Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Rund um 17b (I):

Von Tektonik, von Platten und von Spalten

 

Auf der aba-Herbsttagung am 4. November in Köln sprach manch Vortragender zu dem Vorstoß des BMAS zu gemeinsamen EbAV der Tarifvertragsparteien. Und zu mehr. LbAV dokumentiert einige der Vorträge in Auszügen. Heute: Heribert Karch.

 

 

Leiter-bAV.de dokumentiert kommentarlos die prägnantesten Stellen des ohne Manuskript gehaltenen Vortrags des aba-Vorstandsvorsitzenden:

 

 

Zur gegenwärtigen Skepsis der Tarifparteien bezüglich des Vorschlags eines neuen Paragrafen 17b BetrAVG:

 

Dort wird etwas durchaus ernst genommen, wofür wir in der aba seit langem plädieren. Die bAV ist ein Kollektivsystem – also nehmt ihm mehr die individualisierenden Bestandteile raus und macht es wieder kollektiver.

[…]

Heribert Karch auf der aba-Herbsttagung in Koeln. Foto: Institutional Money/Punz.
Heribert Karch auf der aba-Herbsttagung in Koeln.
Foto: Institutional Money/Punz.

Natürlich muss der Initiator, der vorgeprescht war, als Erster gefragt werden, ob er sich richtig verstanden fühlt oder ob er vielleicht sogar noch weiter gedacht hat. Ich habe von Herrn Hoffmann, dem 2. Vorsitzenden der IG Metall, die mündliche Information, dass die IG Metall sich in zweifacher Hinsicht gegen diesen Vorschlag stellen wird. Natürlich steht dies noch unter Gremienvorbehalt. Aber es ist eine Position von einem Spitzenpolitiker der Gewerkschaft, der mir gesagt hat:

'Ich bin in zweifacher Hinsicht dagegen. Erstens bin ich dagegen, dass in einer Tarifparteieneinrichtung ein Solvency-II-Sicherungsinstrument gewählt werden muss.'

Das wundert nicht, auch wenn es vielleicht nicht jedem gefallen mag.

'Und vor allem bin ich dagegen, dass die Einstandspflicht des Arbeitgebers abbedungen werden kann.'

Das habe ich Ihnen hier zur Kenntnis zu geben.

Und es gibt eine zweite Aussage, derer ich mich ebenfalls rückversichert habe, von der Arbeitgeberseite bei Metall. Es liegt auf der Hand, dass hier besonders die Metalltarifparteien adressiert worden sind. Die Arbeitgeberseite freut sich, dass das BMAS so pro-aktiv mit dieser Frage umgeht, und dies möchte auch ich sehr positiv werten. Man freut sich, dass das BMAS:

'ein Problem des mittelständischen Arbeitgebers erkannt hat, das in drei Stichworten zu nennen ist: Aufwand, Haftung und Kosten.'

Gleichzeitig sagt man:

'So, wie im Moment vorgeschlagen, kann es nicht gehen.'

[…]

Die BDA-Stellungnahme sagt:

'Der vorliegende Vorschlag aus dem BMAS ist abzulehnen, da er nicht geeignet ist, die bAV zu stärken'.

Ich habe auch Signale was in Arbeit beim sozialpartnerschaftlichen Pendant der BDA ist – dem DGB. Das scheint mir in eine ähnliche Richtung zu gehen. Schlicht: Man will es nicht. Nehmen wir das einfach gelassen an. Und ich sage Ihnen ganz offen: Die Mehrheit der Anrufe, die ich bekommen habe, waren von Sorgen gekennzeichnet. Aber das ist auch immer so! Denn in einem System, in dem man eine gewisse Stabilität hat und arbeitet, und in dem dann eine ganz zentrale tektonische Platte bewegt wird, fragt man sich immer, wo die Spalten sind. Das ist für sich nichts Schlimmes.“

 

 

 

Die Rolle der aba ist eine andere, wenn es darum geht, was Sozialpartner wollen.“

 

 

 

Zur Rolle der aba in dieser Sache:

 

Erlauben Sie mir etwas zur aba zu sagen. Wer in dieser Frage sagt: Man muss sich doch in die oder die Richtung positionieren, dem antworte ich ganz klar: Die Rolle der aba ist eine andere, wenn es darum geht, was Sozialpartner wollen. Wer hier entscheidet, das sind allein sie.

