagsprinzip mindestens die bereits erworbenen Anwartschaften reflektieren muss, könnte hier Abhilfe schaffen.

 

Auszahloptionen und Mindestalter überholen

 

Apropos Stichtagsprinzip: Auch die Berücksichtigung von Auszahlungsoptionen sollte klarer geregelt werden – geht das Stichtagsprinzip vor (und damit eine Bewertung mit einer Standardauszahlung wie zum Beispiel einem Einmalkapital), oder ist entsprechend der anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik die wahrscheinliche Inanspruchnahme verschiedener Varianten zu berücksichtigen?

 

Daneben erscheint auch das Mindestalter, ab dem frühestens mit einer Anfinanzierung von ertragsteuerlichen Rückstellungen begonnen wird, mehr als überholt – sollte es früher eine pauschale Berücksichtigung von Fluktuationseffekten ermöglichen, verhindert es in Zeiten immer kürzer werdender Unverfallbarkeitsfristen (bald nur noch drei Jahre) Rückstellungen für bestehende Verpflichtungen. Eine Fluktuationsberücksichtigung im versicherungsmathematischen Bewertungsmodell (analog zur Handelsbilanz) wäre deutlich sachgerechter.

 

Überholtes Nachholverbot

 

Auch das Nachholverbot im Paragrafen 6a IV EStG ist nicht mehr zeitgemäß, seit es eine Passivierungspflicht gibt (und die gibt es immerhin auch schon eine ganze Weile, nämlich für alle Zusagen ab 1987) und die noch einem Passivierungswahlrecht unterliegenden Verpflichtungen (von vor 1987) bereits zu nahezu 100% passiviert werden. Somit haben sich diese Regelungen überholt und entfalten eigentlich nur noch Wirkung bei (unbeabsichtigten) Fehlern, beschäftigen aber mit kleinteiliger und wenig bedeutsamer Arbeit dennoch Steuerabteilungen, Berater und Betriebsprüfer gleichermaßen.

 

In diesem Sinne: Ein Frühjahrsputz im Paragrafen 6a EStG tut mehr als Not – um den Staub mehrerer Jahrzehnte zu entfernen.

 

Der Autor ist Principal bei Aon Hewitt in Mülheim an der Ruhr.

 

Von ihm und anderen Autoren erschienen bereits als Kommentare zur bAV-Reformdebatte auf LEITERbAV:

Kein dritter Schuss“

von Bernhard Wiesner, seinerzeit Senior VP Corporate Pensions der Bosch Gruppe, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung und Mitglied des bAV-Ausschusses der BDA, 30. Oktober 2014.

 

Paradigmenwechsel mit Folgen“

von Markus Klinger, Leiter des Fachkreises „betriebliche Altersversorgung und Lebensversicherung“ in der Vereinigung der Versicherungs-Betriebswirte e.V. VVB, 23. Februar 2015.

 

Stunde der Wahrheit“

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 26. Februar 2015.

 

Evolution oder Revolution?“

von Klaus Mössle, Leiter des institutionellen Geschäfts bei Fidelity Worldwide Investment in Deutschland, 12. März 2015.

 

bAV in der Breite voranbringen”

von Peter Schwark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV), 5. März 2015.

 

Falsche Furcht vor dem Kahlschlag. Oder: Warum der VFPK irrt.“

von LbAV-Autor Detlef Pohl, 1. Juni 2015.

 

Warum nicht die Rosinen picken?“

von Marco Arteaga, Rechtsanwalt und Partner bei DLA Piper in Frankfurt am Main, 19. Oktober 2015.

 

Es könnte so einfach sein…

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 19. Februar 2016.

 

Der Staub der Jahrzehnte“

von André Geilenkothen, Principal bei Aon Hewitt in Mülheim an der Ruhr, 14. März 2016.

 

Weiße Salbe und totes Pferd“

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 4. April 2016.

 

Entgeltumwandlung 2.0: Insolvenzschutz einmal anders“

von Cornelia Rütters, Juristin, und Andreas Fritz, Vorstand der Pensionskasse für die Deutsche Wirtschaft VVaG, Duisburg, 18. August 2016.

 

Wenn der Fahnenträger wankt“

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 10. Oktober 2016.

 

 

 

Hinzu treten die Kommentare, die LbAV-Chefredakteur Pascal Bazzazi zu dem Thema verfasst hat:

Nicht, dass wir am Ende blank dastehen“, 8. Mai 2014.

The Great Game“, 18. November 2014.

The Great Game (II)“, 11. Mai 2015.

