Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Powertag Sozialpartnermodell:

„30 bis 50 Prozent mehr Rente für Deutschland“

Die bAV-Reform ist seit 20 Monaten in Kraft. Vorgestern wurden aktuelle Chancen des Sozialpartnermodells Arbeitgebern und Gewerkschaften auf einer Fachtagung in Berlin-Mitte nahegebracht. Im Raum war der Zeitdruck spürbar, endlich zu Tarifabschlüssen zu kommen, weil sonst ein Obligatorium kommen dürfte. LbAV-Autor Detlef Pohl war dabei und dokumentiert die wichtigsten Aussagen im Telegrammstil.

 

Los geht es auf LEITERbAV mit der schnellen Berichterstattung zu einigen der bAV-Tagungen in diesem „Heißen Herbst“. In den Berlin Capital Club des Hilton-Hotels am Berliner Gendarmenmarkt hatte Die Deutsche Betriebsrente (Konsortium aus Talanx und Zurich mit letzterer als Konsortialführer) rund 60 Vertreter von Tarifparteien geladen, um auf dem Weg zu den überfälligen SPM-Tarifabschlüssen voranzukommen.

 

Bislang gibt es deutschlandweit noch immer keinen einzigen SPM-Tarifvertrag. Daher wollten die Veranstalter gemeinsam mit Experten mit ausgewählten Unternehmen wohl vor allem den Gewerkschaften Berührungsängste mit den Zielrentenmodellen für Arbeitnehmer nehmen, die ohne die gewohnten Garantien auskommen müssen. Wegen der Dichte der Informationen dokumentiert LEITERbAV Impressionen im Telegrammstil (sämtlich im Indikativ der Referenten):

 

30 bis 50 Prozent mehr Rente als mit alter bAV

 

Fabian von Löbbecke, Vorstandschef HDI Pensionsmanagement, und Lars Golatka, Vorstandschef Deutscher Pensionsfonds:

 

+++ Verweis auf die Mehrwerte, die sich durch das SPM ergeben +++ Kollektives Sparen mit Sicherheitsmechanismen ermöglichen 20 bis 30 Prozent höhere Aktienquote als mit individuellen Fondspolicen und bei gleichem Risiko einen Prozentpunkt mehr Rendite +++ Rund 3,8 Prozent Zielrendite denkbar, was zu 30 bis 50 Prozent höherer Gesamtrente als bei klassischer bAV mit Garantien führen kann +++ Zielrente dürfte im Korridor zwischen 90 und 230 Prozent der Garantierente aus klassischer bAV landen +++ SPM-Startrente zu 99 Prozent Wahrscheinlichkeit höher als die klassische bAV-Garantierente +++ Begründung Garantieverbot ermöglicht offensivere Kapitalanlagepolitik und lässt über 3 Prozent Rendite mehr als mit vorhandenem Deckungsstock erwarten; vorgeschriebene lebenslange Rente bewirkt verbesserte Liquiditätssteuerung durch Optimierung der Duration, und 100 Prozent der Erträge stehen dem Kunden direkt zu (kein Umweg wie RfB) +++

 

+++ Kostenvorteile von 4 Prozent durch automatisierte/digitale Verwaltung und verringertes Solvenzkapital, außerdem reduzierte Abschlusskosten durch digitale Beratung und Kostendruck in Ausschreibungen +++ Steuerung der Kapitalanlage ermöglicht, dass mit 93 Prozent Wahrscheinlichkeit die SPM-Rente jeden Monat größer als die Gesamtrente der bisherigen klassischen bAV ist; durch Sicherungsbeiträge in Höhe von 5 Prozent kann Wahrscheinlichkeit auf 95 Prozent erhöht werden +++

 

Die Referenten: Raffelhüschen, Arteaga, Quiring, v. Löbbecke, Golatka, Bockelmann, Döll (v.l.n.r.).

Bild zur Volldarstellung anklicken. Foto: Müller; Grauel.