[…]

Wenn beide Sozialpartner sagen, das bringt etwas nach vorne, dann haben wir in der aba das positiv zu begleiten. Es ist unser Job, als Experten dieses Gelände durchzumessen und dann auf Dinge aufmerksam zu machen, auf die man unbedingt achten sollte. Wenn aber ein Teil es möchte, ein anderer nicht, dann sage ich auch hier ganz offen: Dann können wir zwar noch begleiten, aber dann müssen wir es auch beizeiten beenden, um keine Energie zu verschwenden. So einfach ist das.“

 

 

 

Für zukünftige Verträge hat mich noch kein Arbeitgeber wegen eines Haftungsproblems angerufen.“

 

 

 

Zu der Frage, ob weitere offene Fragen der bAV in diesem Zusammenhang beantwortet werden sollten:

 

Also wo drückt die meisten Arbeitgeber, die bAV praktizieren, der Schuh? Für zukünftige Verträge hat mich noch kein Arbeitgeber wegen eines Haftungsproblems angerufen. Wenn irgendwo in der bAV in der Haftungs- und Risikofrage der Schuh wirklich drückt, dann im Bestand, unter anderem bei Paragraf 16 Betriebsrentengesetz. Wenn man etwas für die Zukunft löst und den vielen Engagierten im Bestand nicht hilft, dann könnte hier – offen gesagt – eine Ersatzhandlung drohen.

[…]

Es ist überaus deutlich von allen, die sich mit der bAV beschäftigen, ausgesprochen, dass wir durch die Mühen der Ebene hindurch müssen und dass wir an vielen Stellschrauben drehen müssen. Dass man nicht so einfach sagen kann: Wir machen einen neuen Vorschlag, der den Vorteil hat, dass er uns nichts kostet und – Herr Görgen, das müssen Sie mir jetzt kollegial erlauben (Peter Görgen vom BMAS war Teilnehmer und Redner auf der Tagung, Auszüge seiner Rede folgen morgen, Anm. d. Red.) – wir erfüllen damit den Koalitionsvertrag, weil wir darstellen können, etwas getan zu haben, egal ob das dann genommen wird oder nicht. Und für die anderen Dinge – so sind die Signale, die bei mir ankommen – haben wir kein Geld; dafür ist nichts im Haushalt eingestellt, für 3.63 gibt es nichts. Vollverbeitragung mit Krankenversicherung in der Rentenphase ist ein schwieriges Thema; Anrechnung auf die Grundsicherung, all dies sind schwierige Themen, aber dafür haben wir nichts. Meine Damen und Herren. Das kann nichts werden!“

 

 

 

Wer vom steuerpolitischen Aufwand für die Verbreitung der bAV nicht sprechen möchte, der sollte auch von der Verbreitung selbst schweigen.“

 

 

 

Zur Erweiterung des Dotierungsrahmens des Paragrafen 3 Nr 63 EStG und zum Gutachten „Optimierungsmöglichkeiten bei den bestehenden steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Förderregelungen der bAV“:

 

Wir haben im 3.63 einen Paragrafen, der zunächst einmal Steuereinnahmen mindert, aber nicht, weil er erhöht würde, sondern wenn sich die bAV weiter verbreitet. Wir reden hier nicht von drohenden Kosten durch Mitnahmeeffekte, das kann man durch die Konstruktion leicht verhindern, obwohl der Begriff Mitnahmeeffekte hier unangemessen ist, denn selbst für eine individuelle Vorsorge reicht der Rahmen oft längst nicht mehr. Wir reden hier von Verbreitungskosten durch Steuerstundung, die sich später refinanziert. Aber Verbreitung wollen doch alle!

