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EIOPA Technical Advice for the Review of the IORP II Directive:

Auch Ratschläge sind Schläge

Jüngst hat die Europäische Pensionsaufsicht den Call for Advice der Europäischen Kommission zur Überarbeitung der Pensionsfondsrichtlinie beantwortet. Stichworte einer ersten Analyse Peter Gramkes sind: Riegel vor den Pragmatismus, Size doesn’t matter, Draufsatteln beim Datensammeln … und auch die Sozialpartnermodelle können sich auf ganz spezielle Anforderungen freuen.

Dienstsitz der EIOPA in Frankfurt am Main.

Neulich, 28. September, pünktlich und passend: Während in Bonn die aba-Aufsichtsrechtstagung läuft, veröffentlicht die EIOPA ihre 268 Seiten umfassende Antwort auf den „Call for Advice“ der Europäischen Kommission zur Überprüfung der EbAV-II-Richtlinie.

Immerhin 48 Stakeholder hatten sich vom 3. März bis 25. Mai 2023 die Mühe gemacht, die vorangegangene 251-seitige EIOPA-Konsultation durchzuarbeiten und zu kommentieren. Der Reigen reichte von nationalen Branchenfachverbänden der Pensionsfonds- und Versicherungswirtschaft über Aktuarsvereinigungen bis hin zu Umwelt- und Verbraucherschutzinstitutionen. Insbesondere hatten auch die aba aus deutscher Sicht, PensionsEurope aus europäischer Pensionsfondssicht und die AEIP (European Association of Paritarian Institutions) aus Sicht der paritätischen Unternehmen die Konsultation kommentiert.

Dabei konnten von den Stakeholdern die von EIOPA in der Konsultation vorgeschlagenen Änderungen an der EbAV-II-Richtlinie offenbar sehr häufig entweder nur als nicht zielführend oder nicht wirtschaftlich umsetzbar abgelehnt bzw. nur mit erheblichen Modifikationen oder unter Vorbehalten akzeptiert werden.1

Praktisch alles geht durch

Gleichwohl muss man bei Durchsicht des Ratschlags feststellen, dass mit wenigen Ausnahmen fast alle konsultierten „Verbesserungsvorschläge“ der EIOPA ihren Weg in das jetzt an die Europäische Kommission gesandte Dokument gefunden haben. Aufgrund des Umfangs dieses Ratschlags können an dieser Stelle nur die einflussreichsten und kostenträchtigsten Teile in Form einer subjektiven Auswahl präsentiert werden:

Pragmatische Proportionalität …

Als besonders misslich empfindet der Autor dieses Beitrages die Verkürzung der Proportionalitätskriterien. Grundsätzlich gilt ja: Durch proportionale Anwendbarkeit der Regulatorik kann den vielfältigen Unterschieden der bAV auf europäischer und nationaler Ebene Rechnung getragen werden. Proportionalität trägt dazu bei, dass sich auch kleine Einrichtungen bzw. kleine Versichertenbestände trotz der immer weiter zunehmenden Regulierungstiefe und –dichte überhaupt noch gesetzes- und aufsichtskonform verhalten können.

In den Mindestanforderungen an die Geschäftsorganisation von Einrichtungen der bAV (MaGo für EbAV) sowie den Aufsichtsrechtlichen Mindestanforderungen an die Eigene Risikobeurteilung (ERB) von Einrichtungen der bAV wurden diese Spielräume der EbAV-II-RiLi auch mustergültig umgesetzt:

Die Anforderungen der MaGo müssen bis dato proportional zur Größenordnung, der Art, dem Umfang und der Komplexität der Tätigkeiten der EbAV erfüllt werden. Die Größe und die interne Organisation der EbAV können bisher bei der ERB ebenfalls direkt, ansonsten als Indikatoren in die Proportionalitätserwägungen einbezogen werden. Da Größe, interne Organisation und Größenordnung (Anzahl der Anwärter und Leistungsempfänger) im Gegensatz zu den anderen Proportionalitätskriterien recht einfach zu beurteilen sind, geben sie kleineren Einrichtungen vergleichsweise verlässliche Anhaltspunkte und finden in der Aufsichtspraxis häufig Anwendung.

soll gestutzt werden

Diesem pragmatischen Vorgehen versucht die EIOPA nun allerdings einen Riegel vorzuschieben, indem sie vorschlägt, als Proportionalitätskriterien ausschließlich noch „Art, Umfang und Komplexität der EbAV-Tätigkeiten“ zuzulassen – der Aspekt der Größenordnung soll also entfallen. Die Verbraucherinteressen der Mitglieder und Leistungsempfänger kleiner, aber „risikoträchtiger“ EbAV wiegen der EIOPA-Logik nach schwerer als die zusätzlichen, mit der stärkeren Aufsicht verbundenen Kosten bzw. die Folgen von Fehlinterpretationen auf EbAV- bzw. Aufsichtsseite zur Anwendbarkeit von Proportionalität.

