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Gestern in Erfurt:

De-Risking vor dem Richter

Zwischen Verwirkung und Limitierung: Gleich zwei Mal musste gestern der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts ran. In beiden Fällen wollten Arbeitgeber ihre Belastungen aus der bAV begrenzen – einmal in der privaten Wirtschaft, einmal im öffentlichen Dienst. Der eine gewann, der andere verlor.

 

Hier jeweils der BAG-Tenor der beiden Fälle:

 

Bertram Zwanziger, Dritter Senat. Foto: BAG.

1.) Dem Anspruch eines Versorgungsempfängers auf richtige Berechnung seiner Ausgangsrente auf der Grundlage einer Betriebsvereinbarung – und damit die Überprüfung der Wirksamkeit einer Ablösung einer früheren, günstigeren Versorgungsordnung – kann der Einwand der Verwirkung aus § 242 BGB nicht entgegengehalten werden.

 

2.) Liegt ein Fall der planmäßigen Überversorgung vor, können im öffentlichen Dienst die Anforderungen der sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung die Anpassung von Versorgungsregelungen, wie etwa die Einführung einer sog. Nettolimitierung, rechtfertigen. Die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit können die Änderung einer Anpassungsregelung stützen.

 

Zu den beiden Fällen im Einzelnen:

 

 

In der bAV verwirkt nichts so einfach

 

Der Fall 3 AZR 246/20, wie der Dritte Senat ihn schildert:

 

Der Kläger war seit 1955 bei der Beklagten beschäftigt. Die bAV war dort war seit 1979 durch eine Betriebsvereinbarung (BV 1979) geregelt. Diese wurde Anfang 1988 durch eine BV 1988 geändert. Dabei wurde jedes Dienstjahr der ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit nach Inkrafttreten der BV 1988 mit 0,2% des Arbeitseinkommens bewertet – statt wie zuvor nach der BV 1979 mit 0,4%. Der Kläger schied Ende 2003 aus aus und bezieht seit 2004 die Betriebsrente von der Beklagten.

 

Nun verlangte der Kläger die Zahlung einer höheren Ausgangsbetriebsrente. Die Halbierung der künftigen Steigerungsbeträge durch die BV 1988 sei mangels sachlich-proportionaler Gründe unzulässig. Die Beklagte verwies demgegenüber u.a. auf ihre damalige wirtschaftliche Lage und hält dem Begehren des Klägers nach einer Neuberechnung seiner Ausgangsrente den Einwand der Verwirkung entgegen. Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Das LAG hatte die Berufung insoweit zurückgewiesen.

 

Die vom BAG eingeschränkt auf eine um gut 119 Euro brutto höhere Ausgangsrente zugelassene Revision des Klägers hatte vor dem Dritten Senat Erfolg und führte zur Zurückverweisung der Sache an das LAG. Entgegen der Vorinstanzen ist der Anspruch des Klägers auf Berechnung seiner Ausgangsrente und damit die Überprüfung der Wirksamkeit der Ablösung der BV 1979 durch die BV 1988 nicht aus dem aus § 242 BGB abgeleiteten Grundsatz der Verwirkung ausgeschlossen. Der Kläger verfolgt ein Recht, dass durch eine Betriebsvereinbarung eingeräumt wurde. Dieses ist von Gesetzes wegen nach § 77 Abs. 4 Satz 3 BetrVG dem Einwand der Verwirkung entzogen.

 

Ob die Klage begründet ist, konnte der Senat auf der Grundlage der Feststellungen des LAG allerdings nicht entscheiden. Das LAG hatte zu den von der Beklagten vorgebrachten Gründen für die Ablösung der früheren Betriebsvereinbarung keine Feststellungen getroffen. Dies wird es im fortgesetzten Berufungsverfahren nachzuholen haben, gab der Senat als Hausaufgabe mit auf den Weg.

 

Vorinstanz: LAG Saarland, Urteil 1 Sa 1/19 vom 13. November 2019.

