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Der Kommentar auf LEITERbAV – Deutschland-Rente im Bundesrat (II):

Pay and Forget meets Race to the Bottom

Der erneute hessische Vorstoß zu einer Deutschland-Rente geht nicht nur fachlich fehl, sondern kommt auch zur Unzeit. Kritik kann man unter zahlreichen Gesichtspunkten äußern – bis hin zum Vorwurf der Sabotage. Ein Kommentar.

LEITERbAV hatte berichtet: Die hessische Politik scheint derzeit nichts besseres zu tun zu haben, als am Vorabend der Umsetzung der bAV-Reform mit einer Erneuerung ihres Vorstoßes zu einer Deutschland-Rente massive Rechtsunsicherheit befeuern zu müssen.

Denn wie ist die Lage heute? Nachdem die letzte Bundesregierung mit viel Geduld, Standhaftigkeit (beim Garantieverbot), Gehirnschmalz und Einbezug wirklich aller Stakeholder in die Diskussion endlich eine bAV-Reform umgesetzt hat, die bei allen Defiziten eine echte Chance bietet und verdient, zeigen sich die Tarifparteien in Sachen Sozialpartnermodell derzeit – aus verzeihbaren Gründen – noch etwas zögerlich. Doch darf man erwarten, dass das Thema in den nächsten Monaten sukzessive auf die Tagesordnungen der Verantwortlichen kommt. Ebenso scheint auch die primäre Zielgruppe der KMU und der Geringverdiener der neuen bAV-Welt gegenüber aufgeschlossener zu sein, als es zuweilen den Anschein hat, wie eine Studie von Aon Hewitt jüngst gezeigt hat. Eigentlich also Grund für Optimismus.

Betonung liegt auf eigentlich. Denn nehmen wir mal an, der hessische Vorschlag gewönne an politischer Relevanz: Wie will man dann noch von einem Tarifpartner verlangen, ein SPM als Langfristentscheidung aufs Gleis zu setzen, zu kommunizieren und zu betreiben, wenn möglicherweise in wenigen Jahren alle Karten erneut neu gemischt werden könnten?

Paralyse am Vorabend des Zusammenbruchs

Und weiter stelle man sich nur kurz vor, die hessische Idee der Deutschland-Rente mündete in der Folge tatsächlich in ein Gesetzgebungsverfahren. Ein solcher Prozess – technisch, rechtlich, legislativ und politisch hochkomplex – dürfte mit all seinen üblichen Irrungen, Wirrungen und Wendungen ohne weiteres 18 bis 24 Monate in Anspruch nehmen. Was würde diese Phase für die bAV bedeuten, sei es für die bestehende oder die des SPM? Richtig: nicht weniger als den praktisch kompletten Stillstand.

Dass Deutschland am Vorabend seines demografischen Zusammenbruchs sich eine solche Paralyse in seiner einzigen halbwegs funktionierenden Säule der Altersvorsorge nicht leisten kann, muss an dieser Stelle wohl nicht weiter erläutert werden.

Hinzu tritt die Problematik, dass eine solche Deutschland-Rente, so sie denn Realität würde, Pay and Forget und Race to the Bottom in maximaler Form vereinen würde. Warum sollten sich große, vor allem international aufgestellte Arbeitgeber noch die Mühe machen, eigene EbAV in Deutschland zu unterhalten, wenn es die zwar insuffiziente, aber so herrlich einfache und enthaftende Deutschland-Rente gibt? Dann die eigenen EbAV doch lieber in den Run off geben. Viele DB-Versorgungswerke sind dort ja schon ohnehin.

