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WTW-Umfrage:

Am Arbeitgeber liegt es jedenfalls nicht

In 88 Prozent der Unternehmen sind Regelungen für die Entgeltumwandlung etabliert. Weitere acht Prozent übernehmen entsprechende Vorschläge ihrer Mitarbeiter. Dennoch greifen von denen nur wenige zu. Lediglich in einem Drittel der Unternehmen nehmen mehr als die Hälfte der Beschäftigten dieses Angebot wahr, wie eine aktuelle Umfrage zeigt. Daran kann auch das BRSG offenbar nichts ändern.

 

Eine bAV durch Mitarbeiterbeiträge gehört zum Standardangebot von Unternehmen: In 88 Prozent der Firmen sind Regelungen für die Umwandlung von Entgelt in Altersvorsorgeansprüche etabliert. Weitere acht Prozent übernehmen entsprechende Vorschläge ihrer Mitarbeiter.

 

Und dennoch greifen nur wenige Mitarbeiter zu. Lediglich in einem Drittel der Unternehmen nehmen mehr als 50 Prozent der Mitarbeiter dieses Angebot wahr, wie eine aktuelle Umfrage von Willis Towers Watson zeigt. Daran hat auch das BRSG nichts geändert, wie 83 Prozent der Unternehmen sagen.

 

Heinke Conrads, WTW.

Die Unternehmen packen die Entgeltumwandlung aktiv an und kommen den Wünschen der Arbeitnehmer nach einer sicheren und bedarfsgerechten bAV weitgehend nach – das ist gut“, sagt Heinke Conrads, Leiterin Retirement Deutschland und Österreich bei Willis Towers Watson. „Dennoch zeigt sich, dass Mitarbeiter ihren Vorsorgebedarf offenbar nicht gut genug einschätzen können und die bisherigen Informationen der Unternehmen diese Lücke wohl nicht wirksam füllen. Wenn das Ziel des BRSG – die weitere Verbreitung der bAV und der Ausbau ihrer Finanzierungsgrundlage – erreicht werden soll, bleibt also noch viel zu tun“, resümiert Conrads.

 

Gute Leistungspakete für Mitarbeiter

 

Weitere Ergebnisse: 80 Prozent der Unternehmen bieten für die Eigenvorsorge der Mitarbeiter mehr als einen Durchführungsweg an. Am häufigsten wird hier die Direktversicherung genannt (75 Prozent), gefolgt von der Direktzusage (54 Prozent).

 

Abb. 1: Unternehmen managen Entgeltumwandlung aktiv.

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Dabei herrscht die „klassisch-konservative“ Anlage der Beiträge über die unterschiedlichen Durchführungswege hinweg weiter vor, doch halten immer mehr Unternehmen zumindest als Alternative stärker am Kapitalmarkt orientierte Anlagemöglichkeiten bereit.

 

So bieten mehr als die Hälfte der Unternehmen (58 Prozent) noch klassische Versicherungsprodukte mit garantiertem Rechnungszins an, in 40 Prozent gibt es (auch) schon neuere Versicherungsprodukte mit Garantie der eingezahlten Beiträge. Kapitalmarktorientierte Versicherungsprodukte finden sich bei 30 Prozent der Unternehmen, und in zwölf Prozent der Unternehmen besteht auch die Möglichkeit, eine über den Kapitalmarkt finanzierte Direktzusage zu nutzen.

 

Riester weiter retardierend – viel Flexibilität – Matching

 

Die durch das BRSG überarbeitete Riester-Förderung (bekanntlich für die CDU im Allgemeinen der neue Erfolgsmaßstab schlechthin) wird hingegen für die bAV nur selten genutzt: Lediglich 13 Prozent der Unternehmen halten entsprechende Angebote bereit.

