Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Das BMAS im Interview:

„Wir hoffen auf Besserung“

 

In der bAV gibt es derzeit Baustellen in einer Anzahl wie selten zuvor. Über fast alle sprach Nikolaus Bora mit Hans Ludwig Flecken, Leiter der Abteilung 4 Sozialversicherung und Alterssicherung im Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

 

 

 

LbAV-Autor Nikolaus Bora im Oktober 2014 in Berlin
LbAV-Autor Nikolaus Bora im Oktober 2014 in Berlin

Herr Flecken, über das Rentenpaket ist viel diskutiert worden. Kritiker bezeichnen es als einen Schritt zurück, also als eine Reform der Reform. Ihre Ministerin spricht von Korrekturen im System. Die Frage ist, welche Auswirkungen das Rentenpaket auf die bAV hat?

 

Keine, bis auf eine Ausnahme, die aber auch deutlich macht, dass es keine Reform des Systems ist, sondern eine Reform im System. Wir haben im Kontext mit der Einführung einer abschlagsfreien Rente ab 63 an einer Stelle das Betriebsrentengesetz angepasst. Die Berechnung der Versorgungsanwartschaft im ratierlichen Verfahren bis zur Regelaltersgrenze wird eben nicht weiter abgesenkt auf 63. Es gibt ja im Betriebsrentengesetz die Regelung, dass bei der abschlagsfreien Rente nach 45 Jahren das Endalter für die Berechnung der Betriebsrente das Alter 65 ist, und jetzt hätte man daran denken können, es auch auf 63 herabzusetzten zu Lasten der bAV. Das ist aber gerade nicht geschehen. Es ist bei dieser besonderen abschlagsfreien Rente bei der maßgebenden Altersgrenze 65 für die Berechnung der Rentenanwartschaft in der bAV geblieben. Unter dem Strich also keine Auswirkungen.

 

 

 

Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD vereinbart, die betriebliche Altersversorgung zu stärken, besonders in den Klein- und Mittelbetrieben. Die Koalition will die Voraussetzungen dafür schaffen und mögliche Hemmnisse für die KMU abbauen. Da ist bis jetzt aber noch nichts geschehen.

 

Das ist richtig. Wir sind dabei, in einem Arbeitskreis der bAV, der sich in der vergangenen Legislaturperiode gegründet hat, einmal eine Bestandsaufnahme zu machen, woran es liegen könnte, dass gerade in Klein- und Mittelbetrieben die bAV unterrepräsentiert ist. Inzwischen haben wir auch intern im BMAS ein Forschungsvorhaben aufgelegt. Wir wollten wissen, ob durch ein weiteres, dann externes Forschungsvorhaben sich Tools oder Instrumente signifikant ermitteln lassen, die die bAV-Problematik in den KMU aufzeigen. Das Ergebnis war: Man kommt über Forschung nicht weiter. Auf die Frage, warum es in ihren Betrieben keine bAV gibt, antworten die Arbeitgeber, die Arbeitnehmer kämen nicht auf sie zu, fragten nicht danach. Diese wiederum sagen, der Arbeitgeber biete nichts an. Das heißt, hier werden wir in erster Linie mit Transparenz und Informationen weiterkommen. Aber damit nicht genug. Wir müssen nach weiteren Wegen suchen, wie die bAV in den KMU verbreitert werden kann. Diskutiert wird da über mehrere Vorschläge.

 

 

 

„Wenn man niedrigverdienende Arbeitnehmer zu Lasten der besserverdienenden stärker fördert, bleibt der Gesamtdotierungsrahmen unverändert“

 

 

 

Auch das Finanzministerium will einen Forschungsauftrag in Auftrag geben. Ist das nun inzwischen geschehen?

