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Drei Veranstaltungen zur bAV an einem Tag (III):

Vieles geht schon jetzt

Vergangenen Donnerstag traf sich das Pensionsparkett gleich drei Mal, um zur bAV und ihrer Reform zu debattieren, zwei Mal in Frankfurt und ein Mal in Berlin. Von jeder der drei Veranstaltungen greift LEITERbAV einen Vortrag auf. Heute: Dirk Jargstorff von Bosch.

 

 

Mit der Umsetzung der Mobilitätsrichtlinie in nationales Recht Ende 2015 haben auch deutsche Pensionsfonds mehr Spielräume erhalten, da die Möglichkeit der nicht-versicherungsförmigen Struktur der Beitragszusage mit Mindestleistung auf die Rentenphase ausgedehnt worden ist.

 

Auf der Konferenz „Slalom oder freie Fahrt – mit der bAV neue Wege gehen“, die Willis Towers Watson vergangenen Donnerstag in Frankfurt am Main ausgerichtet hat, erläuterte Dirk Jargstorff die Wirkung der Neuregelung in der Praxis. Und vieles, was der Senior Vice President Corporate Pensions and Related Benefits der Robert Bosch GmbH zu berichten hatte, harmoniert mit den bAV-Reformplänen, um deren Konsensfähigkeit die Bundesregierung derzeit so energisch ringt.

 

Fondsförmige Rente: Seit Jahresanfang Realität im Pensionsfonds

 

In Stuttgart hat man den Handlungsbedarf jedenfalls im Vorfeld als drückend empfunden. Wie Jargstorff auf der Tagung berichtete, hatte die kontinuierliche Absenkung des gesetzlichen Höchstrechnungszinses den BoschPensionsfonds gezwungen, die Startrenten der Begünstigten im Zeitraum von 2004 bis 2015 um satte 13 Prozent abzusenken. Zum ersten Januar 2017 hätten die Startrenten bei weiter bestehender Versicherungsförmigkeit infolge der Absenkung des Höchstrechnungszinses auf 0,9 Prozent automatisch um weitere 12 Prozent abgesenkt werden müssen.

 

Kein Wunder, dass man bei Bosch nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens nicht lange gezögert hat, von den neuen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Seit 1. Januar 2016 wird der neue Paragraf 236 des VAG im Bosch-Pensionsfonds bereits für Neurentner im Rahmen der Beitragszusage mit Mindestleistung (BZML) umgesetzt. Die wesentlichen Merkmale der Fondsrente sind:

 

  • Alle Erträge stehen den Begünstigten zu.

  • Rechnungszinsen für Verrentung und Reservierung abgeleitet aus erwarteter Rendite.

  • Kapitaldeckung 100 bis 125 Prozent.

  • Rentenanpassungen nach Ertragsentwicklung.

  • Zustimmung der Tarifvertragsparteien.

  • Mindesthöhe durch Verrentung des zu Rentenbeginn vorhandenen Versorgungskapitals mit Zins 0 Prozent.

  • Keine Garantie des Pensionsfonds.

  • Arbeitgeber steht für Mindesthöhe ein.

 

Die wichtigsten Vorteile der Neuregelung sind für Jargstorff:

 

  • Attraktive und stabile Startrenten.

  • Ertragsreichere Kapitalanlage auch in der Rentenphase

  • Ableitung der Rechnungszinsen aus der einrichtungsspezifischen Kapitalanlage.

  • Puffer zum Ausgleich von Wertschwankungen.

  • Nachvollziehbare und sinnvolle Aufsichtsinstrumente.

  • Angemessene Beteiligung der Arbeitnehmervertretung an der Steuerung des Risikos.

  • Einfache Umsetzbarkeit.