 

BRSG ist ausdrücklich nicht alternativlos

 

Marco Arteaga, Partner der Kanzlei DLA Piper:

 

+++ geistiger Vater des SPM erinnert an BMAS-Statistiken, wonach der bAV-Verbreitungsgrad 2017 nur noch 55,6 Prozent (2013: 58,9 Prozent) beträgt und im Schnitt Versorgungslücke von 650 Euro besteht +++ Erfahrungen im Ausland mit Zielrente lassen 2,5 bis 3,5 Prozent höheren Ertrag pro Jahr erwarten +++ Tarifparteien müssen sich an Durchführung und Steuerung der bAV beteiligen, aber nicht Kapitalanlage direkt steuern, sondern durch Auswahl eines Modells zu Beginn die Anlagestrategie vorgeben und später überwachen +++ auch Möglichkeit zum Ausstieg mit Bestandsübertragung – „jede gute Ehe kann auch geschieden werden“ +++

 

+++ Handlungsdruck auf baldige SPM-Tarifabschlüsse gewachsen, weil Regierungskommission „Verlässlicher Generationenvertrag“ bis März 2020 Bericht vorlegen soll +++ bei Scheitern des SPM könnte Kommission „gesetzliches Obligatorium“ mit Zwangssparen in dritter Säule vorschlagen, bei dem Arbeitgeber für Beitragseinzug zuständig wären +++ BMAS-Forschungsbericht 494 zu internationalem Altersvorsorge-Vergleich kommt zu ähnlichem Ergebnis: „Vieles spricht für das britische Vorbild: Ein verpflichtendes automatic enrolment“ über die Arbeitgeber mit opting-out für Arbeitnehmer +++

 

+++ BRSG „ausdrücklich nicht alternativlos“ +++ einheitlicher staatlicher Megafonds für Kapitalanlage in dritter Schicht (Beispiel „Deutschlandrente“) könnte bAV in unbedeutende Nebenrolle drängen +++ bereits für Ende Oktober 2019 wird vom BMAS vergebenes Gutachten zur verfassungsmäßigen Zulässigkeit eines solchen Zwangssparmodells erwartet +++ Arteaga hofft auf SPM-Beschlüsse, da im Herbst zahlreiche Gewerkschaftskongresse stattfinden und sich Zeichen verdichten, dass einige Arbeitgeber „dicht vor Haus-Tarifverträgen stehen und vielleicht sogar der eine oder andere Flächen-Tarifvertrag“ zustande kommt +++

 

Ohne (kontrolliertes) Risiko keine Chance auf Rendite mehr

 

Christof Quiring, Leiter Investment- und Pensionslösungen Fidelity International:

 

+++ sichere Anleihen mit festem Zins funktionieren leider nicht mehr +++ Herausforderung für Kapitalanlage wie nie zuvor, da mit Negativzins keine Garantien nachhaltig finanzierbar +++ ohne (kontrolliertes) Risiko keine Chance auf Rendite mehr +++ Zinsgarantien von 3 bis 4 Prozent passten in ein Umfeld, in dem sich Bundesanleihen mit 6 Prozent verzinst haben +++ Aktien längst nicht so unter Druck wie Zinsträger +++ SPM erlaubt wesentlich höhere Beteiligung der Begünstigten am globalen Produktivvermögen +++ dadurch können auch in „japanischen Verhältnissen“ Renditen erzielt werden, die realen Vermögenszuwachs erzeugen +++

 

+++ Zielrentenportfolio sollte hohen Diversifizierungsgrad aufweisen, Schwerpunkt bei Produktivvermögen haben, global ausgerichtet sein, aktiv und dynamisch gemanagt werden +++ Investmentthemen gehen dem Markt nicht aus, folgen Megatrends, die sich allerdings auch alle zehn Jahre ändern +++ Trendsetter globale Unternehmen, an denen deutsche Rentner nun stärker profitieren können und sollten +++ professionelle Vermögensverwaltung in Kombination mit kollektiven Sicherheitspuffern gewährleistet hohes Maß an Sicherheit +++ Vola wird aber auch schon durch den Anlagemix selbst abgemildert +++ Fidelity-Zielrentenportfolio mit über 1.500 Einzeltiteln zielt auf hohe Resilienz des Portfolios, so dass es Störungen von außen abfedern kann +++ Dasselbe auch bei Alterssicherungssystemen, die einerseits Störungen von außen abfedern und andererseits sich an strukturelle Veränderungen anpassen können +++

 

 +++ Fazit: kollektives Sparmodell der reinen Beitragszusage kennt keine Zinsgarantien, ermöglicht aber realwertorientierte und nachhaltige Kapitalanlage und so deutlich rentablere Altersvorsorge +++

 

Zentrale bAV-Plattform entlastet alle Stakeholder

 

Martin Bockelmann, Vorstandschef des Technologiedienstleisters xbAV AG:

 