 

Ja. Allerdings gab es Verzögerungen wegen der vorläufigen Haushaltsführung in diesem Jahr. Der Finanzminister gibt auch bekanntlich nicht gerne Geld aus. Das BMF musste mit viel Überzeugungskraft dazu gebracht werden, ein solches Vorhaben einmal auf den Weg zu bringen. Es soll ausgelotet werden, ob die derzeitige steuerliche Förderung der bAV nicht auch überschießende Förderungspotentiale hat. Es gibt Personenkreise, die unter sozialpolitischen Aspekten vielleicht nicht so stark steuerlich gefördert werden müssen wie andere. Wenn man niedrigverdienende Arbeitnehmer zu Lasten der besserverdienenden stärker fördert, bleibt der Gesamtdotierungsrahmen unverändert. Es entstehen also keine Einnahmeausfälle für den Bundeshaushalt. Die Ergebnisse dieser Untersuchung erwarten wir im ersten Halbjahr des kommenden Jahres.

 

 

 

Derzeit ist es ja so, dass sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Alter von 25 bis 65 Jahren größtenteils eine bAV oder eine Riesterrente oder sogar beides besitzen. Bei Arbeitnehmern mit einem Bruttolohn von weniger als 1500 Euro monatlich ist es problematisch.

 

Das ist richtig, deswegen wird in diesem Kontext auch diskutiert, ob, auch im Bereich der bAV als Förderinstrument für Geringverdiener ein eigenständiges Zulagensystem eingesetzt werden könnte. Zulagen bedeuten natürlich erstmal Aufwendungen zu Lasten des Bundeshaushaltes, und deswegen dürfte diese Idee beim Bundesminister der Finanzen nicht auf Gegenliebe stoßen, auch vor dem Hintergrund, dass es die Riester-Zulagen in der BAV bereits gibt. Aber theoretisch wäre dies sicherlich eine sinnvolle steuerliche Förderung und ein Anreiz für Geringverdiener, ihre Zulagen in eine Betriebsrente zu stecken, nicht in eine private Vorsorge.

 

 

 

„Die steuerliche Förderung der bAV ist durchaus lukrativ“

 

 

 

Wenn es um die steuerliche Förderung der bAV ging, waren alle Finanzminister der vergangenen Jahrzehnte ausgesprochen zurückhaltend.

 

Die steuerliche Förderung der bAV ist durchaus lukrativ. Denken Sie zum Beispiel nur an die „schrankenlose“ Möglichkeit von Rückstellungen im Rahmen von Direktzusagen. Und auch die 3/63-Förderung wird von den allermeisten Beschäftigten nicht voll ausgenutzt. Selbstverständlich besteht aber auch hier noch „Platz nach oben“. Deswegen ist es auch gut, wenn man einen Partner vorher einschätzen kann und fragt, unter welchen Rahmenbedingungen man die Dinge vorantreiben kann. Da gibt es interessante Vorschläge, gegen die der Finanzminister nichts haben dürfte.

 

 

 

„Im Durchschnitt wird der heute schon mögliche Förderrahmen von vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze bei weitem nicht ausgeschöpft“

 

 

 

Und bei anderen wird er sich wahrscheinlich querlegen. Zum Beispiel hat die aba den Vorschlag gemacht, den erwähnten 3/63 zu ändern und die Steuerfreiheit auf 15 Prozent des Vorjahreseinkommens zu erhöhen. Ferner meint die aba, über die Vier-Prozent-Grenze für Entgeltumwandlung hinaus sollten arbeitgeberfinanzierte Beiträge unbegrenzt steuerfrei sein. Diese Vorschläge kosten Geld.

 

Sie kosten Geld, und man muss fragen, ob sie in die richtige Richtung gehen. Nach Informationen, die uns im Sozialministerium vorliegen, wird im Durchschnitt der heute schon mögliche Förderrahmen von vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze bei weitem nicht ausgeschöpft, jedenfalls bei durchschnittlicher Betrachtung. Demnach ist Luft da, um zusätzliche entgeltumwandelte bAV unterzubringen. Außerdem kostet es Geld, diesen Rahmen derart zu erweitern, und es stellt sich die Frage, hilft man durch einen derartigen Schritt Geringverdienern und ist das ein spezifisches Förderinstrument für KMU.

 

 

 

„Im Sozialministerium nehmen wir das Opting-out-Modell nicht vom Schirm, stellen es jedoch zunächst zurück“

 

 

 

Der GDV plädiert für ein Opting-out-Modell.

