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Pfingsten-Kassandra – Die kommentierte Presseschau zur bAV:

11 Euros müsst ihr sein

Unregelmäßig freitags bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: Das ewige Vorbild im Norden, die verkürzte Darstellung in der GRV, der intellektuelle Standard im Milieu, Neues von der Flughafen-Malaise, Trauzeugen nun auch im BMAS – und Deep Kassandra: Mit wem reden Sie hier überhaupt?

Private Banking Magazin (22. Mai): „AP7-Chef Richard Gröttheim: ‚Unser größter Fehler war, nicht von Anfang an nur auf Aktien gesetzt zu haben.“

Das ewige Vorbild Schweden war mit seinem AP7 ja vor einigen Monaten auch ausführlich Gegenstand auf LEITERbAV, analysiert von unserem Mann vor Ort Reiner Gatermann.

Hier nun ein Interview mit Gröttheim, nicht uninteressant, auch wenn es nicht in technische Einzelheiten geht (für schwedische Gesprächspartner ist das nicht ungewöhnlich).

Eingangs wird er halb-ironisch gefragt, ob er sich vorstellen könnte, ein analoges System in Deutschland aufzubauen. Dazu zwei Dinge: Erstens wäre diese Aufgabe in Deutschland nicht verlockend, für niemanden. Und zweitens wird es, wie die Leserschaft von LEITERbAV schon von Beginn der Diskussion an weiß, so etwas in Deutschland ohnehin nicht geben.

Im Übrigens hier noch mal ein altes Axiom (gestern, erst wieder auf LEITERbAV Dynamics gepostet): Es ist und bleibt Rätsel gleichermaßen, warum in einem Land, in dem die erste, umlagefinanzierte Rente mit Abstand den Löwenanteil der AV ausmacht, auch alle Zusatzrenten ebenso dröge, renditearm und niedrigvolatil angelegt sein müssen/sollen/wollen.

Etwas überspitzt: Bei einer solchen Dominanz der GRV sollten alle Zusatzrenten per Gesetz zu einer Anlage von 100% in Real Assets mit völlig selbstverständlicher Inkaufnahme aller damit einhergehenden Vola investiert sein. Doch wenn selbst 15 Jahre Niedrig- und Nullzins nicht ausgereicht haben, hier einen echten Paradigmenwechsel einzuleiten (Ausnahme SPM), dann ist nicht damit zu rechnen, dass das jemals passieren wird. Garantien und Null-Vola fallen nicht vom Himmel, sondern werden IMMER irgendwie von den Berechtigten bezahlt. Weiss jeder, will aber kaum jemand wahrhaben.

Hinzu tritt, auch das ist seit über zehn Jahren hier auf LEITERbAV thematisiert, dass der Verzicht auf groß angelegte, rein auf Real Assets gestützte Pensionseinrichtungen eines der großen Defizite der ohnehin völlig insuffizienten deutschen Industriepolitik darstellt.

Focus (22. Mai): „Schon dem Erfinder unseres Rentensystems schwante Böses.“

Gut, das stimmt ja alles was da der Kolumnist da schreibt, die Demographie. Aber irgendwie findet Kassandra den Beitrag gleichwohl etwas unvollständig, wohlwollend ausgedrückt.

Denn die Demographie ist bei weitem nicht alles. Sondern erstens krankt die gesetzliche Rente auch daran, dass ihr über die Jahrzehnte en masse versicherungsfremde Leistungen und Wahlgeschenke aller Art (das dümmste wohl die „Rente mit 63“) aufgebürdet worden sind. Hätte es dies nie gegeben, dann wäre hier und heute wohl erheblich weniger Druck auf dem Kessel.

Zweitens sollte man die GRV nicht singulär betrachten. Der steigende Druck betrifft alle Sozialsysteme, aus welchen Töpfen auch immer sie (quer-)gespeist werden. Addiert man bspw. den Steuerzuschuss zum Gesundheitssystem, kommt man schon auf 130 Mrd. Euro im Jahr, die der Bund zubuttert. Wer Humor hat, kann in einer erweiterten Betrachtung noch die Bahn zu den Sozialsystemen zählen (die auch 17. Mrd. p.a. braucht, nur um nicht direkt stehen zu bleiben).

Drittens: Teil der unangenehmen Wahrheit ist auch, dass die Beschäftigungsquote in manchen Milieus einfach viel zu gering ist, mit vielfältigen Folgen für die vielfältigen Sozialsysteme. Selbst bei ukrainischen Flüchtlingen, viele gut ausgebildet und auch ehrgeizig, erreicht sie gerade mal zweistellige Prozentwerte, wie die Bundesregierung im Oktober mitgeteilt hat.

