Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Sperrfeuer-Kommentar – EIOPA Stresstest 2017 (III):

Von Bären und Diensten

Besieht man sich Systematik und Ergebnisse des jüngsten Stresstests der europäischen Behörde sowie den Umgang mit diesen genauer, muss man fragen, ob angesichts der Wirkung auf die bAV und die Altersvorsorge insgesamt die Aufsicht überhaupt verantwortungsvoll handelt. Georg Thurnes nimmt Stellung.

 

Georg Thurnes, Aon Hewitt.

Nun ist es wieder soweit: Kaum hat die für die betriebliche Altersversorgung zuständige europäische Aufsichtsbehörde EIOPA die Ergebnisse ihres zweiten Stresstests für Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (EbAV) veröffentlicht, da kursieren wieder Schlagzeilen, die von „verheerenden Unterdeckungen“ sowie von „Löchern“ und „Deckungslücken“ berichten. Von europaweit bis zu rund 700 Milliarden Euro ist die Rede.

 

Und damit nicht genug, diesmal hat EIOPA auch die Realwirtschaft mit ins Auge gefasst, die nach den Analyseergebnissen bzw. deren öffentlicher Kommentierung ebenfalls massiven Bedrohungen durch die betriebliche Altersversorgung ausgesetzt sein soll. Zu den meisten Punkten könnte man auf die sachlichen Analysen zu den gar nicht so anderen Ergebnissen des letzten Stresstests verweisen und es dabei belassen. Dennoch soll hier neuerlich eine kurze Einordnung vorgenommen werden.

 

 

Langer Niedrigzins und sukzessive Sanierungen

 

Soviel vorweg: Die anhaltende Niedrigzinssituation stellt nach wie vor alle langfristigen Ansparvorgänge vor große Herausforderungen. Das gilt natürlich auch für EbAV, die Leistungspläne (Defined Benefit) finanzieren sollen.

 

Da in Deutschland in aller Regel die Arbeitgeber in letzter Instanz für durch EbAV zu gewährende Leistungen haften, sind EbAV aus Sicht der Arbeitnehmer eine besonders gesicherte Altersversorgung. Denn gerät die EbAV in wirtschaftliche Schwierigkeiten, dann muss der Arbeitgeber entweder der EbAV zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen oder Teile der Versorgungsleistungen selbst übernehmen. Solche Sanierungssituationen werden nun in dem historisch einmaligen Niedrigzinsumfeld wahrscheinlicher bzw. treten auch schon auf, jedoch nicht plötzlich, sondern sukzessive, und nicht in dem Ausmaß, wie man das bei undifferenzierter Betrachtung aus den Stresstestergebnissen ableiten könnte. Die Sanierungsmaßnahmen werden i.d.R. behutsam, möglichst frühzeitig und vorbeugend, und über längere Zeiträume geplant und umgesetzt.

 

 

Wäre das denn woanders anders?

 

Wie funktioniert nun der EIOPA- Stresstest im Niedrigzinsumfeld? Vereinfacht gesprochen wird unterstellt, dass das Unternehmen am Betrachtungsstichtag signifikante Vermögensverluste erleidet und gleichzeitig annehmen muss, dass es bis zur Erfüllung aller Verpflichtungen nahezu keine Erträge mehr erzielt. Letztere Interpretation ist beim EbAV-Stresstest letztlich Ausfluss der sog. risikolosen Zinsstrukturkurve, die der Bewertung der Verpflichtungen zugrunde gelegt wird.

 

Vorstehend wurde zunächst bewusst von einem beliebigen „Unternehmen“ statt von „EbAV“ gesprochen. Denn in solch einem Szenario dürfte wohl jedes Unternehmen – gleich aus welcher Branche – in kaum lösbare Schwierigkeiten geraten. Der Eintritt des Stressszenarios ist an sich schon relativ unwahrscheinlich. Die Kombination mit der – vielen Interpretationen zugrunde liegenden – Annahme, dass die Lage nach Stress dauerhaft so bliebe, dürfte dann nahezu ausgeschlossen sein. Aber genau in diesem Szenario, also Stress bei Bewertung gemäß EIOPAs sog. Common Balance Sheet, entstehen die oben genannten rund 700 Milliarden Euro.

 

 

Falscher Einsatz

 

Ein Stresstest kann zwar grundsätzlich auch ein sinnvolles Instrument sein. Das ist nämlich dann der Fall, wenn er – richtig im Risikomanagement eingesetzt – dazu beiträgt, möglichen oder sich bereits abzeichnenden negativen Entwicklungen frühzeitig und angemessen zu begegnen. Vorliegend hat man ihn aber eher missbraucht.

 

Übrigens: Bewertet man die Verpflichtungen nach nationalem Recht, was auch ein Teil der EIOPA Übung ist, dann sind die Verpflichtungen der deutschen EbAV aktuell bedeckt – vor und nach Stress auf die Vermögenswerte.

 

 

Aufsicht über die Träger?