 

Es gibt sogar Vertreter des Deutschen Bundestages, die so etwas in die politische Diskussion gegeben haben. Da ist einmal die verpflichtende bAV im Wege der Entgeltumwandlung. Jeder Arbeitgeber muss seinen Arbeitnehmern eine bAV nicht nur anbieten, sondern sie auch in ein Versorgungswerk einbeziehen. Der Arbeitnehmer hat dann aber die Möglichkeit, nicht mitzumachen. Dieses Modell sollte man, wie wir aus guten Gründen meinen, nicht komplett von der Tagesordnung nehmen. Zwang und Verpflichtung sind aber immer die ultima ratio; die bAV hat auch immer mal gute Zeiten erlebt, in denen sie durch geeignete Förderung auf freiwilliger Basis eine gute Verbreitung gefunden hat. Im Sozialministerium nehmen wir dieses Opting-out-Modell nicht vom Schirm, stellen es jedoch zunächst zurück, auch weil Obligatorien für die Arbeitgeber immer Belastungen bringen. Man muss auch zu Recht fragen, ob man der bAV, die doch eigentlich vom Arbeitgeber finanziert werden soll, damit einen Gefallen tut. In der Diskussion wird auch sicher gefragt werden, ob ein Obligatorium generell für alle Unternehmen gelten soll, also auch für kleine Betriebe. Wenn diese ausgenommen werden, wird das Ziel nicht erreicht, bAV in den KMU zu etablieren. Noch ein Punkt: Bei einem Obligatorium muss der Staat, wenn er ernst genommen werden will, ein Sanktions- und Kontrollsystem etablieren, um die Arbeitgeber zu erwischen und zu bestrafen, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen.

 

 

 

Müsste man die Arbeitgeber nicht auf alle Fälle verpflichten, die von ihnen ersparten Sozialabgaben dann in die bAV der Arbeitnehmer fließen zu lassen?

 

Auch diese Überlegungen werden diskutiert. Wir werden abwarten, ob der Diskussionsprozess dazu führt, dass durch Zwang Arbeitgeber bereitwillig zu entgeltumgewandelter bAV kommen. Darüber kann man wirklich geteilter Meinung sein. Vielleicht sollte man an die Vernunft und an die Verantwortung appellieren und auf gute Beispiele verweisen. Wir haben ja viele Tarifverträge, nach denen die Arbeitgeber noch etwas oben drauflegen, wenn sich der Arbeitnehmer für Entgeltumwandlung entscheidet.

 

 

 

Ist Ihnen nicht auch aufgefallen, dass es um soziale Verantwortung der Arbeitgeber heute nicht mehr so bestellt ist wie vor 30 oder 40 Jahren?

 

So allgemein kann man das wohl nicht sagen. Es wird sicherlich Arbeitgeber geben, die ein Interesse an der bAV haben, vielleicht auch ein Eigeninteresse schon unter dem Aspekt der Fachkräftesicherung. Das gilt nicht nur für Großunternehmen. Auch bei kleineren Unternehmen wird mancher Arbeitgeber sagen, ich bin froh diese Kraft zu halten und wird bemüht sein, einen attraktiven Arbeitsplatz zu bieten. Aus diesem Eigeninteresse heraus wird er sicherlich die bAV großzügiger ausgestalten, als sie nur im Wege der Entgeltumwandlung durchzuführen. Die Frage der Verpflichtung oder verpflichtende Teilelemente in der bAV einzuführen, halte ich in einem insgesamt auf Freiwilligkeit – jedenfalls aus Sicht der Arbeitgeber – beruhenden System für problematisch.

 

 

 

„Wenn eine reine Beitragszusage tarifpartnerschaftlich vereinbart ist […] sind auch die Arbeitnehmerinteressen gewahrt“

 

 

 

Ihr Haus ist dafür, die bAV auf tarifvertraglicher Grundlage oder durch Betriebsvereinbarungen auszuweiten. Die IG Metall hat Ihnen Vorschläge unterbreitet, die – zurückhaltend formuliert – überraschen. In Paragraph 17 des Betriebsrentengesetzes ist festgelegt, dass Tarifparteien in bestimmten Punkten von denen in den Paragraphen 1 bis 16 festgelegten Rechten und Pflichten abweichen dürfen, nicht jedoch von der Haftung des Arbeitgebers. Unter bestimmten Bedingungen ist die IG Metall bereit, auf eben diese Haftung zu verzichten. Können wir dann überhaupt noch von betrieblicher Altersversorgung reden?

