Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Sperrfeuer – der Kommentar auf LEITERbAV:

Weiße Salbe und totes Pferd

 

Statt Wünschen nach Kosmetikmaßnahmen wie jüngst im HGB zu folgen, sollte der Gesetzgeber fundamentale Weichen stellen – insbesondere auch bei perspektivisch zu Ende gehendem Lebenszyklus der Direktzusage, schreibt Bernhard Wiesner, und empfiehlt den Tarifparteien konsequentes Handeln für die KMU.

 

 

Bernhard Wiesner.
Bernhard Wiesner.

Dem ausdrücklichen Wunsch eigentlich aller Stakeholder entgegen kommend – nur die Bundesbank votierte dagegen – hat der Gesetzgeber jetzt für Unternehmen in der HGB-Bilanzierung den Zeitraum der Zinsdurchschnittsbildung für die Ermittlung von Pensionsverpflichtungen von sieben auf zehn Jahre heraufgesetzt. Etliche Stimmen kommentieren dies als Schritt in die richtige Richtung für die bAV. Häufig sind dies zugleich Stimmen, die in der internationalen Pensionsbilanzierung für deutsche Großunternehmen selbstverständlich aktuelle Marktzinssätze akzeptieren.

 

 

Hintergrund dieser Maßnahme ist die dringlich notwendige Bilanzentlastung vieler KMU wegen ihrer aufgrund der Niedrigzinsphase drastisch ansteigenden Pensionslasten aus Direktzusagen. Nun wissen nicht nur Aktuare, dass eine Pensionsverpflichtung sich letztlich nicht aus ihrer Bilanzierungsform definiert, sondern allein aus der Art der Pensionsverpflichtung. Was wurde per Direktzusage durch das KMU zugesagt? War und ist diese Zusage von einem KMU auf Jahrzehnte leistbar? Ist sie wetterfest unter allen Marktbedingungen? Die Pensionszusage ist also entscheidend; sie muss unter jedweder Belastung tragbar sein. Eine Zinsänderung ist nur Kosmetik an einer temporären Wahrnehmung. Alles spricht daher dafür, dass Finanzstaatssekretär Michael Meister – immerhin selbst diplomierter Mathematiker – Recht behalten wird mit seiner Aussage: „Wenn die Zinsen wieder steigen, werden Sie den Tag verfluchen, an dem Sie bekommen haben, was sie jetzt wollen.“

 

 

Von der Leistungs- zur Beitragszusage

 

Mit „weiße Salbe“ bezeichnet man Maßnahmen in Politik und Wirtschaft, die wie Lösungs- und Steuerungsmaßnahmen erscheinen, aber keine reale Lösung beinhalten. Diese jetzige „Zinssatzmodifikation“ ist weiße Salbe; eine nachhaltige Wirkung oder gar Lösung bietet dieser Weg den KMU nicht.

 

Eine notwendige und nachhaltige Lösung für die jetzt erkennbaren Überforderungen von KMU wäre eine sachgerechte Anpassung und Weiterentwicklung ihrer bAV – also eine allwetterfeste Pensionszusage, die KMU auch in Niedrigzinsphasen nicht überfordert: Wer vor langer Zeit Leistungszusagen erteilte, die sich jetzt als nicht tragbar erweisen, benötigt jede Form gesetzgeberischer Unterstützung, um diese Zusagen bilanzentlastend in allwetterfeste Beitragszusagen mit Mindestleistung (BZML) zu überführen. Dies sichert zugleich den Arbeitnehmern eine solide bAV durch ein breit gestreutes Anlageportfolio unter Nutzung der sehr langen Anlagehorizonte der Altersvorsorge für verringerte Risiken und höhere Renditen.

 

 

Das real existierende Praxisbeispiel

 

Ein Musterbeispiel für eine notwendige Bilanzentlastung ohne (!) Zinsänderung von immerhin 100 Millionen Euro bot im letzten Frühjahr die Heidelberger Druckmaschinen AG. Hier haben die Betriebspartner unter dem Druck erhöhter Rückstellungen die bisherige Leistungszusage nachhaltig auf eine beitragsorientierte bAV umgestellt. Solche Planänderungen sind allerdings unter der heutigen Rechtslage ein höchst anspruchsvolles und zugleich auch mit beachtlichen Ungewissheiten behaftetes Unterfangen. Eine dringlich notwendige, klare gesetzgeberische Regelung und Flankierung würde vielen KMU helfen und ihnen einen eindeutigen Rahmen und notwendige Rechtssicherheit für eine nachhaltige Lösung am Kern des Problems bieten. Erforderlich sind nämlich Planänderungen hin zu einer zukunftssicheren bAV mit dann daraus folgender Bilanzentlastung. Merkwürdigerweise hat keiner der bekannten Stakeholder für eine derartige nachhaltige gesetzgeberische Maßnahme plädiert.

