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Sperrfeuer – der Kommentar auf Leiter-bAV.de:

bAV in der Breite voranbringen

 

Am Montag geht in Berlin die Diskussion um den Vorschlag des BMAS zur gesetzlichen Regelung von Tarifparteien getragener EbAV in die zweite Runde. Peter Schwark bezieht Stellung aus Sicht der Versicherungswirtschaft.

 

Peter Schwark, GDV
Peter Schwark, GDV

Zentrales politisches Ziel in dieser Legislaturperiode ist es, die bAV zu stärken und den Verbreitungsgrad deutlich zu steigern. Bereits die Riester-Reform 2001 hatte einen erheblichen Aufschwung gebracht. Etwa 80 Prozent des seitdem erzielten Fortschritts bei der Verbreitung der bAV entfielen auf die Direktversicherung und die neu gegründeten überbetrieblichen Pensionskassen. In den letzten Jahren hat sich der Bestand zwar weiter erhöht, der Verbreitungsgrad jedoch hat wegen der gleichzeitigen Zunahme der Beschäftigtenzahlen stagniert. Wichtig ist es jetzt, die Hebel so umzulegen, dass in der Breite weitere Fortschritte erzielt werden können. Das wird ohne die bewährten bAV-Modelle kaum zu schaffen sein.

 

 

Zusätzliche Komplexität lähmt Verbreitungsprozesse

 

Der aktuell diskutierte Vorschlag eines § 17b BetrAVG für ein „Neues Sozialpartnermodell Betriebsrente“, das lediglich auf gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien zielt und exklusiv dort reine Beitragszusagen möglich machen soll, verengt die Perspektive und schafft zusätzliche Risiken. So würde die Komplexität der bAV nochmals enorm erhöht – bisher schon einer der Haupthinderungsgründe für deren Ausbau. Der Vorschlag würde mit seinem allein auf tarifvertragliche Lösungen zugeschnittenen Ansatz viele kleine und mittlere Unternehmen (KMU) gerade nicht erreichen, da diese häufig und durchaus bewusst keinem Tarifvertrag unterliegen. Zu befürchten ist außerdem, dass mit einer einseitigen Ausrichtung und letztlich Privilegierung gemeinsamer Einrichtungen die bestehenden – nicht selten auch tarifvertraglichen – bAV-Lösungen zwangsläufig geschwächt und damit bereits erzielte Erfolge gefährdet würden. In jedem Fall wird es auf Sicht zu einer erheblichen Verunsicherung bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern führen, verbunden mit einer Lähmung des Verbreitungsprozesses. Das würde mehr schaden, als dass es hilft.

 

Die Tarifpartner haben viele Möglichkeiten, der bAV neuen Schub zu geben. Aber sie sind dafür auf Partner angewiesen. Funktionierende bAV-Modelle auf Branchenebene zeigen, dass die Versicherungswirtschaft das Know-how und die Kapazitäten hat, mit den Tarifpartnern zusammen praxistaugliche Lösungen zu entwickeln, die eine Breitenwirkung erzielen. Insgesamt decken Versicherer direkt und indirekt mittlerweile knapp 15 Millionen Versorgungszusagen ab. Insbesondere in KMU wird die bAV über Versicherer durchgeführt: So nutzen rund 80 Prozent der KMU mit einer bAV den Durchführungsweg der Direktversicherung, da diese durch ihre verwaltungsarme Ausgestaltung und ihr hohes Maß an Sicherheit für mittelständische Unternehmen besonders geeignet ist.