 

Ich meine, dann ja, wenn auch unter solchen Bedingungen die bAV in der Verantwortung der Arbeitgeber bleibt, in der Finanzierungs- und in der Organisationsverantwortung. Ein Wesensmerkmal der bAV ist ja, diese kapitalgedeckte zusätzliche Altersversorgung in Kollektivsystemen zu organisieren und nicht dem Einzelnen ein individuelles Anlagerisiko und die Anlageverantwortung aufzubürden. Unter diesen beiden Aspekten sage ich, auch unter den Veränderungen, die Sie in den Raum gestellt haben, wäre auch eine so konstruierte bAV noch eine richtige betriebliche Altersversorgung.

 

 

 

„Ein Vorschlag geht ja dahin, einen PSV II zu schaffen“

 

 

 

Im Grunde läuft es doch auf eine reine Beitragszusage hinaus.

 

Richtig, aber wenn eine reine Beitragszusage tarifpartnerschaftlich vereinbart ist, das heißt, die Gewerkschaften in ihrer Verantwortung gegenüber den Arbeitnehmern gemeinsam mit dem Arbeitgeber sich zu ihren Gunsten auf eine solche für Arbeitnehmer attraktive bAV einlassen, sind auch die Arbeitnehmerinteressen gewahrt. Sicherlich gehört auch dazu, dass diese tariflichen Versorgungseinrichtungen eben in der Eigenverantwortung der Tarifpartner verwaltet und gemanagt werden. Ich denke hier an das Beispiel der „Sozialkasse Bau“, bei der wir eine solche tarifvertraglich getragene Sozialeinrichtung kennen. Man wird über die Absicherung reden müssen. Ein Vorschlag geht ja dahin, einen PSV II zu schaffen.

 

 

 

„Wir werden uns, zusammen mit DGB, BDA und aba sowie dem Bundesminister der Finanzen, über ein tarifvertraglich getragenes Modell austauschen“

 

 

 

Interessant ist, dass einige Arbeitgeber jetzt einen Rückzieher machen und sagen: So wollen wir es doch nicht haben!

 

Es sind sicherlich verschiedene Meinungsbildner auf dem Markt. Aber das verwundert nicht. Immer, wenn ein grundlegend neuer Gedanke in die Diskussion gebracht wird, gibt es Befürworter, die dem Vorschlag offen gegenüberstehen, und andere, die aus bestimmten Interessen heraus nichts davon halten. Das wäre für mich noch kein Sich-Verabschieden der Arbeitgeber von diesen Überlegungen. Wir werden sehen. Wir haben ja diesen interministeriellen Arbeitskreis betriebliche Altersversorgung. Da werden wir uns, zusammen mit DGB, BDA und aba sowie dem Bundesminister der Finanzen, über ein solches tarifvertraglich getragenes Modell austauschen.

 

 

 

„Die freiere Kapitalanlage der Pensionsfonds in der Auszahlungsphase ist durchaus ein Aspekt, von dem wir sagen, man könnte ihm nachgehen“

 

 

 

Die IG Metall verbindet ihren Vorschlag mit mehreren Forderungen: Das Steuerregime müsse vereinfacht werden, so dass die Unternehmen nicht mehr gezwungen werden, verschiedene Durchführungswege anzubieten. Die Betriebsrenten dürften nicht mehr mit so hohen Sozialabgaben belastet und nicht auf die Grundsicherung angerechnet werden. Außerdem müsse es für die Pensionsfonds in der Rentenbezugsphase eine freiere Kapitalanlage geben.

