Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Sechs Mal die private Altersvorsorge im Fokus:

Dass der Schiri nicht mitspiele

Nicht nur die bAV genießt derzeit in vertrauter Runde die fachliche Aufmerksamkeit von BMF und BMAS, sondern auch die dritte Säule der deutschen Vorsorge – wenn auch unter etwas anderer Federführung. Nun ist auch hier der Startschuss gefallen, und erste Akteure stellen sich auf.

Neben der gesetzlichen Rente und der bAV bleibt die private Altersvorsorge ein wichtiger Baustein für das Leben im Alter. Zur Prüfung verschiedener Reformoptionen hat die Bundesregierung die Einsetzung der Fokusgruppe private Altersvorsorge beschlossen.“

Das schreibt das BMF in einer Mitteilung, und wie das Ministerium jüngst weiter erklärte, hat die konstituierende Sitzung der Fokusgruppe am 24. Januar im BMF stattgefunden. Weitere fünf Sitzungen werden folgen.

Detlev-Rohwedder-Haus in Berlin, Dienstsitz des BMF (Architekt Ernst Sagebiel).
Foto: BMF/Hendel.

In der ersten Sitzung standen laut Ministerium neben der Bestandsaufnahme des Status Quo der privaten Altersvorsorge in Deutschland auch Verbesserungen für bestehende Riester-Verträge auf der Agenda. In den kommenden Sitzungen sollen sich die Prüfaufträge des Koalitionsvertrags anschließen. Geprüft werden sowohl die Möglichkeit einer Förderung von privaten Produkten mit höheren Renditemöglichkeiten als bei derzeitigen Riester-Verträgen als auch ein öffentlich verantworteter Fonds. „Eine Förderung soll Anreize für untere Einkommensgruppen bieten“, so das BMF wörtlich. Die Fokusgruppe soll bis zum Sommer 2023 einen Abschlussbericht mit den Prüfungsergebnissen vorlegen.

Neben BMF, BMAS und BMWi gehören der Fokusgruppe Vertreter der Wissenschaft, der Anbieterverbände (GDV und BVI), des Verbraucherschutzes (Stiftung Warentest und vzbv), der Sozialpartner (BDA und DGB), aber auch die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (aba) an.

Florian Toncar, BMF.

Vertreter der Deutschen Bundesbank, der BaFin, der DRV Bund und des Bundeskanzleramts können als ständige Gäste teilnehmen. Die Fokusgruppe tagt unter dem Vorsitz des parl. STS im BMF, Florian Toncar. Dieser kommentierte den Start der Gruppe:

Angesichts des demographischen Wandels müssen wir kapitalgedeckte Instrumente in der Rente dringend ausbauen. Mit dem Generationenkapital machen wir dafür in der ersten Säule einen wichtigen Schritt. Genauso wichtig ist es aber, bei der privaten Altersvorsorge zu Verbesserungen zu kommen. Mit der Fokusgruppe bündeln wir große Expertise und unterschiedliche Perspektiven. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und bin überzeugt, dass wir gute Lösungen finden werden, um die Vorsorge für das Alter zu stärken.“

BVI: Ja zum Depot …

Der BVI äußerte sich zum Start der Gruppe bereits eingehend. Zum ersten schlägt der Verband weiterhin sein sog. „Fondsspardepot“ vor und erläuterte dazu bereits im November 2022:

Im Koalitionsvertrag ist die Prüfung der gesetzlichen Anerkennung privater Anlageprodukte mit höheren Renditen als Riester vorgesehen. Hieran knüpft unser Vorschlag an.

Die deutlich gestiegene Nachfrage nach Fondssparplänen ist ein Beleg für ihre Akzeptanz und Nutzung als Altersvorsorgeinstrument in breiten Bevölkerungsgruppen.

Sie sind zudem bereits als Altersvorsorgeprodukte im Rahmen der Digitalen Rentenübersicht berücksichtigt (Fondssparpläne mit vereinbarter Laufzeit mindestens bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres).

Es ist daher sinnvoll, Fondssparpläne für den Altersvorsorgeaufbau zu nutzen und entsprechende Anreize zu schaffen.“

Kernelement des Konzepts vom Fondsspardepot: ein besonderes Depot für Fondssparpläne, die ausschließlich zur Altersvorsorge abgeschlossen werden, Mindestlaufzeit bis Alter 60, Förderung via gesonderten Freibetrag für Gewinne, welcher mit der Anspardauer kontinuierlich anwächst.

Durch diesen Mechanismus kann die Politik einen starken Anreiz zum langfristigen Sparen für die Altersvorsorge setzen“, so der BVI. Ergänzt sei hier, dass sich alle Beteiligten, so denn diese Lösung tatsächlich konkret werden sollte, sich an den „Altersvorsorge-Sondervermögen“ vom Ende der 90er Jahre dergestalt orientieren können, wie man es nicht machen sollte.

und nein zum Staatsfonds

Thomas Richter, BVI.