 

Die Neugestaltung der Rentenphase liefert für die Begünstigten sofort spürbare Ergebnisse: Im Vergleich zu den Startrenten, die der Bosch Pensionsfonds versicherungsförmig bei einem Rechnungszins von 0,9 Prozent bieten könnte, liegen die Startrenten der fondsförmigen Rente um fast 10 Prozent, im Vergleich zu denen bei einem (für die Zukunft denkbaren) Rechnungszins von 0,5 Prozent um rund 16 Prozent höher.

 

Die Parallelen zur Zielrente

 

Im Sozialpartnermodell des BMAS – so zeichnet es sich ab – werden Zielrentensystem eine entscheidende Rolle spielen.

 

Doch vieles von dem, um das dort gerungen wird, ist in der Rentenphase heute schon möglich, betonte Jargstorff in seinem Vortrag. Im Einzelnen seien das:

 

  • Alternative Sicherungsmechanismen statt Versicherungsförmigkeit.

  • Fokus auf Leistungsziel statt Absicherung der Garantien.

  • Einbindung der Sozialpartner, um neue effiziente Wege zu gehen.

  • Chancenorientierte Kapitalanlage mit Ertragsmöglichkeiten auch in Niedrigzinsphase.

Publikum und Podium auf WTW-Konferenz am 29. September 2016. Foto: WTW.
Publikum und Podium auf WTW-Konferenz am 29. September 2016.
Foto: WTW.

Insofern könnte der Gesetzgeber den Paragrafen 236 durchaus als Blaupause nehmen, um seine Vorstellungen im Sozialpartnermodell umzusetzen, empfahl Jargstorff, und der Pensionsfonds biete sich als Durchführungsweg hier geradezu an, wie die neue fondsförmige Rente belege. Dass die Abkehr von der Versicherungsförmigkeit erstmals im Durchführungsweg Pensionsfonds verwirklicht werden konnte, sei im Übrigen auch kein Zufall: Der Pensionsfonds ist bereits nach seiner Legaldefinition der einzige externe Durchführungsweg, der gerade nicht auf das Geben von Garantien ausgelegt ist. Die gesetzlichen Neuregelungen zur Defined Ambition in Pensionsfonds könnten daher in eine bereits bestehende aufsichtsrechtliche Grundsystematik eingefügt werden, ohne diese in ihrem Wesen zu verändern.

 

Über das Große die Chancen im Kleinen nicht übersehen

 

Fazit von LEITERbAV: Vieles geht schon jetzt. Angesichts dessen sei dem Gesetzgeber erneut zugerufen: Eine echte Reform im Sinne des Sozialpartnermodells mit mehr Verantwortung der Tarifparteien ist äußerst wünschenswert. Doch wenn es angesichts der mannigfachen Komplexität, der juristischen, sozialen und technischen Verästelungen der bAV und der vielfältigen politischen Interessen der verschiedenen Stakeholder tatsächlich nichts werden sollte mit dem großen Wurf einer bAV-Reform (was in der Tat nicht ausgeschlossen werden kann), dann sollte der Gesetzgeber nicht der Versuchung des Schnellschusses unterliegen – sondern den Gestaltungswillen der Politik, den Gehirnschmalz der Experten und die bestehende fiskalische Bereitschaft bündeln und dies in die Verbesserung der Rahmenbedingungen der bestehenden bAV investieren. Die ersten Praxiserfahrungen des Paragrafen 236 zeigen, inwiefern der Gesetzgeber mit kleinen, recht unkomplizierten Verbesserungen an einzelnen Stellschrauben verhältnismäßig große Wirkung entfalten kann (hier in der Rentenphase), um auf die Realität der Zinslage adäquat zu reagieren. Nähme er noch diejenigen Förderungen hinzu, die es ganz umsonst gibt – nämlich nationale Good Governance und energische Abwehr überambitionierter EU-Regulierungsbestrebungen – dann wäre er wohl überrascht, was hier noch alles – auch ohne große Reform – entstehen kann.

 

Mehr Einzelheiten zu der vielfältigen Konferenz von Willies Towers Watson finden sich auf den Seiten des Consultants selbst hier.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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