 

 

Kosteneffizienz keine Frage des Durchführungsweges

 

Die viel diskutierte Frage der Kosteneffizienz ist keine Frage des Durchführungsweges. Kosten entstehen in jeder Durchführungsform, teilweise auch versteckt, etwa wenn diese nach außen nicht sichtbar in den Personalabteilungen entstehen. Darauf weist die BaFin hinsichtlich Kostenvergleiche mit firmeneigenen Pensionskassen sogar explizit hin. Entscheidend für Kosteneffizienz ist nicht der Durchführungsweg, sondern die Größe der Kollektive beziehungsweise Vertragsbestände. Die Lebensversicherer haben ihre Bestands- und Vertragsverwaltung sehr effizient aufgestellt, sie profitieren erheblich von Skalenerträgen, weil sie meist um ein Vielfaches größer sind als typische regulierte Pensionskassen. Die Verwaltungskostenquoten der Lebensversicherer haben sich im Wettbewerb der Anbieter durch die fortgeschrittene Automatisierung der Prozesse in den letzten 20 Jahren mehr als halbiert. Lebensversicherer brauchen hinsichtlich ihrer verfahrenstechnischen Effizienz deshalb keinen Vergleich zu scheuen.

 

Einen Unterschied macht dagegen immer die Frage, wie eine bAV verbreitet wird, das heißt die Arbeitnehmer konkret erreicht. Bei rein arbeitgeberfinanzierten bAV-Angeboten ohne Auswahlentscheidung des Arbeitnehmers, wie sie die traditionelle bAV geprägt haben, fallen keine nennenswerten Abschlusskosten an. Aber immer weniger Arbeitgeber setzen auf diese Modelle, auch weil die zunehmende Regulierung die personalpolitisch wünschenswerte Mitarbeiterbindung via bAV immer weniger zulässt. Dieser negative Trend wird sich durch die Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie verstärken. Ist die bAV deshalb für den Arbeitnehmer lediglich ein optionales Angebot, weil es ausschließlich oder überwiegend über Arbeitnehmerbeiträge im Wege der Entgeltumwandlung finanziert wird, stellt sich immer die Frage, wie ein ausreichender Verbreitungsgrad erreicht wird. Die schlechteste Kosteneffizienz weisen am Ende des Tages neu gegründete Versorgungsträger aus, die nicht schnell und ausreichend wachsen, um rasch Skalenerträge zu erzielen. Dieses Problem stellt sich auch für die zur Diskussion stehenden, neu zu gründenden gemeinsamen Einrichtungen von Tarifpartnern. Es verschärft sich durch die aktuelle Niedrigzinsphase.

 

 

Individuelle Beratung schafft Mehrwert

 

Die Erfahrungen gerade in der Metall- oder der Chemieindustrie unmittelbar nach der Riester-Reform haben gezeigt, dass selbst extrem attraktive bAV-Angebote, etwa durch hälftigen Arbeitgeberzuschuss, nicht von selbst von den Mitarbeitern aktiv nachgefragt werden. Ohne effektive Beratungs- und Vertriebskonzepte werden regelmäßig nur sehr unbefriedigende Verbreitungsraten erzielt. Automatische Entgeltumwandlung wäre ein Ansatz, der deutliche Einsparungen bei den Verbreitungskosten ermöglichen kann. Ohne Arbeitgeberfinanzierung, Obligatorien oder Modelle automatischer Einbeziehung jedoch entstehen immer Kosten für hohe Verbreitungsgrade, etwa für individualisierte Beratungsansätze, sei es über den Einsatz der Personalabteilung oder den externer Berater. Diese Kosten sind abzuwägen gegen den Mehrwert, der bei dem Einzelnen dadurch entsteht, dass er frühzeitig mit seiner Altersvorsorge beginnt. Hier hilft der Vergleich mit der durch Zeitverlust entgangenen Leistung: Selbst bei Individualtarifen kostet jedes einzelne verpasste Vorsorgejahr meist mehr an Leistung als das, was heute einmalig an Leistungseinbußen durch einkalkulierte Abschlusskosten entstehen kann. Und über Kollektiv- oder Gruppenverträge – seien es betriebsbezogene, seien es tarifvertragliche – lassen sich im Markt noch deutliche Kostenvorteile aushandeln.