 

Die einzelnen Forderungen müssen geprüft werden. Ein Vertreter der Bundesregierung wird sagen, wir werden sie realpolitisch abklopfen müssen, inwieweit sie zu verwirklichen sind. Über die Probleme der steuerlichen Förderungen haben wir bereits gesprochen. Da wird sicherlich ein sehr dickes Brett zu bohren sein. Man wird abwarten müssen, was bei dem Forschungsvorhaben an Veränderungsvorschlägen herauskommt, vielleicht solche, die Förderung transparenter, vereinfachter zu gestalten. Die Forderung nach niedrigeren sozialen Abgaben kann man zu Recht stellen, muss aber wissen, dass diese ein großer Finanzierungsbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung sind, der zum Leidwesen der Betriebsrentner aus den Betriebsrenten erbracht wird. Das Verlangen ist also nachvollziehbar, doch ich habe meine Zweifel, ob es innerhalb der Bundesregierung durchsetzbar ist. Die Nicht-Anrechnung der bAV auf die Grundsicherung belastet wieder den Bundeshaushalt, weil dann die Mittel für die Grundsicherung erhöht werden müssen. Ferner stellen sich schwierige verfassungsrechtliche Fragen: Kann man nur die Betriebsrenten von der Anrechnung ausnehmen? Müssen nicht auch andere Formen berücksichtigt werden, bis hin zu gesetzlichen Rente in den Teilen, die auf eigenen Beiträgen des Arbeitnehmers beruhen? Last but not least – um nicht nur Bedenken anzumelden – ist die freiere Kapitalanlage der Pensionsfonds in der Auszahlungsphase durchaus ein Aspekt, von dem wir sagen, man könnte ihm nachgehen. Man sollte den Gedanken weiter verfolgen.

 

 

 

Werden Direktversicherungen privat fortgeführt, brauchen auf diesen Teil keine Sozialabgaben entrichtet zu werden. Bei Pensionskassen ist das nicht der Fall. Das ist doch auch ein Hemmnis.

 

Das ist unbestreitbar ein Hemmnis, wenn es darum geht, den Pensionskassendurchführungsweg weiter zu verbreitern. Aber auch hier muss sich die bAV in den Gesamtkontext des regierungsverantwortlichen Handelns einbetten. Die Zuständigkeit für diese Frage liegt beim Bundesminister der Gesundheit. Der muss sich auch mit der verfassungsrechtlichen Frage beschäftigen, ob diese Ungleichbehandlung beibehalten werden kann. Ich gehe fest davon aus, dass das laufende Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht landen wird.

 

 

 

„Ich möchte das Thema Wertguthaben doch vom Thema bAV trennen“

 

 

 

Zeitwertkonten sollen für flexible Übergänge genutzt werden können. Haben da die Arbeitgeber nicht die Möglichkeit für Manipulationen? Denn sie können die Zeitwertkonten für diverse andere Möglichkeiten gebrauchen und zum Schluss bleibt für die bAV nicht mehr viel oder gar nichts übrig.

 

Ich möchte das Thema Wertguthaben doch vom Thema bAV trennen. Wertguthaben sind einmal geschaffen worden, um dem Arbeitnehmer in seinem Erwerbsleben flexible Möglichkeiten einzuräumen, das Entgelt für von ihm geleistet Arbeiten einzusetzen, beispielsweise für die Pflege von Angehörigen und für ein früheres Ausscheiden aus der Erwerbstätigkeit vor Rentenbeginn. Die Möglichkeit, für diese Zwecke nicht verbrauchtes Wertguthaben steuer- und abgabenfrei in eine bAV zu stecken, war eigentlich gar nicht vorgesehen. Man darf auch nicht vergessen, dass, als sie abgeschafft wurde, zeitgleich die Befristung der Abgabenfreiheit bei der Entgeltumwandlung bis 2008 aufgehoben wurde.

 

 

 

Bei der bAV redet auch Brüssel mit. Wir haben die EU-Mobilitätsrichtlinie. Mit welchen Auswirkungen auf die bAV Deutschland?

