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20. Handelsblatt-Jahrestagung bAV (II):

Sieben Mal nachjustieren

Das BRSG soll die bAV stärker ankurbeln. Auf der HB-bAV-Tagung bezogen Experten Stellung zum nötigen Feinjustieren bei Arbeitsrecht, Steuern und Sozialversicherung. LbAV-Autor Detlef Pohl dokumentiert einige der Ideen, die in Berlin geäußert wurden, und die ersten Reaktionen der Ministerien.

 

Dienstag Nachmittag in Berlin, Fortsetzung des ersten Tages der diesjährigen 20. Handelsblatt-Jahrestagung bAV.

 

Eingangs Marco Arteaga. Der Partner der Kanzlei DLA Piper merkte von vielen Seiten geäußerten rechtlichen Änderungsbedarf zum BRSG an. „Es gibt viele Wünsche und Anregungen für Nachbesserungen am Gesetz“, sagte Arteaga in seinem Fachvortrag. Mögliche Nachbesserungen machte er dabei an sieben Punkten fest.

 

15 Prozent – Tarifexklusivität – Riester-bAV

 

Erstens: Details zum Arbeitgeberzuschuss von 15 Prozent bei neuen Entgeltumwandlungsvereinbarungen müssten geregelt werden. Trotz eines Rundschreibens zur beitragsrechtlichen Beurteilung von Zuwendungen zur bAV blieben massive Umsetzungsprobleme. So bestehe Unklarheit über den Beginn der Zuschusspflicht bei kollektiven Regelungen. Offen auch, wie zu verfahren sei, wenn die Erhöhung bestehender Versorgungszusagen technisch, etwa bei einem bestehenden Direktversicherungsvertrag, gar nicht möglich ist. Zudem gebe es einen „faktischen Zwang“ zum 15-Prozent-Zuschuss auch bei Direktzusage und U-Kasse, weil Mitarbeiter statt einer angebotenen Gehaltsumwandlungs-Direktzusage nach dem Gesetz eine Gehaltsumwandlungs-Direktversicherung mit Zuschuss verlangen können.

 

Zweitens kritisieren vor allem die Vertriebe die Tarifexklusivität der reinen Beitragszusagen und der Optionssysteme. Die Unternehmen seien derzeit nicht frei, diese Gestaltungen auf Basis von Betriebsvereinbarungen zu nutzen. Das Tarifprivileg wollten aber Gewerkschaften und Arbeitgeber nicht hergeben. „In Erwartung von Flächentarifverträgen zum SPM werde ihnen dies auch niemand nehmen, doch was passiert, wenn Flächentarifverträge gar nicht kommen?“, so fragte Arteaga in die Runde.

 

Drittens: Nötig seien weitere Vereinfachungen beim Riestern über eine bAV. Bei Privat-Riester erfolge die Beitragszahlung heute, die endgültige Entscheidung über die Zulage komme aber erst im Folgejahr. Diese Verfahrensweise sei für bAV-Riester so nicht zu gebrauchen. „Eine Entscheidung wird vorher benötigt“, so Arteaga, denn „es muss zum Zeitpunkt der Entgeltumwandlung entschieden werden, ob diese aus dem Brutto- oder aus dem Nettoeinkommen erfolgen soll“. Zudem müsse beim bAV-Riester eine Rückzahlungspflicht für gewährte Zulagen unbedingt vermieden werden. Dazu sein ein Online-Verfahren erforderlich, und zwar „real-time“. Wie auch immer die Wahl des Arbeitnehmers pro bAV-Riester oder einem anderen bAV-Weg: Es dürfe keine Haftung der Arbeitgeber für individuelle Wahlentscheidungen geben.

 

Acht Prozent – Doppelverbeitragung – Rechtssicherheit – und…

 

Viertens: Nötig sei eine Auf- oder Anhebung der Deckelung bei Paragraf 3 Nr. 63 EStG. Die Anhebung der Steuerfreiheit von Beiträgen auf acht Prozent sei erfreulich gewesen, „dennoch ist diese Deckelung bei Pensionsfonds, Pensionskasse und Direktversicherung unverständlich“, so Arteaga. Bei Direktzusagen und U-Kassen gäbe es keine steuerliche Beschränkung des Anwartschaftserwerbs. „Für betriebseinheitliche Lösungen sind die acht Prozent viel zu wenig, weil dann regelmäßig zwei oder mehr bAV-Wege kombiniert werden“, kritisierte Arteaga. Vielfach verpuffe der verbesserte Förderrahmen nutzlos. Auf diese Weise sei auch die völlig unnötige Parallelität mehrerer bAV-Durchführungswege nicht zu beseitigen, denn diese haben auch noch je nach Vehikel unterschiedliche arbeitsrechtliche Konsequenzen, und das bedeute eine massive Behinderung für die bAV-Praxis.