 

 

bAV insgesamt attraktiver machen

 

Wenn nun vorgeschlagen wird, die Haftung des Arbeitgebers für die bAV zu begrenzen, ist es zwingend, Direktversicherungen und deregulierte Pensionskassen als die am besten abgesicherten Durchführungswege in die Überlegungen einzubeziehen. Andernfalls käme es zu einer nicht nachvollziehbaren Zwei-Klassen-bAV, bei der ausgerechnet die Durchführungswege als weniger sicher wahrgenommen würden, die Arbeitgebern bereits heute schon einen Großteil der Risiken abnehmen. Eine Haftungsbegrenzung müsste generell geregelt und an der Sicherheit der Einrichtung als solcher festgemacht werden. Maßgeblich können nur externe Faktoren sein, wie die für die Versorgungseinrichtung geltenden aufsichtsrechtlichen Standards und die Absicherung der Leistungen durch eine Sicherungseinrichtung.

 

Richtig ist: Die bAV muss für Arbeitnehmer und für Arbeitgeber attraktiver und einfacher werden. Gefordert sind Rahmenbedingungen, die Komplexität und Aufwand abbauen. So könnte ein Modell auf für Arbeitgeber freiwilliger Basis entwickelt werden, mit dem für alle Arbeitnehmer eines Betriebes standardmäßig im Arbeitsvertrag eine Entgeltumwandlung vorgesehen wird. Arbeitnehmer können, müssen aber nicht daran teilnehmen. Wichtig ist darüber hinaus, den steuerlichen Dotierungsrahmen so anzupassen, dass Arbeitgeber ihre standardmäßigen Versorgungszusagen auf nur einen Durchführungsweg konzentrieren können. Zugleich würden die durch die Niedrigzinsphase gestiegenen Vorsorgenotwendigkeiten berücksichtigt. Nötig sind zuletzt auch mehr Anreize für Geringverdiener für zusätzliche Altersvorsorge. Insbesondere hinreichend austarierte Freibeträge in der Grundsicherung im Alter sind für freiwillige Eigenbeiträge unverzichtbar, wenn man das politische Ziel einer annähernden 100-Prozent-Verbreitung der bAV ernst nimmt.

 

 

Der Autor ist Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV).

 

Von ihm und anderen Autoren erschienen bereits als Kommentare zur bAV-Reformdebatte auf LEITERbAV:

 

 
 

Kein dritter Schuss“

von Bernhard Wiesner, seinerzeit Senior VP Corporate Pensions der Bosch Gruppe, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung und Mitglied des bAV-Ausschusses der BDA, 30. Oktober 2014.

 

Paradigmenwechsel mit Folgen“

von Markus Klinger, Leiter des Fachkreises „betriebliche Altersversorgung und Lebensversicherung“ in der Vereinigung der Versicherungs-Betriebswirte e.V. VVB, 23. Februar 2015.

 

Stunde der Wahrheit“

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 26. Februar 2015.

 

Evolution oder Revolution?“

von Klaus Mössle, Leiter des institutionellen Geschäfts bei Fidelity Worldwide Investment in Deutschland, 12. März 2015.

 

bAV in der Breite voranbringen”

von Peter Schwark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV), 5. März 2015.

 

Falsche Furcht vor dem Kahlschlag. Oder: Warum der VFPK irrt.“

von LbAV-Autor Detlef Pohl, 1. Juni 2015.

 

Warum nicht die Rosinen picken?“

von Marco Arteaga, Rechtsanwalt und Partner bei DLA Piper in Frankfurt am Main, 19. Oktober 2015.

 

Es könnte so einfach sein…

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 19. Februar 2016.

 

Der Staub der Jahrzehnte“

von André Geilenkothen, Principal bei Aon Hewitt in Mülheim an der Ruhr, 14. März 2016.

 

Weiße Salbe und totes Pferd“

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 4. April 2016.

 

Entgeltumwandlung 2.0: Insolvenzschutz einmal anders“

von Cornelia Rütters, Juristin, und Andreas Fritz, Vorstand der Pensionskasse für die Deutsche Wirtschaft VVaG, Duisburg, 18. August 2016.

 

Wenn der Fahnenträger wankt“

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 10. Oktober 2016.

 

 

Hinzu treten die Kommentare, die LbAV-Chefredakteur Pascal Bazzazi zu dem Thema verfasst hat:

 

Nicht, dass wir am Ende blank dastehen“, 8. Mai 2014.

 

The Great Game“, 18. November 2014.

 

The Great Game (II)“, 11. Mai 2015.

 

 

 

 

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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