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Wolfram Gerdes im Interview (I):

Verkehrte Welt: Die Staatsanleihe als Short Fall

 

Von kirchlichen Versorgungseinrichtungen mag man annehmen, dass sie konservativ risikoavers ihre Kapitalanlagen steuern. Nicht so bei der KZVK und VKPB Dortmund. Dort kann man sich eine vergleichsweise hohe Aktienquote leisten und fährt diese auch in schwierigen Marktphasen. Für hochriskant in der langfristigen Strategie hält man beim derzeitigen Zinsniveau dagegen Tripple-A-Anleihen. Mit Wolfram Gerdes, Vorstand Kapitalanlagen und Finanzen der Kirchlichen Zusatzversorgungskasse Rheinland-Westfalen und der Gemeinsamen Versorgungskasse für Pfarrer und Kirchenbeamte, sprach Martin Aehling. Teil I eines Interviews.

 

 

 

 

Herr Gerdes, das Jahr 2014 war für Fixed-Income-Investoren kein einfaches, schaut man auf das Zinsniveau. Mit welchen Erwartungen, vielleicht auch Sorgen schauen Sie auf das neue Jahr?

 

 

Wolfram Gerdes, Vorstand KZVK und VKPB
Wolfram Gerdes, Vorstand KZVK und VKPB

Sorge Nummer eins ist das fast komplette Verschwinden von Zinsen für sogenannte „sichere Anlagen“. Das ist eine Herausforderung für das Geschäftsmodell von kapitalgedeckter Altersversorgung. Wir investieren natürlich nicht ausschließlich in Zinsanlagen oder gar „sichere Zinsanlagen“. Aber die massive Intervention der Notenbanken im Zinsbereich hat natürlich Konsequenzen. Sie führt zu einer Parallelverschiebung in fast allen erwarteten Renditen nach unten. Zins- und Kapitalerträge schwinden mit einer höheren Geschwindigkeit als wir es uns vor ein paar Jahren noch vorstellen konnten.

 

 

 

Wenn die Absenkung des Zinses nicht zyklisch ist, sondern wie in Japan langfristig, hat dies letztendlich Konsequenz auf die Leistungsprofile von EbAV.“

 

 

 

Wie lässt sich beim derzeitigen Renditeniveau mit Zins- und Duration-Management hier gegensteuern?

 

Sicherlich hilft die Diversifikation und die Streuung der Fälligkeiten. Und wir fahren schon immer eine lange Duration im festverzinslichen Bereich. Bei uns liegt die laufende Verzinsung zu Buchwerten momentan noch bei ungefähr vier Prozent, vielleicht knapp darunter. Das schmilzt natürlich allmählich dadurch ab, dass Neuanlagen zu niedrigeren Zinsen getätigt werden. Auf Buchwertbasis gibt die Verzinsung bei uns um etwa 0,1 bis 0,2 Prozentpunkte jährlich nach. Das Thema ist für unsere beiden Kassen also nicht akut.

Aber unter der Prämisse, dass sich die Zinsen auf Sicht von zehn bis 15 Jahren nicht auf höheren Niveaus bewegen, lassen sich Verzinsungsziele nicht halten. Wir sehen diesen Effekt aufgrund unserer langen Duration erst verzögert, unsere Zinsreserven reichen für einige Jahre. Wenn die Absenkung des Zinsniveaus jedoch nicht zyklisch begründet ist, sondern sich wie in Japan langfristig auf sehr niedrigem Niveau einpendelt, hat dies letztendlich Konsequenz auf die Leistungsprofile von bAV-Einrichtungen. Das lässt sich auch durch taktische Bewegungen auf der Kapitalanlageseite nicht auffangen. Dies ist ein zentrales Thema, dem sich alle Einrichtungen in unterschiedlicher Intensität stellen müssen.

 

 

 

Rentenmanager rund um diesen Erdball sind im vergangenen Jahr von der Zinsentwicklung überrascht worden. Wir auch.“

 

 

 

Wird diese Erkenntnis inzwischen überall geteilt?