 

 

Die Sinnentleerung der Direktzusage

 

Heute kann keinem mittelständischen Unternehmer angesichts der schwerwiegenden und vielfältigen Konsequenzen mehr geraten werden, für eine bAV per Direktzusage mit seinem Betriebsvermögen oder gar persönlich viele Jahrzehnte zu haften.

 

Großunternehmen haben ohnehin bereits seit langem den Stab über der Direktzusage gebrochen, als sie zugehörige Finanzmittel irreversibel in private Trusts (CTA) bilanzextern separierten. Damit haben sie ein Kernwesensmerkmal der Direktzusage, nämlich die unternehmerische Innenfinanzierung, für die Zukunft sinnentleert. Dies korrespondiert mit einem deutlichen Rückgang des Anteils der Direktzusage an den Deckungsmitteln der bAV. Auch entfällt heute ganz deutlich weniger als die Hälfte ihres Volumens auf aktive Arbeitnehmer; der weitaus größere Teil auf laufende Rentenleistungen.

 

In Europa stellt die Direktzusage eine deutsche Unikatlösung dar, die an einer einzigen steuerlichen Gesetzesregelung hängt – und dies vor dem Hintergrund, dass selbst die Bundesregierung in einer zusammenwachsenden EU die perspektivische Annäherung der Unternehmensbesteuerung anstrebt.

 

 

Absteigen!

 

In der bAV entscheiden sich Zukunftsfestigkeit und Nachhaltigkeit einer Durchführung nicht aus der momentanen Betrachtung, sondern aus der sorgfältigen Beobachtung zurückliegender und erkennbarer künftiger Entwicklungen. Alles dies zeigt, dass – so hart es auch klingt – der erfolgreiche Lebenszyklus der Direktzusage perspektivisch langfristig zu Ende geht. Eine uralte Weisheit der Dakota-Indianer besagt: „Wenn Du bemerkst, dass Du ein totes Pferd reitest, steig ab.“ Es ist daher hohe Zeit unter Beachtung der sehr langen Wirkungszeiten in der bAV die Weichen perspektivisch sukzessive zukunftsfest auszurichten.

 

 

Off-balance auf Kredit?

 

So überlegen derzeit viele KMU, statt auf Zinsentwicklungen zu hoffen, vielfach konsequent ihre bAV auf Pensionsfonds zu externalisieren. In der Tat sind Pensionsfonds der adäquate Rahmen für leistungsstarke BZML und auch sehr geeignet für die Übernahme von laufenden Rentenverpflichtungen. Eher unbewusst wählen diese KMU damit auch eine externe Durchführung, die, wie auch die Pensionskassen, als EbAV in Deutschland und in der EU in die richtige Richtung weist. Wo KMU die nötige Liquidität zur Übertragung der bAV auf Pensionsfonds fehlt, wird sogar, angesichts der niedrigen Zinsen, eine kreditfinanzierte (!) Übertragung erwogen. Problematisch ist allerdings, dass die KMU mit in der Regel begrenzten Mitteln und eingeschränktem diesbezüglichem Know-How derzeit nur auf Einrichtungen von Finanzdienstleistern treffen, in die sie sich mit beachtlichen Kosten „einkaufen“ und ebenso auf sehr lange Zeit binden müssen.

 

 

Die Stunde der Tarifparteien

 

Das wäre, nein, das ist die Stunde der Arbeitgeberverbände, oder besser, der Sozial-und Tarifpartner, hier dringlich Verantwortung für eine effiziente Externalisierung der bAV bei KMU zu übernehmen. Sie können mittels eigener Non-Profit-Pensionsfonds diesen KMU hocheffiziente und vertrauenswürdige Übertragungsoptionen für eine kostengünstige und nachhaltige Zukunft der bAV für ihre Arbeitnehmer bieten. Leider verfügt aber derzeit selbst die Metall- und Elektroindustrie (M&E) – als größter Industriesektor der bedeutendsten Volkswirtschaft der EU zweifelsohne ein gewichtiger Indikator – nicht über ein solches Non-Profit-Angebot für ihre KMU. Zwar werden Mittel aus Entgeltumwandlung der Arbeitnehmer bei Konsortenversicherungen akkumuliert. Aber man stelle sich vor, was diese so gewichtigen M&E-Sozialpartner mit einem Non-Profit-Pensionsfonds für die KMU leisten könnten; dies sowohl in der Entlastung und Übernahme von bAV der KMU wie auch in noch größerem Umfang in der dringend notwendigen kollektivrechtlichen Verbreitung der bAV bei KMU mittels einer für beide Zwecke leistungsstarken Non-Profit-EbAV.