Viertens schließlich darf man auch die Gesamtheit der Sozialsysteme nicht singulär betrachten. Denn die sind eingebettet in die Gesamtentwicklung eines Staates und seiner Volkswirtschaft und können nicht unabhängig davon gedacht und prognostiziert werden. Und gerade hier sieht es – ungeachtet aller Wirtschaftswunder-Träumerein – alles andere als rosig aus.

OFF TOPIC – TO WHOM IT MAY CONCERN

New York Post (22. Mai): „AI-generated photo of fake Pentagon explosion sparks brief stock selloff.“

Inwiefern KI wie ChatGBT künftig die bAV verändern könnte, ist gestern erst auf LEITERbAV diskutiert worden.

Kassandra hatte jüngst weiter ausgeholt – nämlich darauf hingewiesen, dass die Frage einer jeden Authentizität – von Bildern und Filmen, von Aussagen, von Dokumenten, von Beweisen, von Gesprächspartnern, von der wahrgenommenen „Realität“ aller Art – zu einer kritischen Kernfrage aller modernen Gesellschaften werden wird. Einen nur winzigen Vorgeschmack – mal eben ein paar Hundert Mrd. USD schwere Bewegungen an den Börsen ausgelöst – bekam man Anfang der Woche, wie US-Medien berichteten (s.o. verlinkt).

Kassandrische Prognose: Nicht innerhalb eines Jahrzehnts oder gar länger, sondern innerhalb von höchstens 72 Monaten wird die KI eine solche Qualität erreichen, dass Sie und wir alle künftig kaum noch einen Bereich des Zusammenlebens und der Kommunikation haben werden – abseits des unmittelbar persönlichen Austauschs mit dem physisch-direkten Gegenüber – in der Sie sich der Authentizität Ihres Gegenübers gewiss sein können.

Sie werden nicht wissen, ob der, die oder das, was Sie da hören oder sehen oder verstehen, echt ist oder nicht – nicht in der Kommunikation mit Ihrer Bank, nicht in Gesprächen mit Journalisten, nicht in Verhandlungen mit Gesprächspartnern oder Ihrem Arbeitgeber, nicht bei Hilferufen Ihrer Tochter aus dem Bali-Urlaub, nicht bei Warnungen durch die Polizei oder bei Zahlungsaufforderungen des Finanzamtes oder Ihrer Ehefrau, ja nicht mal bei dem Konsum eines Erotikfilmes (auch letzteres ist hier keinesfalls witzig gemeint. Stichwort Deepfake: Es gibt bereits ganze Genres gefälschter Filme, die manch US-Prominenten längst ernste Schwierigkeiten bereiten – die sich derzeit wegen der noch nicht ganz perfekten Qualität der Fälschungen noch in gewissen Grenzen halten. Doch damit wird es bald vorbei sein. Im Übrigen wird man für Filme gleich welcher Art bald überhaupt gar keine Darsteller mehr brauchen). KI-gestützte Varianten der perfiden Enkel-Tricks, dann auch keineswegs mehr auf alte Menschen begrenzt, werden nicht lange auf sich warten lassen.

ZDF – Terra X – MrWissen2go Geschichte (17. Mai): „Bundestag-Check: Was wissen unsere Politiker über Geschichte?“

Sehenswert. Positiv: Praktisch alle befragten MdB parteiübergreifend historisch mehr oder weniger sattelfest, eher mehr als weniger. Bei den jüngeren überrascht das gar ein wenig. Allerdings waren die Fragen auch alle machbar, im Fußball würde man sagen: haltbar; in der Schule: Jahrgangsstufe 10 oder 11.

Keine einzige Frage dabei, die Kassandra auch in jungen Jahren nicht auch noch mit 3 Promille direkt aus dem Stegreif hätte beantworten können (außer die mit dem Frauenwahlrecht; war es nun direkt 1918 oder erst 1919? Auf jeden Fall direkt mit Start der Weimarer Republik; und da der kaiserliche Waffenstillstand 1918 erst im November stattfand und die Weimarer Verfassung erst ausgearbeitet und verabschiedet werden musste, kommt man nach kurzem Überlegen auf 1919).

