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Niedrigzins:

BVV kürzt im Future Service um 24 Prozent

Der BVV, eine der größten Pensionseinrichtungen Deutschlands, beabsichtigt als Reaktion auf den Niedrigzins mit Wirkung ab 2017 die Rentenfaktoren für künftige Beiträge zu reduzieren. Ende Juni sollen die Mitgliederversammlungen die mit der Aufsicht abgestimmte Maßnahme verabschieden.

Bisher haben die Berechtigten der betroffenen Tarife vom BVV für jeden gezahlten Monatsbeitrag einen jährlichen Rentenbaustein in Höhe von 11,45 Prozent erhalten. Dieser soll auf 8,70 Prozent reduziert werden. Dies entspricht einer Absenkung um 24,02 Prozent.

 

Zur vollständigen Kompensation wäre laut BVV ein zusätzlicher Beitrag in Höhe von 31,61 Prozent erforderlich (den im Zweifel wohl der Arbeitgeber infolge seiner Einstandspflicht nachzuschießen hätte). Bis zum 31. Dezember 2016 erworbene Rentenbausteine sind nicht betroffen.

 

 

BaFin an Bord

 

Zur Umsetzung der Maßnahme müssen mit Genehmigung der BaFin die Bedingungen in den Tarifen geändert werden. Laut BVV hat die BaFin die Maßnahme bereits als „angemessen und geeignet“ eingeschätzt.

 

Am 24. Juni 2016 finden nun die BVV-Mitgliederversammlungen statt. Diese werden zu entscheiden haben, ob die Rentenfaktoren in Tarifen mit einem kalkulatorischen Rechnungszins von 4 Prozent für die aus künftigen Beiträgen zu bildenden Rentenbausteine reduziert werden. Sollten die Mitglieder des BVV die vorgeschlagene Maßnahme beschließen, gelten die neuen Rentenfaktoren ab dem 1. Januar 2017 und insoweit für Rentenbausteine aus Beiträgen, die ab dann gezahlt werden (also den Future Service). Notwendig ist, dass mindestens 75 Prozent der Arbeitgeber- wie der Arbeitnehmervertreter zustimmen. Letztere dürften dazu vor allem wohl dann bereit sein, wenn die Arbeitgeber sich bereit erklärten, die entstehende Lücke zu schließen.

 

 

Renditeniveau nicht mehr erreichbar“

 

Der BVV erläutert die Hintergründe der Maßnahme, die wenig überraschen:

 

Regelmäßige und planbare Erträge auf einem aufgrund der Verpflichtungen des BVV notwendigen Niveau lassen sich kaum noch erzielen. Rund zwei Drittel unserer jährlichen Beiträge fließen in Tarife mit einem kalkulatorischen Rechnungszins von 4 Prozent. Unter den aktuellen, durch anhaltend niedrige Zinsen gekennzeichneten, wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist dieses Renditeniveau nicht mehr erreichbar.

 

Der Aufsichtsrat und Vorstand des BVV haben (in Abstimmung mit der BaFin) sämtliche Handlungsoptionen geprüft. Die jetzt der Mitgliederversammlung vorgeschlagene Maßnahme ist Ergebnis einer vorausschauenden Geschäftspolitik.

 

[…]

 

Eine Ablehnung der Änderung der Bedingungen durch die Mitgliederversammlungen löst nicht das Problem der extrem niedrigen Zinsen. Im Falle eines andauernden Niedrigzinsumfeldes bleiben Maßnahmen notwendig, die auch von der BaFin angeordnet werden können. Dies kann dazu führen, dass auf den nächsten Mitgliederversammlungen wirkungsgleiche oder sogar weitergehende Maßnahmen zur Beschlussfassung vorgelegt werden müssen.“

 

Liest man den letzten Absatz, denkt man unwillkürlich an den Paragrafen 314 VAG, in dem Dinge stehen wie Änderung der Geschäftsgrundlage, Beseitigung der Mängel, Verbot von Zahlungen und schließlich die Herabsetzung der Verpflichtungen.

 

 

Auf Warnungen folgen Taten

 

Jüngst erst hatte sich das IVS zu Wort gemeldet, wonach „die andauernde Niedrigzinsphase zunehmend das finanzielle Gleichgewicht bei Pensionskassen“ gefährde (wobei Ähnliches auch für Direktversicherungen und versicherungsförmige Pensionsfonds gelte). Laut den Aktuaren werde „sich das Problem unausweichlich weiter verschärfen, wenn der Gesetzgeber nicht in geeigneter Form Hilfestellung bietet“.