Zwischenfazit: Gewönne der hessische Vorschlag an Dynamik, dann wäre Stillstand während der politischen Diskussion und erst recht während Gesetzgebung also nur das eine. Die schwere Beschädigung der bestehenden und oft sehr gut funktionierenden bAV-Strukturen im weiteren Verlauf einer real existierenden Pay-and-forget-for-ever-Deutschland-Rente das andere.

bAV fällt nicht vom Himmel, sondern wird von Arbeitgebern gemacht

Entsprechend schrieb LEITERbAV schon im November 2017 zu der Hessen-Idee:

Man kann es nicht oft genug betonen: Ohne ein funktionierendes betriebliches Pensionswesen wird kein westliches Industrieland die Herausforderungen des demografischen Wandels bewältigen können! Und ohne in der bAV engagierte Arbeitgeber wird kein westliches Industrieland ein funktionierendes betriebliches Pensionswesen aufbauen respektive erhalten können!

Insofern ist die Tatsache, dass wir im frühen 21. Jahrhundert immer noch Arbeitgeber haben, die sich trotz Kosten, Rechtsunsicherheit und Komplexität überhaupt noch in der bAV engagieren, ein hohes Gut, das man hegen sollte. Wenn manchen in der Politik hierzu offenbar nicht viel mehr einfällt als wahlweise Deutschland-Rente oder Obligatorium, dann ist das – entschuldigen Sie die klare Wortwahl, liebe Leser – ebenso dumm wie zerstörerisch.“

Belege für die brennende Aktualität dieser Aussage lassen sich auch dieser Tage schnell finden. So hat der Konzern der Bekleidungsmarke C&A just erst die EbAV-Segel gestrichen und seine Pensionskasse an eine Run-Off-Plattform abgegeben.

Und auch in den 27 Fällen, in denen Pensionskassen in den letzten Jahren den Future Service kürzen mussten, dürften unzählige nachschusspflichtige Arbeitgeber ihr Engagement in der bAV nicht mit ungeteilter Freude bewertet haben. Daher für jeden, der sich hier weiter engagiert, gebotenen Respekt. Und Rechtssicherheit bitte auch.

NRW nicht besser

Das Land Hessen ist mit solchen Störmanövern übrigens nicht allein. Als die NRW-Landesregierung im vergangenen Oktober Gedankenspiele über eine Pflicht zur Betriebsrente meinte kundtun zu müssen, hat LEITERbAV den Vorstoß seinerzeit ebenfalls nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Rechtsunsicherheit inmitten der bAV-Reform kritisiert und ihn klar als das bezeichnet, was er ist: als Versuch einer Sabotage der Reform.

Mit dieser harschen Wortwahl soll den Verantwortlichen, sei es in Hessen oder in NRW, übrigens keine böse Absicht unterstellt werden. Neben oder anstatt einer Sabotage der laufenden bAV-Reform kommt auch Profilierungssucht auf dem Politikfeld der Altersvorsorge infrage. Oder schlichte Ahnungslosigkeit. Das weiß man gar nicht, was man schlimmer finden soll.

Blanker Hohn …

Doch als sei all das für sich allein schon kritisch genug, gibt es in der Idee der Deutschland-Rente der schweren Schwachpunkte weitere – als da wäre das vielfach hinkende Beispiel mit dem Ausland. Schon Anfang März 2016 sezierte Heribert Karch, Chef der MetallRente, den Hessen-Vorstoß Stück um Stück und sparte dabei auch den von Urhebern stets bemühten Vergleich mit dem Ausland nicht aus:

Norwegen kann man nicht kopieren, und Schweden sollte man nicht kopieren. Und NEST schon gar nicht. Die Einführung dieses britischen Default Systems war so etwas wie eine Notbremse in einem Rentensystem, das bereits erhebliche Altersarmut zu verzeichnen hatte. Wollen wir so lange warten?“

Der Lieblingshaken von LEITERbAV an der Deutschland-Rente versteckt sich dabei in diesem Satz aus dem aktuellen hessischen Antrag:

Die im Fonds gesammelten Mittel müssen grundrechtlich geschütztes Privateigentum des Sparers und damit dem Zugriff des Staates in jedem Fall entzogen sein.“

