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Wiesbadener Gespräche zur bAV 2020:

Angebots-Obligatorium, Markttrends und …

…viel Diskussionsbedarf: Schon traditionell finden kurz vor Karneval die Wiesbadener Gespräche der Kanzlei Förster & Cisch zur bAV statt. Nils Börner dokumentiert für LEITERbAV einige der Inhalte und damit beginnt auf LEITERbAV eine kurze Serie zu denjenigen bAV-Veranstaltungen, die vor den Zeiten von Corona stattgefunden haben.

 

 

Prof. Wolfgang Förster…

19. Februar, der Mittwoch vor Weiberfastnacht, Domäne Mechtildshausen in Wiesbaden: Bereits zum vierten Mal treffen sich rund 45 Interessierte zu den von Förster & Cisch veranstalten Wiesbadener Gesprächen und diskutieren aktuelle Themen – vom BRSG über die Möglichkeit eines Obligatoriums bis hin zur möglicherweise erforderlichen Neuausrichtungen der betrieblichen Altersversorgung.

 

Nach der Begrüßung durch RA Prof. Wolfgang Förster führt sodann RA Philipp A. Lämpe, seit Anfang des Jahres Gesellschafter-Geschäftsführer bei Förster & Cisch, durch den Tag.

 

Beschäftigungssicherung im Fokus – weniger die bAV

 

Den inhaltlichen Auftakt übernimmt Kerstin Schminke, dem Parkett als profilierte Expertin der IG Metall für alle Fragen der bAV bekannt. Sie beleuchtet die ursprünglich mit dem BRSG verfolgten Ziele und benennt insbesondere § 100 EStG, die sogenannte „Doppelverbeitragung“ und den Zusatzbeitrag bei der Entgeltumwandlung als Themen, die in der Praxis mehr oder weniger unerwartete Probleme bereiten würden.

 

Kerstin Schminke, IG Metall…

Einem rein arbeitnehmerfinanzierten Obligatorium als Vehikel zur Verbreitung der bAV in KMU erteilt Schminke eine unmissverständliche Absage; hinsichtlich eines mischfinanzierten verpflichtenden Systems fällt die Positionierung – wohl auch aufgrund des ebenfalls als Referent anwesenden Karsten Tacke (Hauptgeschäftsführer Pfalzmetall) – eher zurückhaltend aus.

 

Im Hinblick auf die im März anstehenden Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie schürt Schminke zudem keine Hoffnungen auf den Abschluss eines Tarifpartnermodells. Angesichts der wirtschaftlichen Lage insbesondere der Zulieferbetriebe stehe derzeit vor allem die Beschäftigungssicherung und weniger die bAV im Fokus der Tarifvertragsparteien.

 

Skepsis bezüglich des BRSG hat sich bestätigt

 

Wolfgang Strengmann-Kuhn, MdB Bündnis 90/Die Grünen…

MdB Wolfgang Strengmann-Kuhn (Bündnis 90 / Die Grünen, sozial- und arbeitsmarktpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion) beleuchtet in Vertretung für den rentenpolitischen Sprecher Markus Kurth sodann das Miteinander von gesetzlicher Rente auf der einen und der privaten und betrieblichen Altersversorgung auf der anderen Seite.

 

Aus Sicht der Grünen sei die bAV ein unverzichtbarer Bestandteil der Alterssicherung, wenn es um die Aufrechterhaltung des Lebensstandards gehe. Ideal sei hierfür ein „Bürgerfonds“ (ähnlich der „Deutschlandrente“), also ein auf Kapitaldeckung basierender öffentlicher Anlagefonds geeignet. Dieser soll – so Strengmann-Kuhn – zwar nicht verpflichtend sein. Es solle aber dennoch ein sogenanntes Angebots-Obligatorium geben, also das zwingende Angebot von Arbeitgebern an die Arbeitnehmer. Wie sich dies zum Anspruch auf Entgeltumwandlung auf der einen und einem „echten“ Obligatorium auf der anderen Seite verhalte, bleibt offen.

 

Dicke Bretter für die Sozialpartner

 

Karsten Tacke, Pfalzmetall…

Im Anschluss an Strengmann-Kuhn referiert Tacke zum BRSG aus Arbeitgebersicht. Problematisch seien insbesondere die zunehmende Komplexität und der Umstand, dass bestimmte Aspekte des BRSG für viele Arbeitnehmer schlicht nicht „sexy“ genug seien.

 

Tacke veranschaulicht dies an § 1a Abs. 1a BetrAVG und der Tatsache, dass die Anwendung dieser Regelung zum Teil dazu führe, dass Arbeitgeber eine höhere SV-Ersparnis weitergeben müssten, als sie tatsächlich erzielten. Beim Arbeitgeber blieben vielfach die materielle Belastung und der volle Verwaltungsaufwand hängen. Die Sozialpartner hätten dicke Bretter zu bohren, um die politisch gewollte Verbreitung der bAV zu fördern. Wichtig sei es daher Verbreitungshindernisse aus dem Weg zu räumen und Rechtssicherheit herzustellen.