Nur beispielhaft, eine wahrhaft kassandrische Frage wäre gewesen: Wer folgte als erster einem Hans-Dietrich Genscher im Amt des Bundesaußenministers nach? Nur etwas für Ameisentätowierer, ohne Dr. Google bitte. Nein, nicht Klaus Kinkel.

Zurück zum ZDF: Ein Fall unter den befragten MdB sticht ein ganz klein wenig negativ heraus. Allerdings: In der betreffenden Partei und ihrem gesamten Milieu ist eine gewisse Debilität in der Intellektualität nicht wirklich ungewöhnlich, scheint zuweilen gar zum guten Ton zu gehören. Insofern sollte man das nicht überbewerten, der Standard im Milieu ist eben der Standard, und gewählt ist gewählt.

Möglicherweise fehlt hier in dem betreffenden Fall auch wie üblich das Bewusstsein eben für die eigene Insuffizienz – in gehobenen deutschen Soziologen- und Philosophen-Kreisen auch als das sog. Bohlen-Dilemma bekannt. Doch wer ist nun überhaupt gemeint? Das überlässt Kassandra Ihrem eigenen Urteil, werte Leserschaft.

WDR (23. Mai): Verstärkung für Sicherheitsdienst am Flughafen Köln/Bonn.“

Aha, der Köln Bonner Flughafen rüstet auf, personell bei den Sicherheitsabfertigungen. Nun, das Thema Chaos an deutschen Flughäfen (und an manch anderen auch) in seiner Pathogenese ist im Feuilleton von LEITERbAV ja im vergangenen Sommer ausgiebig analysiert worden.

Daher sei den neuen Verantwortlichen in Köln ein guter Rat gegeben: Das neue Personal soll einfach pro Schleuse ein paar Camping- oder Tapeziertische mitbringen, und vor allen Dingen ein strenges Sprechverbot gegenüber den zu kontrollieren Passagieren erhalten. Das nähme mit einem praktischen Null-Aufwand zumindest so viel Druck aus dem Kessel, dass das Problem gar nicht mehr als solches wahrgenommen würde und damit auch keine weiteren Maßnahmen nötig wären.

Positiv ist immerhin, dass man in Köln nun ein Reservierungssystem einrichten will, bei dem man als Fluggast sich einen kleinen Time Slot für die Kontrolle buchen kann. Der Autor hat es in Berlin einmal ausprobiert, hat funktioniert. Aber auch hier gilt: Ein solches System kann Abhilfe schaffen, das Problem aber nicht lösen, bleibt also auf der Ebene der Symptomkosmetik, als eine Art Krücke, und ist nur deshalb nötig, weil man offenbar außerstande ist, das Problem an der Wurzel zu packen.

Den Angaben zufolge habe man in Köln 10 Mio. Euro in Verbesserung und Optimierung der Abläufe investiert. Das kann man billiger haben: erstens LEITERbAV lesen. Zweitens verstehen. Drittens also dem Personal untersagen, mit den Passagieren individuelle Gesprächsrunden abzuhalten, und viertens mit ein paar Tischen ermöglichen, dass die Passagiere schon vor der Schleuse ihr Gepäck vorbereiten können. Kurz: Verhältnisse wie am Flughafen Palma de Mallorca schaffen. Dann braucht es keine 10 Mio. Euro und auch keine Reservierungssysteme. Aber gut, so ist es eben, das Deutschland im frühen 21. Jahrhundert: viel diskutieren, viel Geld ausgeben, viel rumdoktorn – nur keine Lösungen erreichen.

BMF (24. Mai): „11-Euro-Sammlermünze ‚UEFA Fußball-Europameisterschaft 2024‘.“

11 Euro Nennwert! Gute Nachricht, gute Idee! Die Bundesregierung wird tatsächlich eine 11-Euro-Sammlermünze „UEFA Fußball-Europameisterschaft 2024“ prägen zu lassen und voraussichtlich im Mai 2024 herausgeben (die EM wird nächstes Jahr erstmals seit 1988 wieder in Deutschland ausgetragen). Einzig: Die Münze besteht aus 500er-Silber. 500 ist ein bisschen kleinlich. Kassandra wird trotzdem einkaufen. 11 Euro Nennwert – das wird es so bald in Euroland nicht nochmal geben.

Die Welt (26. Mai): SPD-Minister Heil holte Trauzeugen als Abteilungsleiter ins Ministerium.“

Sowas kann auf LEITERbAV nicht passieren. Eines kann Kassandra Ihnen versichern: sie hat keinen Trauzeugen.

Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.

Frohe Pfingsten allen.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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