 

Es gibt vier Bereiche, auf die sich die Mobilitätsrichtlinie erstreckt. Da ist einmal eine Neuregelung der Unverfallbarkeitsfristen, die deutlich gesenkt werden sollen. Jetzt braucht man eine Betriebszugehörigkeit von fünf Jahren und das Mindestalter 25. Künftig sollen für Neuzusagen eine Betriebszugehörigkeit von drei Jahren und ein Mindestalter von 21 Jahren gelten. Vorgesehen sind ferner Regelungen im Bereich der Werterhaltung der unverfallbaren Anwartschaft und der Abfindung von betrieblichen Versorgungsanwartschaften. Diese sollen nur noch mit Zustimmung des Arbeitnehmers möglich sein, auch bei sehr kleinen Anwartschaften. Außerdem ist die Verpflichtung geplant, dass Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer regelmäßig über den Stand ihrer betrieblichen Versorgungsanwartschaft informieren müssen.

 

 

 

Und wie steht es um die EU-Pensionsfondsrichtlinie, wie ist da der Stand der Dinge?

 

Bei der Pensionsfondsrichtlinie ist insoweit erfreulich, dass unter der italienischen Präsidentschaft das Thema Erhöhung des Eigenkapitals bei Pensionskassen, so wie es bei den gewerblichen Versicherungsunternehmen gefordert wird, politisch vom Tisch ist, jedenfalls vordergründig. Das war ja lange Zeit ein Anliegen des Kommissars Barnier. Es mag hier auch einen kleinen organisatorisch beruhigenden Aspekt geben: Die Pensionsfondsrichtlinie fällt künftig nicht mehr in den Bereich des für das Wettbewerbsrecht zuständigen Kommissars, sondern in den des für Versicherungsaufsicht und Finanzen zuständigen. Damit haben wir es nicht mehr allein mit dem Wettbewerbsgedanken zu tun, mit der Forderung, dass EbAV die gleichen Wettbewerbskonditionen vorfinden sollen wie gewerblich operierende Versicherungsunternehmen.

 

 

 

„Es ist das Bestreben unseres Handelns hier im Sozialministerium, erträgliche Ergebnisse der Brüsseler Beschlüsse für die deutsche bAV zu erzielen“

 

 

 

Insgesamt erreichen Quantität und Qualität der europäischen Vorgaben und Vorhaben dennoch Ausmaße, die jeden deutschen Arbeitgeber daran zweifeln lassen müssen, ob er sich zusätzlich zu seinem Kerngeschäft die bAV überhaupt noch antun soll. Meinen Sie, es wird besser, weil als neuer Kommissar der Brite Jonathan Hill für die bAV verantwortlich ist?

 

Man sollte stets hoffnungsfroh sein, dass sich die Dinge zum Besseren wenden. Und das ist das Bestreben von allen, die hier im Sozialministerium bemüht sind, die bAV zu einer weiteren Verbreitung zu verhelfen. Dazu gehört sicherlich eine Schutzbewahrungsfunktion vor allzu viel Bürokratie aus Brüssel, aber vielleicht auch des nationalen Gesetzgebers. Ich erwähne noch einmal das Stichwort Opting-out. Das ist ja unter den Aspekten, die wir eben besprachen, ebenfalls mit Bürokratie verbunden. Im Übrigen halte ich die Einschätzung, Europa zerstöre sozusagen die deutsche bAV, für überzogen. Bleiben wir doch realistisch. Es ist das Bestreben unseres Handelns hier im Sozialministerium, erträgliche Ergebnisse der Brüsseler Beschlüsse für die deutsche bAV zu erzielen. Und ich meine gerade bei der Portabilitätsrichtlinie ist uns das gelungen. In der Gesamtschau wurden Regelungen erreicht, die für das deutsche Betriebsrentengesetz wenige Veränderungen gebracht haben. Was die Pensionsfonds-Richtlinie betrifft, geht es hier um versicherungsaufsichtsrechtliche Vorgaben an Pensionskassen und Pensionsfonds. Ich bezweifle, ob diese handlungsleitend für deutsche Arbeitgeber sind, in ihren Unternehmen eine betriebliche Altersversorgung einzuführen. Wir warten mal ab, inwieweit der neue Kommissar in Brüssel Verständnis hat für die Besonderheiten der deutschen bAV. Die Briten haben ja ein ganz anderes System, das weniger von Freiwilligkeit geprägt ist als das deutsche. Wir hoffen auf Besserung.

 

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Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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