Man möge mir eine Schärfe nachsehen, aber man muss irgendwann die Dinge mal auf den Punkt bringen: Wer vom steuerpolitischen Aufwand für die Verbreitung der bAV nicht sprechen möchte, der sollte auch von der Verbreitung selbst schweigen. Diese Aussage kann ich niemandem mehr ersparen.

Wenn sich in dieser Frage nichts bewegt ebenso wie in der Krankenversicherungsfrage, die ich eben benannt habe, dann ist das Gesamtsystem nicht aktionsfähig. Es kann nicht funktionieren, uns einen einzigen Ball hinzulegen und zu sagen: Nun macht mal. Einen solchen Ball wollen wir dann auch nicht!

[…]

In der betrieblichen Praxis geraten aber bereits jetzt relevante Gruppen von Arbeitnehmern ins beitragsschädliche oder ins steuer- und beitragsschädliche Nettosparen. Man kann von niemandem verlangen, dass er einen Tarifvertrag schreibt mit dem Risiko, dass ihm noch mehr Arbeitnehmer dann in diese Grenze rücken und bei ihm die Telefone heiß laufen, nur weil es diese steuerliche Restriktion gibt. Und ich sage auch, man kann von einem Mittelständler nicht verlangen, er solle das Ganze ersatzweise in einem Durchführungsweg organisieren, der nach oben offen ist. Ausweichventile sind für den Mittelständler nicht die Lösung, sondern das Problem, das Problem steuerlich erzwungener Komplexität!

[…]

Wir haben 2001 irgendwie eine Lösung gesucht und herausgekommen ist ein Paragraph 3.63. Das ist ungefähr wie das VHS-Videosystem, die Trägerstruktur hielt sich extrem lange, obwohl sie nicht mehr innovativ war. Dieses Denken müssen wir verlassen.

[…]

Zusätzlich haben wir noch das Vorrangprinzip im 3.63, eine ständige Gefahr bösen Blutes in betrieblichen Diskussionen. Der Arbeitgeber erbringt eine Leistung, und der Arbeitnehmer, der das getan hat, was wir ihm raten, droht bestraft zu werden durch Nettosparen. Das können wir auf Dauer nicht aushalten.

[…]

Vollstaendiger Vortrag von Heribert Karch auf der aba-Herbsttagung 11-14 Koeln. Zum Download anklicken.
Vollstaendiger Vortrag von Heribert Karch auf der aba-Herbsttagung 11-14 Koeln.
Zum Download anklicken.

Es ist systemisch einfach Unsinn, dass ein Arbeitgeber, der Gutes tut, unter Umständen dem Arbeitnehmer schadet. Zum Start der Förderung damals hatten wir noch nicht genug gelernt. Aber heute müssen wir nur vernünftig hinschauen, dafür brauche ich auch keine groß angelegte Studie des BMF mehr. Diese soll ja Mitte des nächsten Jahres veröffentlicht werden. Ich lege Wert auf die Feststellung, dass dies ein Vorschlag der aba war, und zwar bereits im Jahre 2012. Das BMF hat die Studie ausgeschrieben, und Mitte 2015 soll es ein Ergebnis geben. Ich weiß aber auch, wann eine Legislaturperiode so weit ist, dass fast nichts mehr passiert. 2012 haben wir eine Studie vorgeschlagen, weil es sonst überhaupt nicht möglich war, über die Frage vernünftig zu diskutieren. Damals bin ich vorgeprescht mit dem Vorschlag, dann begutachten wir das Ganze doch mal. Ziel war, überhaupt erstmals in gemeinsame systemische Betrachtungen zu kommen. Jetzt könnte jemand auf die Idee kommen: Je mehr Zeit ins Land geht, desto später muss man handeln. Und dann sage ich: das wäre kein Umgang miteinander, der letztendlich unserem gemeinsamen Ansinnen förderlich wäre.“

 

 

 

Die Mitschrift des gesamten Vortrags findet sich verlinkt in dem Bild.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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