Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

79. aba-Jahrestagung (I):

Der Ministerin Zuversicht

Die aba-Jahrestagung ganz im Zeichen des Sozialpartnermodells: Gestern Vormittag bezog die Arbeitsministerin persönlich kurz und knackig Stellung zur Lage der Reform. Von einer endgültigen Einigung bei strittigen Punkten kann dabei noch keine Rede sein. Für LEITERbAV berichtet Detlef Pohl.

 

Gestern in Berlin: Beginn der diesjährigen Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft, Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) wirbt persönlich für ihr Sozialpartnermodell. Sechs Wochen nach den Statements ihrer Staatssekretärin Yasmin Fahimi auf der 18. bAV-Handelsblatt-Tagung steht immer noch die damals ausgesprochene Drohung im Raum, dass ein Scheitern des BRSG „entweder einerseits ein Obligatorium oder andererseits die Abschaffung der bAV und stattdessen nur die Stärkung der ersten Säule“ bringe – und einen Rentenwahlkampf obendrein. Umso größer waren die Erwartungen an die Rede der Ministerin.

 

Andrea Nahles, hier vor Ihrer Rede auf der aba-Jahrestagung im Mai 2015 in Berlin. Foto: Bruess

Nahles versprühte in ihrem nur viertelstündigen Vortrag zur bAV-Reform viel Charme und wirkte abgeklärt, fast so, als sei das Gesetz schon verabschiedet. Ist es natürlich nicht, aber „im Kabinett ist es auch wegen großer Einigkeit mit Finanzminister Wolfgang Schäuble weitgehend durch“, liege jetzt im Bundestag und müsse auch noch durch den Bundesrat, erläuterte Nahles den Stand der Dinge. Recht sicher gab sie sich trotz der jüngsten Verzögerungen, dass der Gesetzentwurf diese beiden Hürden nehmen wird: „Ich bin zuversichtlich, dass das BRSG kommt“. Damit seien nach Flexirente und Fortschritten bei der Erwerbsminderungsabsicherung in der ersten Säule mit dem verbesserten Rahmen in der zweiten Säule gute Ergebnisse der Legislative zur Alterssicherung hervorgebracht.

 

 

Kapitaldeckung in der zweiten Säule ausdrücklich erwünscht

 

Um das Rentenniveau zukunftsfähig und demografiefest zu gestalten, „macht es Sinn, eine kapitalgedeckte Altersversorgung oben draufzusetzen“, sagte Nahles. Bisher gebe es schon 20,4 Millionen Anwartschaften auf Betriebsrenten in Deutschland, aber auch noch Nachholebedarf. „Viele wissen um ihre Lücken, tun aber noch nichts dagegen“, klagte die Ministerin und lobte zugleich das mit dem BRSG angedachte Bündnis von Staat, Arbeitgebern und Beschäftigten, das man „einfach nicht ablehnen kann“. Der Rentendialog habe gezeigt, dass zwar 60 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bAV-Ansprüche besitzen, aber nicht selten in zu geringer Höhe. Die Hälfte der Beschäftigten mit weniger als 1.500 Euro Bruttoeinkommen „sorgt weder betrieblich noch privat zusätzlich für das Alter vor“. Nicht zufällig sollte laut Koalitionsvertrag gerade in dieser Zielgruppe die bAV stärker verbreitet werden, erinnerte Nahles.

 

 

Starker Gegenwind aus München

 

Trotz ihrer Zuversicht bezüglich des parlamentarischen Verfahrens ließ Nahles es sich nicht nehmen, auch die Knackpunkte zu benennen. Zumindest regional machte sie dabei aus ihrem Herzen keine Mördergrube: Auf der Zielgeraden der Gesetzgebung „gibt es besonders starken Gegenwind aus München“, sagte sie in ihrem Vortrag. Ob damit die CSU gemeint war, denen kirchliche Kreise wegen Aufweichung der Tarifexklusivität in den Ohren liegen sollen, oder die Allianz, die dem Vernehmen nach das Garantieverbot aufweichen möchte, oder beide, ließ sie offen.

 

 

Freiwilligkeit vor Zwang

 

Auch auf die Skepsis, ob das Sozialpartnermodell überhaupt zu mehr bAV-Verbreitung unter den oft nicht tariflich organisierten KMU führen könne, ohne dabei den freiwilligen Rahmen zu verlassen, ging Nahles ein. „Natürlich kann man über ein Pflichtsystem nachdenken, aber aus bekannten Gründen fand sich bisher dafür keine Mehrheit“, argumentierte die Ministerin und erntete Applaus. „Wenn man die Freiwilligkeit stärken will, muss man die politischen Rahmenbedingungen verbessern, was wir mit dem Gesetzentwurf getan haben“, sagte Nahles. Sie erinnerte in diesem Zusammenhang an Maßnahmen, „die noch vor zwei Jahren völlig undenkbar schienen“, etwa die künftig verdoppelte steuerliche Dotierung der Förderung („zielgenau konzipiert“) und die Beseitigung der Doppelverbeitragung bei der Riester-bAV („nach hartem Ringen mit dem Gesundheitsminister“). „Noch mehr wäre noch besser, doch ich bin nicht die einzige Ministerin, die Herrn Schäuble auf Geld anspricht“, nahm Nahles Kritikern den Wind aus den Segeln.

