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3. Berliner bAV-Auftakt – Impressionen im Stakkato (I):

„30 Prozent vom Staat sind günstiger als alles andere“

Die bAV-Reform steht schon seit einem halben Jahr als Gesetzestext fest; seit wenigen Wochen ist sie in Kraft. Was sich jetzt an neuen Möglichkeiten durch das BRSG auftut, wurde auf der turnusgemäßen bAV-Auftakt-Fachtagung „Die bAV im Dialog – offene Fragen und Umsetzung des BRSG“ Ende Januar in Berlin-Dahlem zusammengetragen. LbAV-Autor Detlef Pohl war dabei und gibt die wichtigsten Gedanken in Kurzform wieder. Heute: BMF, Nordmetall und ver.di.

 

Geladen hatte bereits zum dritten Mal nach 2016 und 2017 die Hochschule Schmalkalden und hier Prof. Mathias Ulbrich, Leiter des Schwerpunktbereichs Personal, Arbeits- und Sozialrecht an der dortigen Fakultät Wirtschaftsrecht; Mitveranstalter war die Kanzlei BLD Bach Langheid Dallmayr. Gekommen waren Vertreter aus Politik, Sozialpartnern, Versorgungsträgern, Verbänden und Wissenschaft. Die Diskussion entzündete sich vor allem auch an den praktischen Schwierigkeiten zur Umsetzung des Sozialpartnermodells (SPM). Wegen der Dichte der Informationen dieser Tagung dokumentiert LEITERbAV Impressionen von der Tagung im Telegrammstil (sämtlich im Indikativ der nacheinander auftretenden Referenten):

 

 

BMF: neue Förderung additiv, nicht statisch, ohne Abgrenzung zu Altzusagen

 

Christine Harder-Buschner, BMF…

Regierungsdirektorin Christine Harder-Buschner, Referentin der Unterabteilung IV C „Einzelne Steuern vom Einkommen und Ertrag“ des Bundesministeriums der Finanzen:

 

+++ Das neue spezifische bAV-Fördermodell für Geringverdiener tritt additiv neben bisherige Fördermöglichkeiten, also keine Verrechnung mit § 3 Nr. 63 EStG oder der Riester-Förderung +++ 30% Förderbetrag, ausgezahlt an den ArbG, gibt es für zusätzliche bAV-Beiträge des ArbG zwischen 240 Euro und 480 Euro jährlich (inklusive Förderbetrag), also 72 bis 144 Euro jährlicher Förderbetrag +++ Schon jetzt sind die Effekte durch den bAV-Förderbeitrag für praktisch jeden ArbG gut: Bei lediglich 1.800 Euro Bruttoeinkommen hätten sie keinen Steuervorteil, bei 2.200 Euro dagegen schon über 20% Steuerersparnis +++ Grenze von 2.200 Euro für die Förderung von Geringverdienern ist keine statische Grenze, sondern „vorweggenommene Dynamisierung im Gesetz, das ursprünglich nur 1.800 Euro vorgesehen hatte“ +++ Förderung gilt auch für Bestandsfälle, wenn ArbG aufstockt; Fördermaßstab: Differenz aus bAV-Beitrag des ArbG 2018 zu 2016 +++ Erneute Anpassung der Förderung kommt allenfalls in knapp fünf Jahren, wenn das BRSG evaluiert wird +++ Für heute gilt: „30 Prozent vom Staat sind immer noch günstiger als alles andere“ +++ Steuerlich wird beim Dotierungsrahmen auf die häufig schwierige Abgrenzung zwischen Altzusage (bis 31.12.2004) und Neuzusage (ab 1.1.2005) verzichtet und die Möglichkeit beibehalten, 20% Pauschalbesteuerung nach §40b EStG a.F. zu nutzen +++ Wenn § 40b EStG a.F. zur Anwendung kommt (Voraussetzung: mindestens einmalige Beitragsleistung vor 2018 pauschal versteuert), beträgt Steuerfreiheit 8% der BBG abzüglich tatsächlich pauschalbesteuerter Beiträge +++ Beispiel zur Berechnungsgrundlage der Pauschalbesteuerung stehen im BMF-Schreiben vom 6.12.2017 +++ Neu: Steuerneutrale Übertragungen möglich bei Portabilität auch für vertraglich unverfallbaren Anwartschaften, bei Wechsel des Versorgungsträgers ohne Wechsel des DFW sowie auf PSV und anschließend auf ein Lebensversicherungskonsortium +++

 

 

Nordmetall: Sicherungsbeitrag zur zusätzlichen Absicherung geht gar nicht

 

…Jutta Kemme, Nordmetall…

Jutta Kemme, Leiterin Personal und Sozialpolitik bei Nordmetall, Verband der Metall- und Elektroindustrie e.V.:

 