 

Erst Anfang Mai hatte sich Frank Grund, Exekutivdirektor der BaFin-Versicherungsaufsicht, alarmistisch, aber auch etwas kryptisch geäußert, als er vor Journalisten in Frankfurt erklärte, dass die Schutzmechanismen bei Pensionskassen „möglicherweise bald einem Praxistest unterzogen werden“. Gegenüber LEITERbAV konkretisierte er dies später insofern, als „dass aktuell keine akute Gefährdungslage besteht“.

 

 

Spitzt sich die Lage weiter zu?

 

Bleibt abzuwarten, inwieweit andere Pensionskassen sich nun aus der Deckung wagen und dem Vorbild des BVV, einer der größten Kassen Deutschlands, folgen könnten. Allerdings sind viele Termine der Mitgliederversammlungen schon verstrichen, und außerdem erfordert eine solche Maßnahme längerfristige Abstimmungen mit der BaFin. Hier muss man also den Blick eher auf das erste Halbjahr 2017 richten. Sicher ist: Die Anstalt hat schon Ende 2015 alle Pensionskassen aufgefordert, die Möglichkeit der Umsetzung dieser oder vergleichbarer Maßnahmen zu überprüfen.

 

Ebenso bleibt abzuwarten, ob bei einem Anhalten der Niedrigzinsphase irgendwann – sei es bei dem BVV oder bei anderen Kassen – die gleiche oder analoge Maßnahmen sukzessive auch bei Tarifen angewandt werden müssen, die mit geringeren Rechnungszinsen kalkuliert worden sind (in gewisser Analogie zur Entwicklung bei der Zinszusatzreserve der Lebensversicherer, die in schöner Regelmäßigkeit ständig jüngere Tarifgenerationen erfasst).

 

Den kalkulatorischen Rechnungszins von 4 Prozent hat der BVV jedenfalls bis 2004 genutzt (doch entfallen wie oben erwähnt immer noch zwei Drittel der Beiträge auf derartige Tarife). Mittlerweile folgt die Kasse wie viele regulierte Kassen dem Höchstrechnungszins der Lebensversicherer.

 

Offen schließlich auch, inwieweit die Maßnahme – jetzt bei dem BVV, künftig vielleicht bei weiteren Kassen – ausreichen wird oder ob die Lage sich weiter zuspitzt und irgendwann auch der erwähnte Paragraf 314 VAG zum Einsatz wird kommen müssen.

 

Grund genug, bei der Anstalt nachzufragen, doch die gab sich auf Nachfrage von LEITERbAV zugeknöpft. Weder wollte sie konkret mitteilen, ob weitere, wieviele und welche Kassen nun vor Maßnahmen wie der des BVV respektive ähnlichen Maßnahmen stehen noch ob Maßnahmen nach Paragraf 314 VAG absehbar sind.

 

Doch die Implikationen gehen noch weiter. Denn in jedem Fall lassen Entwicklungen, wie sie der BVV nun einleitet, last but not least auch eine Umsetzung weitreichender bAV-Reformen wie beispielsweise des Sozialpartnermodells noch schwieriger erscheinen, als sie ohnehin schon sind. Wenn ein Akteur wie die BVV, eine der größten und wohl auch eine der am professionellsten geführten EbAV Deutschlands, sich genötigt sieht, aus der Niedrigzinsphase solche Konsequenzen zu ziehen, muss man fragen, wie beispielsweise eine Neuaufstellung von tarifeigenen EbAV und die Abbildung der Mindestleistung bei gleichzeitiger Enthaftung der Arbeitgeber überhaupt gelingen soll.

 

 

Nur Geduld!?

 

Zum Schluss: Die Anpassung, die der BVV nun vornimmt, ist keine Einbahnstraße, zumindest nicht grundsätzlich. So schreibt der Verein:

 

In regelmäßigen Abständen werden wir prüfen, ob der BaFin und den Mitgliedern bei Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eine Anhebung der Rentenfaktoren bis maximal auf die aktuell gültige Höhe wieder zur Beschlussfassung vorzulegen ist.“

 

Betrachtet man die Pathogenese der gegenwärtigen Zinssituation und schätzt ab, ob und wann in der gegenwärtigen geostrategischen und ökonomischen Gemengelage Europas (Griechenland- und Staatsschuldenkrise, Flüchtlingskrise, Syrien-, Libyen- und Ukraine-Konflikt, Terrorgefahr, Wachstumsschwäche in den Südstaaten et cetera) die Euro-Staaten höhere Zinsen verkraften können, sollte sich alle, die hierauf hoffen, wohl besonders in einem üben: Geduld. Zumindest wenn sie es sich leisten können.

 

Die Informationen des BVV zu der geplanten Maßnahme finden sich

 

hier,

hier

und hier.

 

Das Online-Portal „Versicherungspraxis 24“ berichtete von analogen Maßnahmen bei der neue leben Pensionskasse.

 

Die Presseschau folgt am Montag.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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