 

Beweglich: In meisten Unternehmen (75 Prozent) können die Mitarbeiter ihre bAV an ihren individuellen Bedarf anpassen – meist im Hinblick auf einmalige oder laufende Beiträge und die Auszahlung als Rente oder Einmalbetrag, aber auch bezüglich zusätzlicher Absicherungsoptionen für den Invaliditäts- oder Todesfall.

 

Bemerkenswert: Fast zwei Drittel der Unternehmen (63 Prozent) bezuschussen die Beiträge der Mitarbeiter zu ihrer Altersversorgung, mehrheitlich über das gesetzlich geforderte Maß hinaus.

 

Abb. 2: Unternehmen bieten Ihren Mitarbeitern Wahlmöglichkeitenin der bAV.

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Die Unternehmen haben – auch schon vor dem BRSG – die bestehenden Möglichkeiten genutzt, um ihren Mitarbeitern durchdachte Vorsorgemöglichkeiten anzubieten. Das BRSG hat die Notwendigkeit einer bAV nun noch einmal stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt – aber Mitarbeiter lassen darauf noch keine Taten folgen“, erklärt Heiko Gradehandt, Director bei Willis Towers Watson. Mehr als vier Fünftel (83 Prozent) der Unternehmen registrieren keine Veränderung. Lediglich in 15 Prozent ist die Nachfrage nach Eigenvorsorgemöglichkeiten deutlich gestiegen.

 

Angebote werden dennoch zu selten genutzt

 

Woran hakt es also? Hier scheinen sich Unternehmen und Mitarbeiter einig zu sein: Mitarbeiter kennen ihren Versorgungsbedarf nicht. Diesen Grund führ die Zurückhaltung führen die befragten Unternehmen am häufigsten an. Auf Platz 2 folgt: nicht genügend freies Einkommen zur Vorsorge zur Verfügung. Mitarbeiter verstünden die Angebote nicht oder seien grundsätzlich skeptisch gegenüber Versicherungsangeboten – diese Argumente werden ebenfalls genannt.

 

Damit schätzen die Unternehmen ihre Mitarbeiter treffend ein“, sagt bAV-Experte Gradehandt mit Blick auf die Ergebnisse einer weiteren Studie: Fast die Hälfte der Mitarbeiter (45 Prozent) halten die ihnen vorliegenden bAV-Informationen für zu komplex. Knapp ein Drittel (31 Prozent) fühlt sich nicht ausreichend informiert, wie der Global Benefits Attitudes Survey von Willis Towers Watson 2017 zeigte. Jedoch lohne es sich für Unternehmen, hier „nachzulegen“, so WTW. Denn für die meisten Mitarbeiter (74 Prozent) ist es wichtig, dass ihr Arbeitgeber eine aktive Rolle bei der bAV einnimmt. Und immerhin: Für 58 Prozent ist eine bedarfsgerecht gestaltete und kommunizierte bAV ein wesentlicher Grund, bei ihrem Arbeitgeber zu bleiben, wie die Studie zeigte.

 

Unternehmen tun das Richtige – aber vielleicht nicht auf die richtige Weise“, vermutet Gradehandt. „Sie bieten gute Vorsorgelösungen an und kommunizieren diese. Wenn dies bei den Mitarbeitern aber nicht oder nicht verständlich ankommt, werden sie die Angebote auch nicht wahrnehmen.“ Unternehmen sollten die Angebote daher häufiger, einfacher und ansprechender kommunizieren, empfiehlt der Experte. Er betont: „Unternehmen lassen trotz schwieriger Arbeitsmärkte hier viel Potenzial zur Mitarbeiterbindung und -gewinnung liegen. Zudem ist ein Großteil der Arbeit – die Entwicklung und Implementierung der Vorsorgeangebote – ja schon getan. Jetzt fehlt mit der überzeugenden Kommunikation quasi nur noch der letzte Meter bis zum Tor.“ Bei rund der Hälfte der Unternehmen (49 Prozent) sieht Gradehandt diesen Hinweis auf fruchtbaren Boden fallen: Sie planen, ihre Informationsmaßnahmen künftig zu intensivieren.