 

 

Schlaflos in Berlin


Weitgehend in der Öffentlichkeit unbekannt oder doch zumindest stark unterschätzt werde laut Nahles jedoch ein ganz anderer Punkt im BRSG: Die Einführung eines Freibetrages bei der Anrechnung der bAV auf eine mögliche Inanspruchnahme von Grundsicherung im Alter von rund 200 Euro pro Monat. Dies sei ein Meilenstein, „der mich mehrere schlaflose Nächte gekostet hat“, räumte Nahles ein. Hintergrund: Der Freibetrag stellt einen Systembruch zu anderen Einkommensquellen dar, die schlechter behandelt werden. „Freibeträge haben die Tendenz, dass alle sie dann am Ende wollen, und das geht eben nicht“, so Nahles zu der zugrundeliegenden Problematik. Den Systembruch habe sie aber hingenommen, „weil wir auch den Leuten mit geringem Einkommen sagen wollten: Egal, wie die Erwerbsbiografie verläuft, es lohnt sich in jedem Fall, betrieblich vorzusorgen“. Mit Beseitigung der vollen bAV-Anrechnung auf die Grundsicherung werde eine der größten Hürden bei der bAV-Verbreitung genommen.

 

 

Garantieverzicht ist der Grund-Deal

 

Mit Blick auf die fehlende Vorstellungskraft in München zum Thema Garantieverzicht im Sozialpartnermodell hielt Nahles dem grundsätzlich entgegen: „Auch die Bedingungen im Arbeitsrecht haben wir auf den Prüfstand gestellt und dabei die Haftung der Arbeitgeber entschärft.“ Dabei habe die Nachschusspflicht ebenso gestört wie Leistungsgarantien, denn in einer anhaltenden Niedrigzinsphase kämen sonst „höchst unattraktive Ergebnisse“ zustande. Die Haftung könne man nicht auflösen ohne Garantieverzicht, sonst kippe das ganze Modell, „weil das der Grund-Deal ist“. Die bAV bewahre damit ihren Kern:

 

Der Arbeitgeber behält die Verantwortung für die Betriebsrente durch den Tarifvertrag und durch die Mitwirkung an der Versorgungseinrichtung“, betonte Nahles. „Der Arbeitgeber gewinnt, die Betriebsrente gewinnt, und wir bleiben bei der freiwilligen Basis“, warb die Ministerin. Die Sozialpartner seien in der Steuerung der neuen bAV unverzichtbar. So hätten letztlich auch die Gewerkschaften eingesehen, dass Zielrenten am Ende durchaus lukrativer sein können als teure Garantien.

 

Der Garantieverzicht ist etwas fundamental Neues in Deutschland, aber anderswo längst aus denselben Gründen Usus“, so das positive Fazit der Ministerin. Natürlich sei die Tarifpartnerrente „keine Wunderwaffe, die zu flächendeckender Verbreitung der bAV führt“, relativierte sie, aber ein Instrument zur Umsetzung des Ziels und dabei ein „großes Gesetz“. Auf die Nachfrage von aba-Chef Heribert Karch (der gestern im Amt bestätigt worden ist), ob Nahles nun künftig die Tarifpartner notfalls persönlich in die Pflicht nehmen wolle, damit das BRSG ein Erfolg werde, meinte die Ministerin mit einem Augenzwinkern: „Wie Sie wissen, sind die Tarifpartner in den Verhandlungen völlig unabhängig.“

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

© Pascal Bazzazi – LEITERbAV – Die auf LEITERbAV veröffentlichten Inhalte und Werke unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Keine Nutzung, Veränderung, Vervielfältigung oder Veröffentlichung (auch auszugsweise, auch in Pressespiegeln) außerhalb der Grenzen des Urheberrechts für eigene oder fremde Zwecke ohne vorherige schriftliche Genehmigung. Die Inhalte einschließlich der über Links gelieferten Inhalte stellen keinerlei Beratung dar, insbesondere keine Rechtsberatung, keine Steuerberatung und keine Anlageberatung. Alle Meinungsäußerungen geben ausschließlich die Meinung des verfassenden Redakteurs, freien Mitarbeiters oder externen Autors wieder.