 

Hier bietet sich dann auch für den Gesetzgeber der geeignete Anknüpfungspunkt für den oben erwähnten gesetzlichen Rahmen, um den KMU unter der Obhut der ermächtigten Sozialpartner eine sachgerechte, nachhaltige und zugleich bilanzentlastende bAV-Umgestaltung mit Externalisierung und auch noch einiges mehr zu ermöglichen (siehe auch den Kommentar „So einfach könnte es sein“ vom 19. Februar 2016).

 

In diesem Sinne sind beachtliche und entscheidende Schritte für eine ausgezeichnete Zukunftsfestigkeit der gesamten deutschen bAV erreichbar. Illusionen weißer Salbe oder Schatten toter Pferde sollte es in der bAV nicht geben. Dafür ist die von Arbeitgebern und Sozialpartnern getragene Non-Profit-bAV als effizienteste Form kapitalgedeckter Altersvorsorge eine zu bedeutende und zu ernste Angelegenheit – für die Arbeitnehmer wie auch ihre Arbeitgeber.

 

 

Der Autor war bis 2015 Senior VP Corporate Pensions der Bosch Gruppe und Mitglied des bAV-Ausschusses der BDA. Er ist Mitglied des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (aba).

 

Von ihm und anderen Autoren erschienen bereits als Kommentare zur bAV-Reformdebatte auf LEITERbAV:

 

 
 

Kein dritter Schuss“

von Bernhard Wiesner, seinerzeit Senior VP Corporate Pensions der Bosch Gruppe, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung und Mitglied des bAV-Ausschusses der BDA, 30. Oktober 2014.

 

Paradigmenwechsel mit Folgen“

von Markus Klinger, Leiter des Fachkreises „betriebliche Altersversorgung und Lebensversicherung“ in der Vereinigung der Versicherungs-Betriebswirte e.V. VVB, 23. Februar 2015.

 

Stunde der Wahrheit“

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 26. Februar 2015.

 

Evolution oder Revolution?“

von Klaus Mössle, Leiter des institutionellen Geschäfts bei Fidelity Worldwide Investment in Deutschland, 12. März 2015.

 

bAV in der Breite voranbringen”

von Peter Schwark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV), 5. März 2015.

 

Falsche Furcht vor dem Kahlschlag. Oder: Warum der VFPK irrt.“

von LbAV-Autor Detlef Pohl, 1. Juni 2015.

 

Warum nicht die Rosinen picken?“

von Marco Arteaga, Rechtsanwalt und Partner bei DLA Piper in Frankfurt am Main, 19. Oktober 2015.

 

Es könnte so einfach sein…

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 19. Februar 2016.

 

Der Staub der Jahrzehnte“

von André Geilenkothen, Principal bei Aon Hewitt in Mülheim an der Ruhr, 14. März 2016.

 

Weiße Salbe und totes Pferd“

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 4. April 2016.

 

Entgeltumwandlung 2.0: Insolvenzschutz einmal anders“

von Cornelia Rütters, Juristin, und Andreas Fritz, Vorstand der Pensionskasse für die Deutsche Wirtschaft VVaG, Duisburg, 18. August 2016.

 

Wenn der Fahnenträger wankt“

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 10. Oktober 2016.

 

 

Hinzu treten die Kommentare, die LbAV-Chefredakteur Pascal Bazzazi zu dem Thema verfasst hat:

 

Nicht, dass wir am Ende blank dastehen“, 8. Mai 2014.

 

The Great Game“, 18. November 2014.

 

The Great Game (II)“, 11. Mai 2015.

 

 

 

 

 

 

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

© Pascal Bazzazi – LEITERbAV – Die auf LEITERbAV veröffentlichten Inhalte und Werke unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Keine Nutzung, Veränderung, Vervielfältigung oder Veröffentlichung (auch auszugsweise, auch in Pressespiegeln) außerhalb der Grenzen des Urheberrechts für eigene oder fremde Zwecke ohne vorherige schriftliche Genehmigung. Die Inhalte einschließlich der über Links gelieferten Inhalte stellen keinerlei Beratung dar, insbesondere keine Rechtsberatung, keine Steuerberatung und keine Anlageberatung. Alle Meinungsäußerungen geben ausschließlich die Meinung des verfassenden Redakteurs, freien Mitarbeiters oder externen Autors wieder.