 

Noch vor gut einem Jahr, Ende 2013 lag die zehnjährige Bundesanleihe als Benchmark-Referenz bei zwei Prozent. Anfang 2014 hat dann jeder mit einer Zinswende gerechnet. Wir hatten damals zwei Prozent als extrem niedriges Zinsniveau erachtet. Dass diese niedrige Verzinsung anschließend nochmals um rund 75 Prozent nach unten verliert, hat – glaube ich – kein Marktteilnehmer erwartet. Das zeigt sich auch bei unseren extern gemanageten Spezialfonds: Im vergangenen Jahr haben die aktiven Aktienmandate überwiegend outperformt. Die Rentenmandate lagen dagegen nahezu alle unter ihrer Benchmark, gleich ob das deutsche, amerikanische oder asiatische Asset Manager waren. Weil fast alle kollektiv eine kürzere Duration als die Benchmark fuhren. Das zeigt wie hoch konfident die Anlegerwelt noch im letzten Jahr war, dass wir das Zinstief gesehen haben.

Jetzt, zwölf Monate später leben wir in einer Welt, wo sich kollektiv die Überzeugung festsetzt, dass dies ein Irrtum war und man sich auf ein langfristig niedriges Zinsniveau einrichten muss. Ob das zutrifft, wissen wir natürlich erst in ein paar Jahren. Aber was eindeutig ist: Rentenmanager rund um diesen Erdball sind im vergangenen Jahr von der Zinsentwicklung überrascht worden. Wir auch.

 

 

 

Es ist nie ein guter Ratschlag, Risiken einzugehen, nur weil die Zinsen niedrig sind.“

 

 

 

Das derzeitige Zinsniveau sorgt also für erheblichen Anlagedruck. Welche Gefahren bestehen bei dem „search for yield“ unter aktuellen Marktgegebenheiten?

 

Wenn die Zinsen fallen, nimmt der Risikoapppetit zu. Das galt schon immer, und dieser Zusammenhang ist relativ unspektakulär. Was davon zu halten ist? Wenig, denn es ist nie ein guter Ratschlag, Risiken einzugehen, nur weil die Zinsen niedrig sind. Idealtypisch werden Risiken aus übergeordneten Gründen genommen, nämlich weil sie verträglich und erträglich sind.

Wir haben eine Risikostrategie formuliert, die sich an sehr langfristigen Überlegungen orientiert und sich von kurzfristigen Entwicklungen relativ wenig beeinflussen lässt. Daran halten wir uns. Wir sind im Vergleich zu anderen Versorgungseinrichtungen ohnehin risikofreudiger. Wir fahren schon immer Aktienquoten von 20 bis 25 Prozent. Dieses Exposure wird nun nicht wegen der niedrigen Zinsen erhöht. Es wurde aber auch in den Krisenjahren 2008 und 2009 nicht gesenkt. Auch damals wurde an einer Politik der konstanten Gewichte in der strategischen Allokation festgehalten, die im Ergebnis antizyklisch wirkt. Wenn etwa Aktien überproportional fallen, erzwingt das weiterhin unveränderte Zielgewicht, dem Marktwertverlust durch Neuanlagen zu begegnen – und umgekehrt. Diese Strategie hat sich rückwirkend wiederholt als positiv herausgestellt, weil sie gewährleistet, dass das Portfolio nach einem Einbruch auch an der folgenden Erholung mit vollem Gewicht partizipiert. Deshalb ist die Finanzkrise in unseren Büchern nicht mehr erkennbar, selbst nicht als Ertragsverzug. Das hat sich nivelliert.

Umgekehrt sind viele in der heutigen Situation geneigt, mehr Risiko zu nehmen. Diesem Impuls haben wir bisher standgehalten. Wir haben weiterhin eine Aktienquote von 20 bis 25 Prozent, international gestreut, und reagierten daher auf die starken Marktwertzuwächse bei Aktien eher durch Verkäufe oder gedrosselte Neuanlagen. Wenn die Renditen von Kapitalanlagen weltweit und über alle Anlageklassen geringer werden, bleibt langfristig nichts anderes übrig als dieses Abschmelzen mitzumachen. Ich kann die Renditen ja nicht herzaubern.

 

 

 

Erlaubt Ihnen Ihr ALM, durchgängig eine vergleichsweise hohe Aktienquote zu fahren?

 

Ja, das erlaubt die ALM-Positionierung. Wir haben auf der Anlageseite stille Reserven von 20 Prozent und darüber, die einen Puffer für Schwankungen darstellen. Unsere Sichtweise ist aber etwas anders: Im strikten Sinn ist ALM die Anpassung der Kapitalanlagestruktur auf die langfristigen Verbindlichkeiten. In der Realität ist es so – machen wir uns nichts vor –, dass das Risikomanagement ein starkes Gewicht auf den Jahresabschluss hat. Wir sind nicht Bafin-reguliert, sondern folgen dem VAG freiwillig in Selbstverpflichtung. Im Vergleich zu anderen Einrichtungen liegt für uns der Schwerpunkt sehr deutlich auf den langfristigen Risiken, nicht auf den kurzfristigen. Die langfristige Erreichbarkeit der Finanzierung steht im Vordergrund, auch wenn das Volatilität in Bezug auf den Jahresabschluss bedeutet.