Außerdem hat der BVI nun zum Start der Fokusgruppe auf neun Seiten eine aktuelle Stellungnahme verfasst; neben vielen weiteren Aspekten widmet sich der Verband auch der möglichen Rolle der Arbeitgeber. Unter der Zwischen-Headline:

Staatlich verantworteten Fonds mit Abwahlmöglichkeit in der privaten Altersvorsorge lehnen wir ab.“

schreibt der BVI unter Bemühung eines Sportbildes:

Bestrebungen, den Staat als Anbieter in einem privaten Markt zuzulassen, lehnen wir ab. Sie widersprechen unserer marktwirtschaftlichen Ordnung. Ein staatlich organisiertes Produkt in der privatwirtschaftlich organisierten dritten Säule würde zu massiven Marktverwerfungen führen. Im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft setzt der Staat die Regeln und ist Schiedsrichter. Sobald der Schiedsrichter selbst mitspielt, ist der Wettbewerb weder fair noch marktwirtschaftlich. Fairer Wettbewerb zu Gunsten der Sparer wird so verhindert. Der fehlende Wettbewerb wird Innovationen langfristig verhindern.“

Zur Rolle der Arbeitgeber erinnert der BVI, dass die Diskussion um eine Einführung eines öffentlich verantworteten Fonds mit automatischer Einbeziehung in der dritten Säule bisher völlig offen lässt, wie diese – und damit der wesentliche Faktor für die Niederschwelligkeit des Angebots – in der Praxis umgesetzt und sichergestellt werden solle, und er mahnt:

Sollte dies auf die Arbeitgeber übertragen werden, wären diese mit einem erheblichen zusätzlichen Aufwand belastet. Ein großer Teil der Arbeitgeber bietet bereits bAV an und beteiligt sich auch an deren Finanzierung. Die Umsetzung der ersten Sozialpartnermodelle hat ebenfalls gerade begonnen. Es wäre daher nur schwer nachvollziehbar, warum die Arbeitgeber auch noch die Administration eines Angebots der privaten Altersvorsorge verantworten sollten. Gerade für Kleinbetriebe stellen neue administrative Aufgaben häufig eine große Belastung dar, welche zusätzlich zu den aktuellen Herausforderungen auf Grund von Lieferkettenstörungen, Energiepreisexplosion und Fachkräftemangel gelöst werden müssten. Ungeklärt bleiben dabei weiterhin auch Fragen hinsichtlich möglicher Sanktionen bei Verstößen. Die Umsetzung der automatischen Einbeziehung über die Arbeitgeber stellt daher in der Praxis eine hohe Hürde dar.“

Die Mahnung des BVI ist mit jedem Wort berechtigt. Allerdings erscheint kaum vorstellbar, dass die Politik am Ende allen Ernstes auf die Idee käme, für ohnehin krude Staatsfonds-Ideen die Arbeitgeber einzuspannen. In dieser auf allen Ebenen schweren Gemengelage deutsche Unternehmen hier zusätzlich mit Administration, Bürokratie, IT-Aufwand, Rechtsunsicherheit, Beratungsbedarf und und und … zu belasten, hieße einer Wirtschaft, die sich derzeit ohnehin auf dünnstem Eis bewegt und deren Akteure nicht selten zwischen Insolvenz und Abwanderung schwanken, zusätzliche Gewichte um den Hals zu hängen. Dies täte nur jemand, der mit echter Bösartigkeit dieses Land schädigen will, und das muss man derzeit niemandem in der Bundesregierung zutrauen.

GDV mit fragwürdigem Terminus

Jörg Asmussen, GDV.

Der ebenfalls zur Fokusgruppe eingeladene GDV, der staatlichen Lösungen ebenfalls kritisch gegenübersteht, bringt sich mit der Idee einer „Bürgerrente“ in die Diskussion ein. Der Gesamtverband erläutert:

Die Bürgerrente soll höhere Erträge abwerfen, als sie heute mit Riester möglich sind. Dafür ist es … nötig, den derzeit vorgeschriebenen 100%igen Kapitalerhalt zu Rentenbeginn aufzuweichen – ohne völlig auf eine Absicherung zu verzichten. Den Versicherern schwebt eine Kapital-Garantie von 80% der eingezahlten Beiträge vor. Dieses Niveau wäre ein guter Kompromiss, um einerseits die Chancen des Kapitalmarkts besser nutzen zu können und andererseits größere Verluste zu vermeiden.“

Außerdem solle es zusätzlich zu der schon heute möglichen Teilauszahlung zu Rentenbeginn von 30% des Vermögens eine Rentengarantiezeit geben, bspw. zehn Jahre. Genauso lange würden die Anbieter mindestens eine Rente auszahlen: Stirbt der Versicherte früher, ginge das verbleibende Garantie-Kapital an die Hinterbliebenen, so der GDV.