+++ Beim BRSG stehen KMU noch zu wenig im Blickpunkt; „muss alles noch einfacher und kostengünstiger werden“ +++ Förderung von Geringverdienern ist in der Metall- und Elektrobranche nicht erste Wahl, da Arbeitnehmer im Schnitt deutlich mehr als 2.200 Euro brutto verdienen +++ bAV ist seit 2002 gesetzgeberisch initiiertem Funktionswandel ausgesetzt – vom freiwilligen betrieblichen Personalbindungsinstrument zu sozialpolitischem Instrument, das zur Lebensstandardsicherung beiträgt +++ ArbG empfinden „gesetzlich auferlegte Haftung für sozialpolitisch motivierte, nicht im betrieblichen Interesse organisierte und weitgehend nicht selbst steuerbare Altersvorsorge mit Kosten als Risiken für Unternehmer“ +++ BRSG beseitigt fehlende Anreize insbesondere für KMU nur zum Teil, statt Haftung entsteht neuer Aufwand (Beteiligung an Durchführung und Steuerung der BZ) und zusätzliche Kosten (Weitergabe „gesparter“ SV-Beiträge bei Entgeltumwandlung; Sicherungsbeitrag für rBZ) +++ „Das mit dem Sicherungsbeitrag, den Tarifpartner zur ‚zusätzlichen Absicherung‘ der rBZ vereinbaren sollen, geht gar nicht“ (Risiko müsste der Produktgeber tragen) +++ „ArbG benötigen professionelle Partner für das SPM“ +++ Zusammenarbeit mit den Versorgungseinrichtungen würde im SPM auf völlig neuen gesetzlichen Regelungen basieren, deren Bedeutung und Ausfüllung im Detail erst noch zu klären sind +++ Öffnungsklauseln in Tarifverträgen (TV) würden ArbG helfen, das bevorzugte bAV-System zu favorisieren +++ Einiges spricht für alte bAV-Welt mit nun deutlich besserer Förderung +++ Umsetzungsfrage: Bestehende ArbG-Zuschüsse sind auf Basis von 4% BBG kalkuliert; künftig keine Zuschüsse bei Umwandlungen über 4% hinaus? +++ Gesetzlicher ArbG-Zuschuss zu alter bAV, bessere steuerliche Förderung für DV, PK, PF sowie Wegfallen der Doppelverbeitragung für Riester-bAV bedeuten für ArbG mehr Aufwand, mehr Kosten und mehr Beratungsbedarf +++

 

 

Verdi: Weiter Nachdenken über eigenes Versorgungswerk

 

 

…und Norbert Reuter, ver.di, auf dem 3. Berliner bAV-Auftakt Ende Januar 2018 in Berlin. Alle Fotos Yvonne Weigert.

Norbert Reuter, Leiter der tarifpolitischen Grundsatzabteilung der Bundesverwaltung der Vereinten Dienstleistungs-Gewerkschaft Verdi:

 

+++ SPM in der Praxis zu installieren, ist wegen Streubreite in Sachen bAV im Verantwortungsbereich von Verdi schwierig +++ Im Öffentlichen Dienst besteht mit den ZVK/VBL hohe Qualität der tarifvertraglichen Absicherung, in anderen Bereichen dagegen nur rudimentäre oder gar keine bAV +++ Seit Monaten Gerüchte, dass Verdi daher womöglich eigenes Versorgungswerk gründet. „Das ist noch immer völlig offen“ +++ Gründung wird inzwischen ernsthaft geprüft; Verdi klärt derzeit mit Experten und Anbietern zahlreiche Fragen“, zum Beispiel:

  • Gibt es genügend ArbG, die mit Verdi bAV-TV abschließen wollen?

  • Wie lassen sich gangbare Voraussetzungen angesichts einer Vielzahl von ArbGn schaffen?

  • Wie könnte ein Versorgungswerk aussehen, damit unterschiedliche Branchen Zugang finden?

  • Lassen sich bestehende Versorgungswerke (etwa VBL) nutzen oder integrieren?

  • Wie lässt sich verhindern, dass bestehende Garantiesysteme unter Druck geraten?

  • Lassen sich mit ArbG gemeinsame Vereinbarungen für ein rBZ-Versorgungswerk treffen?

  • Mit welchen Kosten und Personalaufwand ist bei Errichtung zu rechnen, und wer bezahlt das?

  • Wie sind die langfristigen Entwicklungschancen, um große Kollektive zu erreichen?

+++ Bisher kam noch kein einziger ArbG aus unversorgten Verdi-Bereichen auf die Gewerkschaft zu, um eine von ihm finanzierte bAV aufzulegen +++ Reuter bemängelt aktuell fehlende „On-Top-Beteiligung der ArbG, die lediglich Entgeltumwandlung und ArbG-Förderbeitrag für Geringverdiener nutzen wollen +++ „Entscheidungsprozess in Sachen Versorgungswerk läuft“, bei dem man sich womöglich „vorhandener Versorgungsträger bedienen“ will +++ Verdi bleibt grundsätzlich bei Präferenz, Lebensstandardsicherung im Alter über erste Säule im Umlageverfahren zu organisieren +++ Selbst Wiederanhebung des gesetzlichen Rentenniveaus auf 50% würde Problem der Altersarmut für Geringverdiener nicht beseitigen: Bei 2.200 Euro Monatseinkommen käme nach 35 (40) Versicherungsjahren lediglich knapp 790 Euro (900 Euro) Bruttorente raus, was im Bereich der heute durchschnittlichen Grundsicherungsbetrag liegt (800 Euro) +++ Vor diesem Hintergrund ist bAV einzige kollektive Möglichkeit, steigender Altersarmut entgegenzuwirken +++ Risiken durch SPM:

  • Verantwortung der Tarifparteien für Kapitalanlage

  • drohender Reputationsverlust (z.B. bei nötiger Rentensenkung)

  • hoher finanzieller Aufwand in Startphase

  • neue Welt“ (ohne Garantien) verdrängt „alte Welt“ (mit Garantien)

+++ Falls Versorgungswerk für Verdi-Mitglieder kommt, könnten auch Outsider beitreten, für die dann aber sachlich begründet Eintrittsgebühr fällig sein könnte, falls Firma weiter Tarifbindung ablehnt +++

 

Weitere Berichterstattung von der Tagung findet sich auf LEITERbAV hier.

 

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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