Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Sperrfeuer – der Kommentar auf LEITERbAV:

Wenn der Fahnenträger wankt

 

Eintreten für die individualisierte Riesterrente, wenig Engagement in der gegenwärtigen Diskussion zur bAV-Reform, Sorge um tarifpolitische Verwerfungen: Das organisierte Arbeitgeberlager zaudert bislang, so Bernhard Wiesner, und er rät zu mehr Mut und mehr Positionierung.

 

 

Bernhard Wiesner.
Bernhard Wiesner.

Was vor einem Jahr nur sehr wenige erwartet hätten, ist nun sehr real: Es zeichnet sich ab, dass der Gesetzgeber den stärksten und zugleich vertrauenswürdigen Interessenwaltern im Geschäftsmodell Deutschland – den Sozialpartnern – Verantwortung und Instrumentarien in die Hände legt, um die Verbreitung der bAV als effizienteste Form kapitalgedeckter Altersvorsorge im Interesse der Menschen entscheidend voranzubringen.

 

Folgte man in den zurückliegenden Monaten dieser Diskussion um neue, entscheidende Impulse in der bAV und insbesondere um das Sozialpartnermodell, so fiel eine merkwürdige Zurückhaltung der Arbeitgeber auf. In Programmpapieren wurde die Stärkung der „privaten und betrieblichen Altersvorsorge“ – in dieser Reihenfolge – gefordert. Der Arbeitgeberpräsident verlangte, dass „mit dem Riester-Bashing endlich Schluss sein müsse“, und Verbandsvertreter plädierten für eine Erhöhung der Riesterförderung.

 

 

Warum die Riesterrente tot ist

 

Nun ist das seinerzeit quasi mit staatlichem Güte- und Vertrauenssiegel als Vertriebshilfe ausgestattete Finanzprodukt Riesterrente heute als nachhaltiges Zukunftskonzept nicht tot, weil die Förderung zu niedrig wäre, sondern sie ist als individualisiertes, vertriebsgestütztes For-Profit-Finanzprodukt gescheitert. Der überzeugende Leistungsnachweis fehlt; das Vertrauen der Menschen ist verbraucht. Es ist und bleibt unmöglich, ein totes Pferd wiederzubeleben, indem man ihm heftig die Sporen gibt.

 

Nun wissen auch Verbandsvertreter, dass eine Stärkung versicherungsförmiger Finanzprodukte der privaten Säule unter Solvency II oder deren schwerpunktmäßiger Ausbau in der bAV auch schwere perspektivische Risiken für jede Form von bAV als Non-Profit-Sozialleistung der Unternehmen und Sozialpartner nach sich ziehen. Dieser verstärkte Trend in der bAV in Richtung Solvency II läuft bereits seit 2001, insbesondere über das vertriebsgestützte Finanzprodukt Direktversicherung. Ein weiterer Ausbau derartiger Finanzprodukte trüge dazu bei, dass sich die Grundkoordinaten der gesamte bAV immer mehr existenzgefährdend in Richtung For-Profit-Finanzprodukte unter Solvency II verschieben. Dies kann nicht im Interesse der Arbeitgeber und ihrer Arbeitnehmer und auch nicht im gesamtgesellschaftlichen Interesse liegen.

 

So hat der Bundestag schon 2012 in einem bemerkenswerten Beschluss zur Abwehr der Übertragung von Solvency-II-Vorgaben auf die Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (EbAV) festgestellt:

 

Die Besonderheit der bAV besteht darin, dass sie auf dem Arbeitsrecht beruht, d.h. auf dem individuellen Arbeitsvertrag oder kollektivrechtlichen Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern. Die bAV ist in erster Linie eine betriebliche Sozialleistung und kein bloßes 'Finanzprodukt'. Als eine solche Sozialleistung steht die bAV auch nicht im Wettbewerb mit sonstigen Finanzmarktprodukten“.

 

 

Wer, wenn nicht die Arbeitgeber?