Zur Förderung (übriges auch von Selbständigen) schlägt man vor, dass der Staat zu jedem eingezahlten Euro 50 Cent dazugibt. Wer also 1.000 Euro p.a. einzahlt, bekommt 500 Euro Förderung, und das Ganz bis zu 4% der BBG (2023: 87.600 Euro), also aktuell bei 3.504 Euro p.a., dazu kämen die Zulagen. Die Beiträge blieben steuerfrei, dafür würden die Leistungen nachgelagert voll besteuert.

Am Rande sei hier angemerkt, dass man es in dieser Bundesrepublik durchaus fragwürdig finden kann, neuen Projekten und Konzepten in den Bereichen Vorsorge/Soziales/Versicherung den an sich sehr positiven Titel „Bürger…“ überzustülpen. Jedenfalls drängen sich bei „Bürger…“ zumindest dem Chronisten direkt linke Lieblingsprojekte in die Erinnerung, die man ebenso betitelt hat und die aus liberaler Sicht durchaus Anlass zur Kritik geben, das gilt v.a. für die bis heute glücklicherweise nicht realisierte „Bürgerversicherung“ im Gesundheitswesen und die durchaus realisierte und volkswirtschaftlich sehr unkluge Transferleistung „Bürgergeld“. Dass der GDV sich gleichwohl für diesen Terminus entschieden hat, mag möglicherweise mit der langjährigen SPD-Sozialisation des GDV-Hauptgeschäftsführers Jörg Asmussen zu tun haben. Ob man damit im FDP-geführten BMF auf Gegenliebe stoßen wird, bleibt abzuwarten. Geschickt scheint jedenfalls anders.

aba: keine Kannibalen

Georg Thurnes, aba.

Zum Schluss zum für dieses Parkett wichtigstem Akteur, ebenfalls zuvorderst unter dem Stichwort „öffentlich verantworteter Fonds“: Die Skepsis der Protagonisten der deutschen bAV gegenüber Staatsfonds ist Legion. Zu einem möglichen Staatsfonds auch in der privaten Vorsorge schrieb aba-Chef Georg Thurnes bereits Anfang Dezember 2022:

Gerne werden wir seitens der aba im Rahmen der Prüfung durch die kommende Regierung zeigen, dass alle bisher diskutierten „Staatsfondsmodelle“ einer reinen Beitragszusage, wie sie das Betriebsrentenstärkungsgesetz eingeführt hat, nicht das Wasser reichen können. Das von uns mitentwickelte Konzept des Sozialpartnermodells ist nämlich mehr als eine effiziente Kapitalsammelstelle, die dann auch noch ohne die Fesseln von Garantien attraktive Renditen erzielen kann.“

Bekanntlich läut in ähnlicher Runde derzeit auch der „Fachdialog Betriebsrente“, ebenfalls von der Bundesregierung initiiert, allerdings unter Federführung des BMAS.

Dort äußert die aba ausdrücklich:

Die ‚Kannibalisierung‘ der bAV durch jegliche Art von ‚Staatsfonds‘ muss unterbleiben.“

Abgesehen von der hier nicht zu beantwortendenFrage, wie lange das Wort „Kannibalisierung“ unter dem Gesichtspunkt einer denkbaren kulturellen Aneignung (Beleidigung/Diskriminierung von Kannibalen) selbst in der Fachterminologie noch Verwendung finden darf, darf man außerdem gespannt sein, wie die Wechselwirkungen zwischen den beiden von der Bundesregierung parallel ins Leben gerufenen Runden aussehen werden, wo die Bundesregierung am Ende ihre Schwerpunkte setzen wird, ob es wirklich zu Verbesserungen und/oder Verschlimmbesserungen kommt – und v.a. ob die Bundesregierung aufgrund der sich verschärfenden Multi-Problemlage auf fast allen Politikfeldern (zwischen Inflation und De-Industrialisierung über den Krieg bis zu Migrationsdruck und Wohnungsnot vor dem Hintergrund einer sehr schnell wachsenden Bevölkerung) beizeiten überhaupt noch politische und fiskalische Ressourcen haben wird, kleine Baustellen im deutschen Rentensystem aufzumachen – von großen ganz zu schweigen. Die Aktienrente – Totgeburt mit LbAV-Ansage – ist da nur ein erstes Menetekel.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

© Pascal Bazzazi – LEITERbAV – Die auf LEITERbAV veröffentlichten Inhalte und Werke unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Keine Nutzung, Veränderung, Vervielfältigung oder Veröffentlichung (auch auszugsweise, auch in Pressespiegeln) außerhalb der Grenzen des Urheberrechts für eigene oder fremde Zwecke ohne vorherige schriftliche Genehmigung. Die Inhalte einschließlich der über Links gelieferten Inhalte stellen keinerlei Beratung dar, insbesondere keine Rechtsberatung, keine Steuerberatung und keine Anlageberatung. Alle Meinungsäußerungen geben ausschließlich die Meinung des verfassenden Redakteurs, freien Mitarbeiters oder externen Autors wieder.