 

Zwischen Niedrigzins und 6a

 

An die Referate von Schminke, Strengmann-Kuhn und Tacke schliesst sich eine von Lämpe moderierte lebhafte Diskussion über das BRSG und dessen Zukunft an. Beispielhaft wird die Wahrnehmung im Markt anhand einer Studie u.a. zur Frage der Risikobereitschaft der Arbeitnehmer diskutiert:

 

Einigkeit besteht bei den Diskutanten, dass die zunehmende Komplexität die Vermittlung und somit auch die Verbreitung der bAV erheblich erschwere. Die Erkenntnis, dass ein Wegfall von Garantien im insbesondere derzeitigen Zinsumfeld eher Vor- als Nachteil sei, müsse verstärkt kommuniziert werden. Aus dem Auditorium wird durch Wolfgang Degel (BMW AG) zudem auf die untragbaren Belastungen durch § 6a EStG Bezug genommen und diese Problematik an die Politik adressiert.

 

Der Niedrigzins wird dabei offenbar zunehmend als anhaltendes Faktum gesehen. Jedenfalls äußerte ein Teilnehmer wörtlich: „Die Frage ist nicht, was machen wir mit dem Nullprozentzins, sondern was können wir anders machen.“

 

Gefragt sind „Lösungen im Sinne der Mitarbeiter, nicht im Sinne der Experten“

 

Martin Haep und Judith May, Mercer…

Den Blick über den Tellerrand der bAV wagen sodann Judith May (Head of Legal & Tax Consulting bei Mercer) und Martin Haep (Partner & Wealth Leader Germany bei Mercer). Sie skizzieren aktuelle Talent Trends und beleuchteten, inwieweit diese eine Neuausrichtung der bAV erfordern.

 

Haep und May präsentieren ein Model des sog. „Opting-Over“, mit welchem bestimmte Vergütungsbestandteile zugunsten anderer Leistungen (auch der bAV) abgewählt werden könnten. Entscheidender Vorteil hierbei sei, dass der Arbeitnehmer in Abhängigkeit von seiner individuellen Lebenssituation das Vergütungspaket den sich im Ablauf ändernden Prioritäten anpassen könne.

 

Die beiden Referenten kommen zudem zu der Conclusio, dass der Fürsorgegedanke eine nur noch untergeordnete Rolle spiele. Es käme vielmehr darauf an, überkommende Regelungen zu hinterfragen, zu modernisieren und Lösungen im Sinne und im Interesse der Mitarbeiter zu finden.

 

Neuigkeiten aus Erfurt und Luxemburg

 

… und Theodor B. Cisch auf den diesjährigen Wiesbadener Gesprächen.

Zum Abschluss der Wiesbadener Gespräche 2020 referieren Lämpe und RA Theodor B. Cisch (Rechtsanwalt und Gesellschafter-Geschäftsführer bei Förster & Cisch) wie gewohnt zu Rechtsprechungsentwicklung des vergangenen Jahres.

 

Lämpe erläutert die Entscheidung des EuGH v. 19.12.2019 – C-168/18 zum Insolvenzschutz bei Pensionskassen und gibt einen Ausblick auf die zu erwartende BAG-Entscheidung. Cisch stellt den Teilnehmer weitere Entscheidungen des vergangenen Jahres so u.a. das Urteil des BAG v. 22. Oktober 2019 – 3 AZR 429/18 zur Anwendbarkeit des dreistufigen Prüfungsschemas auch bei Betriebsübergängen vor.

 

Förster & Cisch wird mit den Wiesbadener Gesprächen am 10. Februar 2021 auch im kommenden Jahr wieder eine Plattform für Diskussionen über die Weiterentwicklung der bAV bieten.

 

 

Nils Börner, Foerster & Cisch.

Der Autor ist Rechtsanwalt | Fachanwalt für Arbeitsrecht und ebenfalls seit 1. Januar 2020 Gesellschafter-Geschäftsführer der Förster & Cisch Rechtsanwaltsgesellschaft, Wiesbaden.

 

Von ihm bzw. anderen Autoren der Förster & Cisch erschienen zwischenzeitlich auf LEITERbAV:

 

Wiesbadener Gespräche zur bAV 2018:

Was nicht auf der Kapitalanlagenseite verdient wird…

von Dr. Nils Börner, Wiesbaden, 19. Februar 2018

 

Von Erfurt nach Luxemburg (I):

Vier Fragen und ein steiniger Weg

von Theodor B. Cisch und Philipp A. Lämpe, Wiesbaden, 6. Juni 2018

 

Wiesbadener Gespräche zur betrieblichen Altersversorgung 2019:

Wenn einer eine Reise tut …

von Philipp A. Lämpe, Wiesbaden, 13. März 2019

 

Von Erfurt nach Luxemburg (III):

Anderer Fokus

von Theodor B. Cisch und Philipp A. Lämpe, Wiesbaden, 21. Mai 2019

 

Wiesbadener Gespräche zur bAV 2020:

Angebots-Obligatorium, Markttrends und …

von Dr. Nils Börner, Wiesbaden, 12. März 2020

 

Risiken für die bAV durch das Gesetz für faire Verbraucherverträge:

Am seidenen Faden des Verbraucherschutzes

von Theodor B. Cisch und Dr. Nils Börner, 19. April 2021

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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