Diese Folgen können durchaus erheblich sein: Wenn eine EbAV ihr Geschäft nach „Art, Umfang und Komplixität“ als vergleichsweise risikolos ansieht und sich nicht ausreichend im Sinne der MaGo aufstellt, können bei einer aufsichtlichen Prüfung, die dieser Interpretation nicht folgt, durchaus erhebliche, in schneller Zeit abarbeitbare Anforderungen zur Herstellung der aufsichtlichen Compliance auf sie zukommen.

Umso erstaunlicher ist die „Size doesn’t matter“-Diskussion vor dem Hintergrund eines weiteren Vorschlags. Dieser erlaubt nämlich den Mitgliedsstaaten, Einrichtungen unter einer Größe von 1.000 Mitgliedern und Leistungsempfängern sowie weniger als 25 Mio. Euro Anlagevermögen aus dem Anwendungsbereich der EbAV-II-RiLi herauszunehmen. Bisher lag die Grenze bei 100 Mitgliedern und Leistungsempfängern. Dass diesen Einrichtungen dann das grenzüberschreitende Geschäft verboten ist, dürfte die meisten wohl kaum kümmern. Schwerer wird die Hürde sein, die Mitgliedsstaaten zu überzeugen, diese Option zu ziehen. Das haben bisher selbst bei der niedrigen Grenze nämlich nur sechs gemacht. Deutschland gehörte nicht dazu.

Die eigenen Berechtigten befragen müssen …

Ein weiterer bedeutender Kostentreiber bei Einrichtungen der bAV sind Informationspflichten, derzeit also:

  • Informationen für die Aufsicht und
  • Informationen gegenüber potenziellen Anwärtern, Anwärtern und Leistungsempfängern.

Die EIOPA führt hier nun noch eine weitere Kategorie ein: Informationen, welche die jeweilige EbAV von ihren Anwärtern, potenziellen Anwärtern sowie Leistungsempfängern erheben soll. In dieser Hinsicht scheint der EIOPA nämlich die Berücksichtigung von Verbraucherpräferenzen insb. im wichtigen Thema Nachhaltigkeit nicht ausreichend sichergestellt.

Daher sollten EbAV diese berücksichtigen, sofern sie sie abschätzen („gauge“) können. Darin sieht die EIOPA sogar eine „treuhänderische Pflicht“. Die Erfüllung dieser Pflicht dürfte aus Sicht des Autors zu einer stark erklärungsbedürftigen Erhebung mit einer vernachlässigbaren Antwortquote führen. Weiterhin soll auch die Bereitstellung der Renteninformation (elektronisch oder papiergebunden) nicht mehr primär von der EbAV vorgegeben werden dürfen. Sie muss in Form einer Abfrage vom Anwärter erhoben werden.

Doch auch die beiden anderen o.g. Kategorien kommen nicht zu kurz. Unter anderem damit die nationalen Aufsichtsbehörden den EIOPA-Datenanforderungen gerecht werden können, sollen sie beliebig viele quantitative Daten von ihren beaufsichtigten Einrichtungen erheben dürfen. Damit fällt eine weitere Schranke vor den Datensammelanforderungen seitens EIOPA.

 

Die Änderung der Renteninformation ist hinsichtlich

Kostenträchtigkeit kaum zu unterschätzen.“

 

Die Renteninformation aller Einrichtungen sollen zudem:

1. um Informationen über die von den Anwärtern getragenen Risiken ergänzt,

2. zum Zwecke der Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Einrichtungen hinsichtlich Format und Struktur vereinheitlicht und

3. mit neuen Prognosewerten (wahrscheinlichstes, vorteilhaftes, unvorteilhaftes Szenario) in inflationsbereinigter („Real Terms“) Form ausgestattet werden.

mit Eingriffen in die Bestandsführungssysteme

Insbesondere die Änderung der Renteninformation ist hinsichtlich Kostenträchtigkeit kaum zu unterschätzen. Wer die Gestaltung und Verteilung der Renteninformation verantwortet, kennt die Kosten einer Umstellung allein der Formate, wenn nicht der Struktur und – extrem aufwändig, da häufig mit Eingriffen in die Bestandsführungssysteme verbunden – der Werte.

Die VAG-Informationspflichtenverordnung gewährt hier die notwendigen Freiheitsgrade für eine sinnvolle, nutzerorientierte Darstellung. Diese wäre durch die EIOPA-Anforderungen massiv und ohne Notwendigkeit gefährdet.

Lange Liste für DC-Schemes

Ganz besondere Anforderungen an neue bzw. „verbesserte“ Informationspflichten kämen nach den Vorstellungen von EIOPA auf DC-Systeme zu. Hier in Deutschland wären zwar „nur“ die Sozialpartnermodelle betroffen. Ob der zu erwartende Aufwand für:

• langfristige Risikobewertungen aus Sicht der Versorgungsanwärter und Leistungsempfänger

• die Erhebung der Risikotoleranz der Anwärter und Leistungsempfänger

• die Integration von Rentenprojektionen in die o.g. Risikobewertungen

• regelmäßige Nachschauen zur angemessenen Berücksichtigung der Risikotoleranz bei Investitionsoptionen

• ein nationales, stark detailliertes Kostenberichtswesen

• Beschwerde- und alternative Streitbeilegungsprozesse

• den Nachweis der EbAV, dass ihre Versorgungsanwärter und Leistungsempfänger die Möglichkeit hatten, sich bei Entscheidungen einzubringen, die direkte Auswirkungen auf sie haben

den Verbreitungsgrad des zarten Pflänzchens Sozialpartnermodell in Deutschland fördert, darf zumindest bezweifelt werden.