+++ erläutert Funktionsweise und Fähigkeiten digitaler Plattformen +++ alle vier Stakeholder können dort effizient wirken +++ Arbeitgeber können einfach informieren und verwalten, Produktanbieter effizient digitale Prozesse erledigen, Vermittler professionell beraten und verwalten sowie Arbeitnehmer die bAV verstehen und informiert entscheiden +++ sein Haus hat gemeinsam mit Deutscher Betriebsrente „Consumer-Account“ gebaut, der mit einfachsten Mitteln informierte Entscheidungen für Arbeitnehmer erlaubt +++ Sozialpartner könnten zudem Tools zur Steuerung von Versorgungswerken nutzen +++ Fazit: Digitalisierung kann das Werkzeug für eine hohe bAV-Verbreitung und mehr Kosteneffizienz sein +++

 

Sichere Kommunikation für den steten bAV-Überblick

 

Stephan Döll, Managing Partner der Lurse Digital Solutions AG:

 

+++ im SPM Datensicherheit, Transparenz und zugleich auch Datenschutz notwendig +++ Entsprechend komplex im Hintergrund, aber einfach im Vordergrund muss der Portalservice für Sozialpartner organisiert werden +++ sein Haus legt Wert auf Weiterleitung der Daten mit Technik und Technologie in Deutschland +++ Personaldaten in Bestandsverwaltungs-Software besonders sicher und geschützt +++ in einer einzigen Datenbank sowohl die Assets als auch die Liability-Seite hinterlegt und damit Datenlieferung an alle vier Stakeholder gewährleistet +++ Arbeitgeber und Arbeitnehmer sehen bei Bedarf stets den „Fitnessmonitor“ ihrer Kapitalanlage im SPM +++

 

Zielrente ist alternativlos

 

Bernd Raffelhüschen, Professor für Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft an der Universität Bergen und der Universität Freiburg:

 

+++ zunächst Blick auf erste Säule: „Die Rente ist gerecht gewesen“, aber das bröckelt +++ harte Kritik an Norbert Blüm +++ Lebensleistungsprinzip gab es schon immer, aber seit abschlagsfreier Rente mit 63 (Initiator: Andrea Nahles) und der Planung einer Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung (Initiator Hubertus Heil) gefährdet +++ auch Generationengerechtigkeit, die von der Verteilung demografischer Lasten nach dem Verursacherprinzip gekennzeichnet ist, wackelt seit „Heils Plan einer doppelten Haltelinie“ +++ richtiger wäre, Langlebigkeitsproblem konsequenter anzupacken und Umsetzung der Rente mit 67 (Initiator: Franz Müntefering) nicht weiter auszuhöhlen +++ andernfalls könnten „unsere Kinder die Rentenhöhen herabsetzen“ +++ es geht um Sicherung des Lebensstandards, zumal Bruttorente in Zukunft immer stärker und am Ende voll besteuert wird +++ müssen uns darauf einstellen, länger zu arbeiten und mehr zu sparen +++ für Nettorentenniveau von 70 Prozent etwa 5 bis 7 Prozent des Bruttoeinkommens zu sparen +++

 

+++ Vergleich von Kapitalerträgen (durationsgewichtet) 2016 zeigt, dass Dividende von Aktien, bezogen auf Ankaufskurs, bei 8,3 Prozent lag (im Vergleich 5,9 Prozent bei Immobilien und 0,8 Prozent bei Anleihen) +++ daraus ergibt sich im Schnitt realer Kapitalertrag von 5,0 Prozent, höchster Wert seit 60 Jahren +++ private und auch betrieblich ersetzende Altersvorsorge haben das Umlageverfahren teilweise nur verbrieft; wirkliche Kapitaldeckung ist das nur bedingt +++ Garantien zwingen zur Abschaffung der ersetzenden Altersvorsorge; daher ist Zielrente alternativlos +++

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

© Pascal Bazzazi – LEITERbAV – Die auf LEITERbAV veröffentlichten Inhalte und Werke unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Keine Nutzung, Veränderung, Vervielfältigung oder Veröffentlichung (auch auszugsweise, auch in Pressespiegeln) außerhalb der Grenzen des Urheberrechts für eigene oder fremde Zwecke ohne vorherige schriftliche Genehmigung. Die Inhalte einschließlich der über Links gelieferten Inhalte stellen keinerlei Beratung dar, insbesondere keine Rechtsberatung, keine Steuerberatung und keine Anlageberatung. Alle Meinungsäußerungen geben ausschließlich die Meinung des verfassenden Redakteurs, freien Mitarbeiters oder externen Autors wieder.