 

Marco Arteaga, DLA Piper…

Fünftens: Der volle KVdR-Beitrag sei für Betriebsrentner schmerzhaft. Im Ergebnis zahlten Arbeitnehmer den Arbeitgeberanteil (Ausnahme: Zuschuss). Sinnvoll sei, zum halben Beitragssatz in der KVdR und zu einem Ende der echten Doppelverbeitragung zu kommen. Erfreuliche Vorstöße von Fachpolitikern seien zwar von der Kanzlerin ausgebremst worden, weil andere vereinbarte ausgabenwirksame Reformen zuerst umgesetzt werden müssten. Es bleibe aber eine Gerechtigkeitslücke, die rasch beseitigt werden sollte.

 

Sechstens: Erleichterungen und mehr Rechtssicherheit bei Harmonisierungen seien dringend erforderlich. „Es ist fast nicht möglich, Zusagen zu vereinheitlichen“, erklärte Arteaga. Zusammenschlüsse und Betriebsübergänge kumulierten aber bAV-Pläne. Sinnvoll wäre eine barwertidentische Ablösung bzw. Harmonisierung, zumal sehr viele mängelbehaftete Versorgungszusagen existieren. Zugleich müssten Widerspruchsmöglichkeiten stark begrenzt werden und ein Regelungsmechanismus für rasche Rechtssicherheit geschaffen werden. „Ein jahrzehntelanger rechtlicher Schwebezustand ist nicht zumutbar“, warnt Arteaga.

 

die Frage nach dem Paradigmenwechsel

 

Peter Goergen, BMAS…

Siebtens: Bringt das BRSG wirklich einen Paradigmenwechsel? Vor lauter Detailregelungen und Vorgaben werde wieder einmal aus den Augen verloren, dass über die bAV eine adäquate Aufstockung der Versorgung erreicht werden soll, die auf die Kürzung der gesetzlichen Rentenansprüche seit 2002 reagiert. Es gebe noch immer einen Verbeitragungsvorrang der Bruttoentgelte zugunsten der gesetzlichen Rente, selbst wenn insgesamt ein noch viel höherer Betrag in die bAV fließen könnte. „Daher muss die zweite Säule von Ballast befreit werden“, fordert Arteaga. Die Komplexität müsse endlich reduziert und bAV für Nutzer einfach werden: „Gerade bei niedrigen Einkommen und entsprechender Zulagenberechtigung wird Netto-bAV oftmals die bessere Wahl sein.“

 

Arteagas Fazit: Das sinkende gesetzliche Rentenniveau erfordere eine Stärkung der bAV. Die bAV müsse für Arbeitgeber innerhalb eines Durchführungswegs möglich sein und mit einem hinreichenden steuer- und beitragsfreien Rahmen ausgestattet werden. Auch würden weitere Vereinfachungen benötigt, um vorhandene Rechtsunsicherheiten zu beseitigen. Wie zu hören ist, sei das BMAS für Änderungen grundsätzlich aufgeschlossen.

 

Podiumsdiskussion: Noch viel Nebel bezüglich Evaluierung des Gesetzes

 

…und Christine Harder-Buschner, BMF. Alle Fotos: Dietmar / Gust Euroforum

Zu Änderungen an den rechtlichen Rahmenbedingungen der bAV, zuletzt geändert durch das BRSG, machte Peter Görgen, Referatsleiter im BMAS, allerdings in der anschließenden Diskussion nur wenig Hoffnung. Man habe in den Gesprächen mit Praktikern inzwischen etwa 25 gewichtige Probleme ausgemacht, doch gebe es kaum Spielraum für arbeitsrechtlich andere Auslegungen. „Im Zweifel muss das Bundesarbeitsgericht alles klären“, meinte Görgen.

 

Was die steuerlichen Rahmenbedingungen der bAV, zuletzt geändert durch das BRSG, angeht, gab sich auch Christine Harder-Buschner defensiv. „Man kann nichts ändern, was noch gar nicht richtig erprobt ist“, sagte die Regierungsdirektorin im BMF. Als Beispiel nannte sie den bAV-Förderbeitrag für Geringverdiener gemäß Paragraf 100 EStG. Das schaue man sich jetzt in Ruhe an. Eine Evaluierung einzelner Teile des Gesetzes stehe intern erst fünf Jahre nach Inkrafttreten an, blickte Harder-Buschner voraus.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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