 

Erster Fahnenträger für die betriebliche Altersversorgung in Deutschland sind die deutschen Arbeitergeber. Wer, wenn nicht sie? Warum dann aber Signale in andere Richtungen, wissend dass dies erhebliche Risiken für die Non-Profit-bAV der Unternehmen und der Sozialpartner beinhaltet? Warum die bislang so wenig markante Positionierung des Fahnenträgers für die so wichtige bAV?

 

Sollen also die Weichen in der bAV nicht endgültig in Richtung For-Profit-Finanzprodukte unter Solvency II gestellt werden, so ist jetzt für die deutschen Arbeitgeber höchste Zeit, sich überzeugend für die bAV als Sozialleistung der Unternehmen und auch der Sozialpartner zu positionieren. Man kann sich zwar vorstellen, dass in Verbandsteilen die Furcht vor erheblichen Nachteilen aus neuen, ggf. wenig vorhersehbaren „Tarifmechanismen“ die Sorge um die nachhaltige Zukunft der Non-Profit-bAV der Unternehmen und Sozialpartner überwiegen könnte. Aber bei nüchterner Betrachtung gilt das bekannte Bibel-Zitat: „Fürchtet Euch nicht!“.

 

 

Ausbalanciert und Non-Profit

 

Denn zum einen stehen an der Seite ihrer Verbände diejenigen Unternehmen und Arbeitgeber, die schon lange begriffen haben, dass ihre Arbeitnehmer eine hochwirksame bAV brauchen. Und es stehen auch die KMU und Handwerksmeister an ihrer Seite, die heute alle wissen, dass ihre Leute mit der Umlage-Säule allein nicht über die Runden kommen werden und die gerne etwas für sie tun würden, wenn es nur einfach und vertrauenswürdig (!) wäre. So spricht alles dafür, dass die weiter wachsende Mehrheit der Unternehmen und Arbeitgeber mit ihrer bAV, zwar ohne die „Technik“ im Einzelnen zu verstehen, aber dennoch gefühlt, nicht in die Richtung vertriebsgestützter, versicherungsförmiger For-Profit-Finanzprodukte (unter Solvency II) gehen möchte.

 

Ihnen wird – auch wenn heute noch der eine oder andere fremdeln mag – bei genauerer Betrachtung ein hocheffizientes, vertrauenswürdiges Non-Profit-Sozialpartner-Konzept (unter IORP II), gut balanciert von Arbeitgebern und Gewerkschaften, viel, viel näher liegen.

 

 

MetallRente: Künftiges Non-Profit Musterbeispiel

 

Deutlich würde dies am Beispiel der Metall & Elektroindustrie. In der MetallRente GmbH mitteln der Geschäftsführer und sein Team heute die Trägerunternehmen und die Versicherungskonsorten der MetallRente. Ohne Zweifel könnte in einer künftigen eigenen MetallRente-EbAV mit den beiden Gesellschaftern Gesamtmetall und IG Metall das gleiche Expertenteam unter den neuen Rechtsoptionen ein vertrauenswürdiges und in der Effizienz überlegen besseres Non-Profit-Spitzenkonzept anbieten, das auch für KMU und ihre Arbeitnehmer von großer Attraktivität wäre. Auf der Grundlage von MetallRente-EbAV befristet ausgeschriebener Mandate wäre in diesem Konzept auch Platz für die jeweils besten Finanzdienstleister.

 

Dass eine solche Non-Profit-Metallrente-EbAV erheblich näher bei der Non-Profit-bAV der Unternehmen steht als jedwedes Solvency II-Finanzprodukt, liegt auf der Hand. Ebenso offenkundig ist, dass ein entsprechender Gleichklang von gemeinsamen Interessen der Unternehmen und der Sozialpartner für eine starke Zukunft der bAV der Arbeitnehmer erhebliche positive Folgewirkungen für die Entwicklung gerade der Non-Profit-bAV in Unternehmen aller Größen haben wird.