 

 

Von Geilenkothen beziehungsweise anderen Autorinnen und Autoren der Aon erschienen zwischenzeitlich auf LEITERbAV:

 

Erfurt bringt Licht ins Dunkel der Invaliditätsversorgung:
Die Ausnahme ist nicht die Regel
von Roland Horbrügger und Alexandra Steffens, 14. Februar 2024

Anpassungsprüfung und Rententrends:
Die Anpassung hat Methode
Jan Andersen und Dr. Christian Rasch, 5. Dezember 2023

aba-Pensionskassentagung (III):
Abwarten …
von Andreas Kopf, Rainer Goldbach und Bianca Ermer, 13. November 2023

aba-Pensionskassentagung (II):
Funding for nothing?
von Bianca Ermer, Rainer Goldbach und Andreas Kopf, 6. November 2023

aba-Forum Arbeitsrecht 2023 (II):
Lieber beim Index bleiben
von Jan Andersen und Roland Horbrügger, 17. August 2023

aba-Forum Arbeitsrecht 2023 (I):
Der Ruf nach dem Gesetzgeber ...
von Roland Horbrügger und Jan Andersen, 10. August 2023

Neulich in München – mit Blick nach Erfurt:
Leitplanken Made in Erfurt
von Florian Große-Allermann und Roland Horbrügger, 17. April 2023

aba-Pensionskassentagung (III):
Mucksmäuschenstill ...
von Tanja Grunert und Ingo Budinger, 18. November 2022

aba-Pensionskassentagung (II):
Von Staatsfonds und Stresstest ...
von Andreas Kopf und Rainer Goldbach, 14. November 2022

Entgeltumwandlung und Arbeitsvetrag:
Stay in statt Opting out
von Jan Andersen und Roland Horbrügger, 26. August 2022

aba-Forum Arbeitsrecht 2022 (II):
Wie weit lässt sich die Tür öffnen …
von Roland Horbrügger und Carsten Hölscher, 4. April 2022

aba-Forum Arbeitsrecht 2022 (I):
Gewisse Skepsis, weniger Strenge
von Carsten Hölscher und Roland Horbrügger, 21. März 2022

aba-Pensionskassentagung (II):
Von 3V, VAIT und Großer Koalition
von Matthias Lang, Andreas Kopf und Ingo Budinger, 11. November 2021.

aba-Pensionskassentagung (I):
Zwischen zweifelhaft, nicht durchdacht und Kannibalen
von Ingo Budinger, Andreas Kopf und Matthias Lang, 8. November 2021.

aba-Forum Arbeitsrecht 2021:
Die Operation am offenen Herzen …
von Carsten Hölscher, Alexandra Steffens und Roland Horbrügger, 30. April 2021.

Deutschland im Herbst – aba-Pensionskassentagung (III):
Bier ist bAV…
von Detlef Coßmann, Jan Andersen und Matthias Lang, 6. November 2020.

Deutschland im Herbst – aba-Pensionskassentagung (II):
How to do Insolvenzschutz?
von Detlef Coßmann, Jan Andersen und Matthias Lang, 3. November 2020.

Deutschland im Herbst – aba-Pensionskassentagung (I):
Das ist nicht hausgemacht“
von Detlef Coßmann, Jan Andersen und Matthias Lang, 2. November 2020.

Digitale Rentenübersicht:
Auf dem richtigen Weg
von Gundula Dietrich und Dr. André Geilenkothen, 14. September 2020

Die EbAV-Regulierung schreitet voran:
Von SIPP und EGA
von Wolfram Roddewig, 8. Juni 2020

Aon EbAV-Konferenz 2019:
Von MaGo, ORA, SIPP und mehr...
von Detlef Coßmann, München, 6. Januar 2020

Im September in Köln (III) – aba-Mathetagung 2019:
Weniger als Null wird es nicht
von Björn Ricken und Dr. André Geilenkothen, Köln, 27. November 2019

Im September in Köln (II) – aba-Mathetagung 2019:
Ein flüchtiges Wesen namens Zins
von Björn Ricken und Dr. André Geilenkothen, Köln, 20. November 2019

aba-Forum Arbeitsrecht:
Von klein-klein, Textform, Vernachlässigung und mehr…
von Thomas Obenberger, Christine Gessner und Sophia Alfen, München; Mannheim, 30. April 2019

aba-Mathetagung:
Mathe fast schon magisch
von Dr. André Geilenkothen, Mülheim an der Ruhr, 18. Dezember 2018

Auch das noch (II):
Informationsbedürfnis versus zumutbare Beratung
von Gregor Hellkamp und Aida Saip, Mülheim an der Ruhr und München, 11. Dezember 2018

aba-Fachforum Arbeitsrecht:
Auf den Punkt gebracht!
von Carsten Hölscher, Mannheim, 30. Mai 2018

EIOPA Stresstest 2017 (III):
Von Bären und Diensten
von Dr. Georg Thurnes, München, 21. Dezember 2017

aba-Tagung Mathematische Sachverständige (II):
Von Chancen und Hybriden. Von HFA 30 und vier Vaus.
von Dr. André Geilenkothen, Mannheim, 27. Oktober 2017

aba-Tagung Mathematische Sachverständige (I):
Von Rätseln und Mega-Themen.Von Püfferlis und Evergreens.
von Dr. André Geilenkothen, Mannheim, 26. Oktober 2017

aba-Forum Arbeitsrecht:
Teilentschärfung
von Carsten Hölscher, Mannheim, 5. Mai 2017

BGH zu VBL-Startgutschriften für Rentenferne:
Nicht pauschal abziehen!
von Andreas Kasper, München, 8. Juni 2016

Die Steuerbilanz nach den Anpassungen im 253 HGB:
Der Staub der Jahrzehnte
von Dr. André Geilenkothen, Mülheim an der Ruhr, 14. März 2016

Vorlage der EIOPA-Stresstest-Ergebnisse (III):
Von Löchern und Lücken
von Dr. Georg Thurnes, München, 11. Februar 2016

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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