 

Wie eingangs erwähnt, geht EIOPA über den Bereich der EbAV hinaus. Sie trifft Aussagen darüber, wie es den Trägerunternehmen im Stressfall ihrer EbAV erginge – und zwar unter der realitätsfernen Annahme, dass die kompletten Unterdeckungen von den Trägerunternehmen unmittelbar auszugleichen wären. Die Herleitung der Beträge gründet dabei auf methodisch sehr umstrittenen quantitativen Modellen und wenigen, relativ holzschnittartigen qualitativen Abfragen.

 

Einmal abgesehen davon, dass EIOPA keinerlei Zuständigkeit und Kompetenz bezüglich der Aktionen und Reaktionen der Trägerunternehmen hat, sind diese Ergebnisse mit großer Vorsicht zu genießen.

 

 

Der Sinn der Übung?

 

Hinsichtlich des Stresstests für reine Beitragszusagen (Defined Contribution), bei denen die Arbeitnehmer das Anlagerisiko alleine tragen, kann man sich fragen, warum man den Aufwand überhaupt betreibt. Denn die Ergebnisse sind vorhersehbar. So wird u.a. befunden, dass mit mehr Aktien im Portfolio mehr Risiken verbunden sind, und dass ein Kapitalmarktschock kurz vor Rentenbeginn den Arbeitnehmer vor größere Probleme stellt als seinen jungen Kollegen – ist das eine Überraschung?

 

 

Der Schaden für die bAV…

 

Mal abgesehen von der für Schlussfolgerungen viel zu geringen Teilnahmequote von etwas mehr als einem Drittel, muss man sich fragen, was EIOPA erreichen will. Zum einen ist die Vorgehensweise in vielen Belangen nicht sachgerecht und zum anderen (und vor allem) beugt EIOPA der unsachgerechten, Panik schürenden Berichterstattung nicht aktiv vor bzw. begünstigt diese durch die eigene Öffentlichkeitsarbeit sogar noch. Welche Schlüsse sollen der Normalbürger und der noch nicht Betriebsrente gewährende Unternehmer ziehen? Soll man der betrieblichen Altersversorgung überhaupt noch Mittel anvertrauen?

 

 

und für die Altersvorsorge überhaupt

 

Wie schon 2015 geschlussfolgert: Der oft und zurecht geforderten stärkeren Ausbreitung der bAV wird hier ein Bärendienst erwiesen. Private Altersversorgung dürfte so gesehen übrigens auch keine Lösung sein, denn da ginge es den Individuen ja ebenso schlecht, würde man die Maßstäbe der DC-Stresstests anlegen. Also besser keine Altersvorsorge betreiben? Ist diese Botschaft dann Ausfluss einer verantwortungsvollen Aufsicht?

 

Diese letzte Frage ist dabei auch mit Blick auf die Trägerunternehmen zu stellen, die sozial verantwortlich handeln, indem sie ihren Mitarbeitern eine betriebliche Altersversorgung gewähren. Sie laufen nämlich Gefahr, durch eine leichtfertig beförderte undifferenzierte Kommentierung von zumindest teilweise recht strittig ermittelten Untersuchungsergebnissen von Investoren an den Kapitalmärkten völlig ungerechtfertigt abgestraft zu werden.

 

 

Der Autor ist Chefaktuar von Aon Hewitt in Deutschland.

 

Von ihm beziehungsweise anderen Autorinnen und Autoren der Aon erschienen zwischenzeitlich auf LEITERbAV:

 

 

Erfurt bringt Licht ins Dunkel der Invaliditätsversorgung:
Die Ausnahme ist nicht die Regel
von Roland Horbrügger und Alexandra Steffens, 14. Februar 2024

Anpassungsprüfung und Rententrends:
Die Anpassung hat Methode
Jan Andersen und Dr. Christian Rasch, 5. Dezember 2023

aba-Pensionskassentagung (III):
Abwarten …
von Andreas Kopf, Rainer Goldbach und Bianca Ermer, 13. November 2023

aba-Pensionskassentagung (II):
Funding for nothing?
von Bianca Ermer, Rainer Goldbach und Andreas Kopf, 6. November 2023

aba-Forum Arbeitsrecht 2023 (II):
Lieber beim Index bleiben
von Jan Andersen und Roland Horbrügger, 17. August 2023

aba-Forum Arbeitsrecht 2023 (I):
Der Ruf nach dem Gesetzgeber ...
von Roland Horbrügger und Jan Andersen, 10. August 2023

Neulich in München – mit Blick nach Erfurt:
Leitplanken Made in Erfurt
von Florian Große-Allermann und Roland Horbrügger, 17. April 2023

aba-Pensionskassentagung (III):
Mucksmäuschenstill ...
von Tanja Grunert und Ingo Budinger, 18. November 2022

aba-Pensionskassentagung (II):
Von Staatsfonds und Stresstest ...
von Andreas Kopf und Rainer Goldbach, 14. November 2022