 

 

Gemeinsame Vorteile sichern gemeinsame Interessenwahrnehmung

 

Zum anderen ist auch nicht zu erwarten, dass diese neuen gemeinsamen Ansätze der Sozialpartner für eine leistungsstarke bAV in einseitig nachteilige Tarifmechanismen abrutschen könnten. Hier besteht weder Anlass noch Raum für vielleicht ansonsten tarifpolitisch überkommene „Usancen“. Die Vorteile für beide Seiten aus der gemeinsamen Verantwortung für Konzept und Instrumentarium zur konsequenten Stärkung der Non-Profit-bAV für die Arbeitnehmer sind so immens, dass der gemeinsame Nutzen der neuen Optionen im ureigensten Interesse jeder Seite liegen muss. Alleine können es weder Arbeitgeber noch Gewerkschaften – nur zusammen oder gar nicht! Das sichert zugleich eine höchst konstruktive Balance starker Interessenwalter für einen neuen Aufbruch der bAV mit überlegener Leistungsstärke und hoher Verbreitung.

 

Daher besteht weder Anlass zur Furcht noch für ein Wanken oder Zaudern. Arbeitgeber und Gewerkschaften können, wenn sie nicht aufpassen, sehr viel verlieren; aber jetzt gemeinsam noch sehr viel mehr gewinnen für die Non-Profit-bAV im Interesse der Menschen. Es ist jetzt hohe Zeit, dafür klar Flagge zu zeigen.

 

 

Der Autor war bis 2015 Senior VP Corporate Pensions der Bosch Gruppe und Mitglied des bAV-Ausschusses der BDA. Er ist Mitglied des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (aba).

 

Von ihm und anderen Autoren erschienen bereits als Kommentare zur bAV-Reformdebatte auf LEITERbAV:

 

 

Kein dritter Schuss“

von Bernhard Wiesner, seinerzeit Senior VP Corporate Pensions der Bosch Gruppe, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung und Mitglied des bAV-Ausschusses der BDA, 30. Oktober 2014.

 

Paradigmenwechsel mit Folgen“

von Markus Klinger, Leiter des Fachkreises „betriebliche Altersversorgung und Lebensversicherung“ in der Vereinigung der Versicherungs-Betriebswirte e.V. VVB, 23. Februar 2015.

 

Stunde der Wahrheit“

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 26. Februar 2015.

 

Evolution oder Revolution?“

von Klaus Mössle, Leiter des institutionellen Geschäfts bei Fidelity Worldwide Investment in Deutschland, 12. März 2015.

 

bAV in der Breite voranbringen”

von Peter Schwark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV), 5. März 2015.

 

Falsche Furcht vor dem Kahlschlag. Oder: Warum der VFPK irrt.“

von LbAV-Autor Detlef Pohl, 1. Juni 2015.

 

Warum nicht die Rosinen picken?“

von Marco Arteaga, Rechtsanwalt und Partner bei DLA Piper in Frankfurt am Main, 19. Oktober 2015.

 

Es könnte so einfach sein…

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 19. Februar 2016.

 

Der Staub der Jahrzehnte“

von André Geilenkothen, Principal bei Aon Hewitt in Mülheim an der Ruhr, 14. März 2016.

 

Weiße Salbe und totes Pferd“

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 4. April 2016.

 

Entgeltumwandlung 2.0: Insolvenzschutz einmal anders“

von Cornelia Rütters, Juristin, und Andreas Fritz, Vorstand der Pensionskasse für die Deutsche Wirtschaft VVaG, Duisburg, 18. August 2016.

 

Wenn der Fahnenträger wankt“

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 10. Oktober 2016.

 

 

 

Hinzu treten die Kommentare, die LbAV-Chefredakteur Pascal Bazzazi zu dem Thema verfasst hat:

 

Nicht, dass wir am Ende blank dastehen“, 8. Mai 2014.

 

The Great Game“, 18. November 2014.

 

The Great Game (II)“, 11. Mai 2015.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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