Bitte doppelt einsteigen

Außerdem steigt die EIOPA zudem massiv in zwei weitere Mainstream-Themen ein: Nachhaltigkeit sowie Diversität und Inklusion.

Auch für EbAV soll demnächst die doppelte Materialität gelten: Sie müssen also in ihrer Kapitalanlage nicht nur darauf achten, welche Nachhaltigkeitsrisiken Investitionsentscheidungen beinhalten, sondern auch, welchen langfristigen Einfluss ihre Investmentstrategie auf Nachhaltigkeitsfaktoren hat.

Um das an der Unternehmensspitze zu verankern, soll auch die Vergütungspolitik entsprechende Aussagen zur Integration dieser Pflichten in das Risikomanagement treffen. Das Risikomanagement soll zudem Szenarioanalysen zum Klimawandel durchführen.

Diversität künftig inklusive

Abschließend schlägt die EIOPA vor, dass die Mitgliedsstaaten oder die nationalen Aufsichtsbehörden ihre EbAV dazu verpflichten sollen, für die Leitungs- und Aufsichtsgremien:

1. eine Diversität und Inklusion fördernde Einstellungspolitik zu erlassen

2. ein Ziel für das unterrepräsentierte Geschlecht zu erstellen

3. eine Methode zur Erreichung dieses Ziels zu entwickeln.

Davon sind nur EbAV mit weniger als vier Mitgliedern dieser Organe befreit.

Außerdem soll ebenfalls in die EbAV-II-Richtlinie eine geschlechtsneutrale Vergütungspolitik aufgenommen werden. Die Umsetzung dieser Anforderungen sind seitens der EbAV sowohl gegenüber ihren Aufsichtsbehörden als auch via Jahresbericht öffentlich zu berichten.

Fazit des Autors

Was hat also die Teilnahme der Branchenverbände an der Konsultation gebracht? Nicht weiter verfolgt wurde seitens der EIOPA bspw. der Ansatz, durch die Einführung von „Low-Risk-IORPs“ zum einen das Common Framework2 in praktische Anwendung zu bringen und zum anderen Non-Low-Risk-IORPs die Anwendung von Proportionalität zu verweigern.

 

Je später die Argumente eingebracht werden,

desto geringer ist ihre Wirkung.“

 

Außerdem stellt die EIOPA klar, dass allein durch die Anwendung der doppelten Materialität in der Kapitalanlage EbAVs nicht dem Art. 8 der Offenlegungsverordnung unterfallen.

Verglichen mit dem Umfang der vorgeschlagenen Änderungen scheint der bisherige Wirkungsgrad begrenzt. Wichtig ist es jedoch, bereits in dieser frühen Phase die Argumente gegen entsprechende Veränderungen der EbAV-II-Richtlinie aufgeführt zu haben. Je später die Argumente eingebracht werden, desto geringer ist ihre Wirkung. Und der Umsetzungsprozess dieses Reviews wird uns noch lange Zeit begleiten.

Der Autor ist Leiter des Bereichs Zusatzversorgungskasse der Soka-Bau.

Von ihm sind bereits auf LEITERbAV erschienen:

EIOPA Technical Advice for the Review of the IORP II Directive:
Auch Ratschläge sind Schläge
von Peter Gramke, 17. Oktober 2023

VAG-Informationspflichtenverordnung (III):
Das Aushängeschild
von Peter Gramke, 22. Juni 2020

VAG-Informationspflichtenverordnung (II):
Keep it klar und allgemein
von Peter Gramke, 7. Mai 2020

VAG-Informationspflichtenverordnung (I):
Regulierung mit Augenmaß
Peter Gramke, 31. März 2020

53 in Brüssel:
TTYPE fragt Renten-Experten
Peter Gramke, 22. November 2015

Fußnoten:

1) Röhle, Gramke: „EIOPA-Konsultation zur Überprüfung der EbAV-II-Richtlinie – kleines Review mit großen Auswirkungen?“ in: BetrAV 5-2023.

https://www.aba-online.de/application/files/1716/9036/1010/20230731_BetrAV_5_2023_Auszug.pdf

2) Die EIOPA wird natürlich nicht müde, in dem Ratschlag immer wieder auf die Vorteile des Common Framework für das Risikomanagement hinzuweisen. Letztlich sieht sie allerdings noch notwendige Arbeit am Konzept für erforderlich an und verzichtet auf einen entsprechenden Vorschlag zur Änderung der EbAV-II-Richtlinie.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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