 

Wenn der Arbeitnehmer die Überversorgung nicht preisgeben will

 

Dienstsitz des BAG in Erfurt. Foto: BAG.

Hier der zweite, sehr detailreiche gestern in Erfurt verhandelte Fall 3 AZR 410/19, wie der Dritte Senat ihn schildert:

 

Dem Kläger hatte von seinem früheren Arbeitgeber – einer Handelskammer – eine bAV in Form einer Gesamtzusage (VO I) erhalten. 1995 wurde die VO I überarbeitet (VO I 1995) und für Neueintritte geschlossen.

 

Zugesagt war hiernach eine Gesamtversorgung iHv. max. 75% des zuletzt bezogenen Bruttogehalts unter Anrechnung der gesetzlichen Rente. Im Versorgungsfall wurde der Gesamtversorgungsbetrag jeweils entsprechend der Erhöhung der Tarifgehälter aufgrund betrieblicher Übung angepasst.

 

Seit 1991 lag – bei einer Bruttoversorgung von 75% bezogen auf einen Durchschnittsverdienst – eine Überversorgung iHv. 107,4% vor, in den Jahren 1995 und 2015 iHv. 113,1%.

 

Zum Abbau der Überversorgung schloss die Arbeitgeberin 2017 mit ihrem Personalrat eine Dienstvereinbarung (DV 2017). Hierdurch wurde für die Versorgungsempfänger eine sog. Nettolimitierung eingeführt. Um eine Reduzierung des bisher gezahlten Ruhegeldes zu vermeiden, ist ein Ausgleichsbetrag vorgesehen. Gleichzeitig wurde die Anpassung der laufenden Ruhegelder dahin geändert, dass keine Anpassung der Gesamtversorgung an die Tarifentwicklung mehr erfolgt, sondern nur noch des gezahlten Ruhegeldes. Die Rentensteigerungen in der gRV werden nicht mehr angerechnet. Der Ausgleichsbetrag, der an der Tarifsteigerung ebenfalls nicht teilhat, wird über einen Zeitraum von in der Regel 10 Jahren abgeschmolzen.

 

Für den Kläger bedeutet dies, dass sich das zuletzt gezahlte Ruhegeld tatsächlich nicht vermindert hat, ihm allerdings im Vergleich zur Rechtslage nach der VO I 1995 ab dem 1. April 2017 Steigerungen seines Ruhegeldes entgangen sind.

 

Der Kläger begehrte mit seiner Klage ein Altersruhegeld nach den bisherigen Regelungen der VO I 1995. Die Ablösung der VO I 1995 und der Anpassung durch die DV 2017 sei ihm gegenüber nicht wirksam erfolgt.

 

Das ArbG hatte die Klage abgewiesen, das LAG ihr dagegen stattgegeben.

 

Die Revision der Beklagten hatte vor dem Dritten Senat Erfolg. Die DV 2017, die die Beklagte gegenüber dem Kläger als Ruhegeldempfänger auch bei einer ggf. vorliegenden Teilunwirksamkeit wegen Überschreitung der Regelungsmacht der Dienstvereinbarungsparteien umsetzen konnte, war geeignet, die VO I 1995 und die auf betrieblicher Übung beruhende Anpassungsregelung abzulösen. Die damit verbundenen Eingriffe hielten einer rechtlichen Überprüfung stand. Sie konnten auf das gesetzliche Gebot der sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung des öffentlichen Dienstes bzw. die Ablösungsoffenheit der Versorgungsregelungen unter Berücksichtigung der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit gestützt werden. Sowohl die Einführung der sog. Nettolimitierung zum Abbau einer planmäßigen Überversorgung als auch die Änderung der Anpassungsregelung waren ausreichend sachlich gerechtfertigt, urteilte der Senat.

 

Vorinstanz: LAG Hamburg, Urteil 7 Sa 2/19 vom 21. August 2019.

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