Entgeltumwandlung und Arbeitsvetrag:
Stay in statt Opting out
von Jan Andersen und Roland Horbrügger, 26. August 2022

aba-Forum Arbeitsrecht 2022 (II):
Wie weit lässt sich die Tür öffnen …
von Roland Horbrügger und Carsten Hölscher, 4. April 2022

aba-Forum Arbeitsrecht 2022 (I):
Gewisse Skepsis, weniger Strenge
von Carsten Hölscher und Roland Horbrügger, 21. März 2022

aba-Pensionskassentagung (II):
Von 3V, VAIT und Großer Koalition
von Matthias Lang, Andreas Kopf und Ingo Budinger, 11. November 2021.

aba-Pensionskassentagung (I):
Zwischen zweifelhaft, nicht durchdacht und Kannibalen
von Ingo Budinger, Andreas Kopf und Matthias Lang, 8. November 2021.

aba-Forum Arbeitsrecht 2021:
Die Operation am offenen Herzen …
von Carsten Hölscher, Alexandra Steffens und Roland Horbrügger, 30. April 2021.

Deutschland im Herbst – aba-Pensionskassentagung (III):
Bier ist bAV…
von Detlef Coßmann, Jan Andersen und Matthias Lang, 6. November 2020.

Deutschland im Herbst – aba-Pensionskassentagung (II):
How to do Insolvenzschutz?
von Detlef Coßmann, Jan Andersen und Matthias Lang, 3. November 2020.

Deutschland im Herbst – aba-Pensionskassentagung (I):
Das ist nicht hausgemacht“
von Detlef Coßmann, Jan Andersen und Matthias Lang, 2. November 2020.

Digitale Rentenübersicht:
Auf dem richtigen Weg
von Gundula Dietrich und Dr. André Geilenkothen, 14. September 2020

Die EbAV-Regulierung schreitet voran:
Von SIPP und EGA
von Wolfram Roddewig, 8. Juni 2020

Aon EbAV-Konferenz 2019:
Von MaGo, ORA, SIPP und mehr...
von Detlef Coßmann, München, 6. Januar 2020

Im September in Köln (III) – aba-Mathetagung 2019:
Weniger als Null wird es nicht
von Björn Ricken und Dr. André Geilenkothen, Köln, 27. November 2019

Im September in Köln (II) – aba-Mathetagung 2019:
Ein flüchtiges Wesen namens Zins
von Björn Ricken und Dr. André Geilenkothen, Köln, 20. November 2019

aba-Forum Arbeitsrecht:
Von klein-klein, Textform, Vernachlässigung und mehr…
von Thomas Obenberger, Christine Gessner und Sophia Alfen, München; Mannheim, 30. April 2019

aba-Mathetagung:
Mathe fast schon magisch
von Dr. André Geilenkothen, Mülheim an der Ruhr, 18. Dezember 2018

Auch das noch (II):
Informationsbedürfnis versus zumutbare Beratung
von Gregor Hellkamp und Aida Saip, Mülheim an der Ruhr und München, 11. Dezember 2018

aba-Fachforum Arbeitsrecht:
Auf den Punkt gebracht!
von Carsten Hölscher, Mannheim, 30. Mai 2018

EIOPA Stresstest 2017 (III):
Von Bären und Diensten
von Dr. Georg Thurnes, München, 21. Dezember 2017

aba-Tagung Mathematische Sachverständige (II):
Von Chancen und Hybriden. Von HFA 30 und vier Vaus.
von Dr. André Geilenkothen, Mannheim, 27. Oktober 2017

aba-Tagung Mathematische Sachverständige (I):
Von Rätseln und Mega-Themen.Von Püfferlis und Evergreens.
von Dr. André Geilenkothen, Mannheim, 26. Oktober 2017

aba-Forum Arbeitsrecht:
Teilentschärfung
von Carsten Hölscher, Mannheim, 5. Mai 2017

BGH zu VBL-Startgutschriften für Rentenferne:
Nicht pauschal abziehen!
von Andreas Kasper, München, 8. Juni 2016

Die Steuerbilanz nach den Anpassungen im 253 HGB:
Der Staub der Jahrzehnte
von Dr. André Geilenkothen, Mülheim an der Ruhr, 14. März 2016

Vorlage der EIOPA-Stresstest-Ergebnisse (III):
Von Löchern und Lücken
von Dr. Georg Thurnes, München, 11. Februar 2016

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

© Pascal Bazzazi – LEITERbAV – Die auf LEITERbAV veröffentlichten Inhalte und Werke unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Keine Nutzung, Veränderung, Vervielfältigung oder Veröffentlichung (auch auszugsweise, auch in Pressespiegeln) außerhalb der Grenzen des Urheberrechts für eigene oder fremde Zwecke ohne vorherige schriftliche Genehmigung. Die Inhalte einschließlich der über Links gelieferten Inhalte stellen keinerlei Beratung dar, insbesondere keine Rechtsberatung, keine Steuerberatung und keine Anlageberatung. Alle Meinungsäußerungen geben ausschließlich die Meinung des verfassenden Redakteurs, freien Mitarbeiters oder externen Autors wieder.