 

Fazit von LEITERbAV

 

Flexible Angebote, willige Arbeitgeber und sogar noch Matching – und jüngst erst haben Studien von Fidelity und Aon ähnlich wie die zweite hier genannte gezeigt, dass die Arbeitnehmer der bAV nicht grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen, sich aber mehr Einsatz und Hilfe vom Arbeitgeber wünschen.

 

Was soll man dazu sagen? Richtig ist, dass die Arbeitnehmer den letzten Meter zum Tor, wie Gradehandt es formuliert, in der Tat gehen sollten. Richtig ist auch, dass ein flächendeckendes, rechtlich fest verankertes Opting-out der deutschen bAV sichtlich hülfe.

 

Jedoch gehört zu Wahrheit weiteres: Erstens ist ein Arbeitgeber ein Arbeitgeber (mit seinen ganz eigenen Nöten, Zwängen und Herausforderungen) und – mit Verlaub – kein Kindermädchen. Und auch Arbeitnehmer sind erwachsene, souveräne Bürger, denen man ein gewisses Engagement für ihre eigene Altersversorgung zumuten können sollte. Auch hier gilt der Karl-Schillersche Satz von den Pferden und den Tränken.

 

Und: Die WTW-Umfrage zeigt doch offenbar, dass auch im 21. Jahrhundert viele Arbeitgeber in Deutschland völlig abseits ihres (meist nicht einfachen) Kerngeschäftes und trotz wirklich nicht unkomplexer bAV-Gemengelage bereit sind, sich mit Versorgungsordnungen, Beratungs- und Vertriebsaufwand, VM-Gutachten, Aktuaren, unklarer Rechtssprechung, 6a, 253, IAS 19, Bilanzberührung, Doppelverbeitragung, Planvermögen, unsteten Kapitalmärkten, Performance-Risiken, Niedrigzins, Anpassungsprüfungs- und Nachschusspflichten, Versorgungsausgleich, 15%-Zuschuss, PSV, ESG-Regulierung, BaFin, EIOPA, Erfurt, EuGH etc. pp auseinanderzusetzen, um ihren Arbeitnehmern eine Zusatzversorgung zu ermöglichen. Und dafür auch noch bezahlen.

 

Andererseits muss man die Arbeitnehmer, die sich mit der Vorsorge zurückhalten, auch verstehen – zumindest diejenigen, die sich über die Sache überhaupt Gedanken gemacht haben. Es sei hier erneut wiederholt: Erstens sind die Fördertatbestände in der deutschen bAV überschaubar. Und zweitens gilt angesichts von anhaltender, Exit-loser Währungszerstörung durch die Politik und folgerichtig zunehmend taumelnder EbAV: Jeder Arbeitnehmer, der es bevorzugt, von seinem Gehalt im Heute zu leben als im Überüberübermorgen auf eine Rente in welcher Währung und von welcher Einrichtung auch immer zu hoffen und stattdessen angesichts der demographischen Zwänge und der gegenwärtigen politischen Trends eine ohnehin in einigen Jahrzehnten kommende Art einer „Deutschen Einheitsrente“ auf der Rechnung hat, verhält sich – und das ist einer der bitteren Teile der Wahrheit – nicht irrational.

 

Mehr denn je gilt für die deutsche bAV im 21. Jahrhundert der alte, kassandrische Satz: Einfache Lösungen drängen sich nicht auf.

 

Über die Studie

 

Von Juli bis September 2019 befragte Willis Towers Watson rund 90 Unternehmen zur Ausgestaltung ihrer bAV-Entgeltumwandlungsangebote. Die Befragung zeigt, wie sich Angebot und Nachfrage nach der Einführung des BRSG verändert haben, wie stark neuere Vorsorgeprodukte genutzt werden und worauf Unternehmen und Mitarbeiter Wert legen. Der Studienreport ist bei Willis Towers Watson auf Anfrage erhältlich.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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