 

 

 

Langfristig erzeugt die Staatsanleihe einen sicheren berechenbaren Short Fall gegenüber dem selbstgesteckten Verzinsungsziel.“

 

 

 

Für viele Einrichtungen ist dies jedoch ein Spannungsfeld…

 

Wenn man ein Verzinsungserforderniss hat, das deutlich über dem sogenannten „sicheren“ Zins liegt – heute bei allen Einrichtungen der Fall –, ist man gezwungen etwas zu machen. Dann stellt sich die Frage, was ist denn sicher. Kurzfristig ist die deutsche Staatsanleihe sicher, weil sie die geringste Volatilität hat. Langfristig erzeugt aber die Staatsanleihe einen sicheren berechenbaren Short Fall gegenüber dem selbstgesteckten Verzinsungsziel. Für Pensionsfonds halte ich daher Tripple-A-Anleihen beim derzeitigen Zinsniveau langfristig für hochriskante Anlageinstrumente. Langfristig ist eine gut gelegene Immobilie für eine Altersvorsorgeeinrichtung derzeit das bessere Risiko als eine Staatsanleihe.

Da hat sich vieles gedreht. Die Erträge bei festverzinslichen Wertpapieren sind dramatisch weggefallen, was in dieser Dramatik bei anderen Asset-Klassen nicht beobachtbar ist. Die Risikoeinschätzung unterhalb den Anlageklassen hat sich also erheblich verschoben. Und diese Verschiebung hat Auswirkungen auf die Bewertung von relativer Attraktivität.

 

 

 

Andererseits sind bAV-Einrichtungen in einem relativ starren Korsett gefangen, das solcherart Verschiebungen nicht in der Form antizipiert.

 

Die klassischen Risikomanagement-Tools, starre quantitative mathematische Modelle, und auch Solvency II reagieren in keinster Weise auf solche säkularen Verschiebungen der Renditeniveaus. Warum? Weil sie auf den Jahresabschluss fokussieren und Value-at-Risk-Methoden verwenden. Nach Solvency II hat zum Beispiel eine Staatsanleihe kein Risiko, wohingegen eine Immobilie mit 25 Prozent Eigenkapital unterlegt werden muss. Dabei ist vollkommen gleich, wie stark das Renditegefälle ist. In diesem Punkt unterscheiden wir uns.

 

 

 

Wer heute weiterhin auf eine stark zinslastige Politik setzt, ohne seine Verbindlichkeit herunter zu schreiben, geht implizit eine Wette ein.“

 

 

 

Die Zielallokation müsste diesen Verschiebungen also eigentlich folgen, vorausgesetzt das niedrige Zinsniveau hält an…

 

Nach meiner Einschätzung ist die Altersversorgungsindustrie extrem zinslastig, viel stärker als wir das bereits sind. Und ich nehme an, dass dieses Signal schon lange angekommen ist, nämlich dass das jetzige Zinsniveau für vernünftige Altersvorsorge nicht auskömmlich ist. Allerdings muss jeder Manager die Entscheidung selbst treffen, ob er das derzeitige Zinsniveau dauerhaft für die nächsten 20 Jahre sieht. Man könnte auch eine lange Zinsdelle annehmen, die sich in fünf oder sechs Jahren zurückbildet. Dies sagt mir kein Modell. Wer heute weiterhin auf eine stark zinslastige Politik setzt, ohne seine Verbindlichkeit herunter zu schreiben, geht implizit die Wette ein, dass sich das Zinsniveau mittelfristig wieder nach oben bewegt. Dafür kann es gute Gründe geben, aber es bleibt eine implizite Wette. Wer andererseits damit rechnet, dass sich die Zinsen nicht erholen, jedoch trotzdem an der Zinspolitik festhält, ohne die Verbindlichkeitseite zu reduzieren, fährt meines Erachtens einen Kurs, der nicht nachhaltig ist.

 

 

 

Ende des ersten Teils des Interviews mit Wolfram Gerdes.

Teil II findet sich hier.

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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