Das ist nun wirklich der blanke Hohn. Einer solchen Aussage – die schließlich eine Haltbarkeit von vielen Jahrzehnten haben müsste – kann man in der Bundesrepublik des 21. Jahrhunderts wohl ungefähr soviel Verlässlichkeit zubilligen wie bspw. der Einhaltung der Maastricht-Kriterien und dem Ausschluss der Transferunion in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion: einst ewiges Mantra bis hin zu Urteilen des BVerfG (Maastricht-Urteil 1992), heute nur noch ein fast schon vergessenes Relikt längst vergangener Zeiten, das von der gegenwärtigen Governance in Deutschland so weit entfernt ist wie der HSV von der Champions League.

LEITERbAV schrieb zu dieser Problematik schon vor über zwei Jahren:

Wer sich in der Bundesrepublik Deutschland des Jahres 2016 – in der Politik sich offenkundig immer weniger auf Recht und Gesetz, sondern zunehmend auf die jeweils gültigen moralischen Imperative wie auf kurzfristige Sachzwänge gründet – auf solche Aussagen aus der Politik verlässt, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen.“ 1)

und hohle Worte

Doch das ist immer noch nicht alles: Ergänzt sei, dass die ethischen und sozialen Anlagerichtlinien eines solchen staatlichen Superfonds sich hierzulande vermutlich ebenso häufig um 180 Grad drehen würden wie die politischen Weltanschauungen der von der Politik in die Fondsgremien entsendeten Vertreter – mit allen verzerrenden Folgen für die Sphäre der Zielunternehmen.

Denn dass die deutsche Politik durchaus ihre Schwierigkeiten im professionellen Umgang mit Pensionsverbindlichkeiten und Planvermögen hat, hat sie in der Vergangenheit schon hinreichend unter Beweis gestellt:

In Thüringen war man weiland auf die Idee gekommen, mit den Geldern des staatlichen Pensionsfonds schlicht eigene Staatsschulden zu kaufen. Der seinerzeitige thüringische Finanzminister Wolfgang Voß (CDU), vom Wähler längst in den sicher wohlverdienten Ruhestand geschickt, verkündete 2013 Medienberichten zufolge allen Ernstes:

Thüringen spekuliert nicht mit dem Geld aus dem Pensionsfonds. Die Mittel für die Beamtenversorgung sind sicher angelegt. Das Geld wird ausschließlich in Schuldscheinen des Freistaates angelegt.“

Was ihn zu dieser unsäglich peinlichen Aussage veranlasste – ob Ahnungslosigkeit oder Frechheit – ist nicht überliefert.

Ähnlich bunt trieb man es in Rheinland-Pfalz. Auch dort diente der ebenfalls vor allem mit eigenen Anleihen „gefundete“ Fonds anscheinend im Wesentlichen zur Finanzierung der eigenen Schulden – so lange, bis am Ende gar nichts mehr ging, sondern nur noch die Auflösung des Vehikels übrig blieb.

Im Übrigen hielt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände bereits im Februar 2016 exakt die Frage des möglichen späteren staatlichen Zugriffs auf die Mittel des Fonds schlicht und ergreifend für „unlösbar“. In der ebenfalls umfassenden und kritischen BDA-Analyse hieß es zu diesem Punkt:

So hat es der Gesetzgeber immer wieder, wenn bei Sozialversicherungsträgern hohe Reserven entstanden waren, vermocht, diese Mittel zu versicherungsfremden Zwecken zu verwenden.“

Und der vor gut einem Jahr verstorbene Bernhard Wiesner verwies zusätzlich auf die politische Machtfülle einer solchen Institution und formulierte dies ebenfalls im Februar 2016 auf LbAV so:

Die Akkumulation gewaltiger Finanzmassen, die perspektivisch das Volumen eines Bundeshaushaltes überschreiten, in einer Körperschaft ‘Deutschlandfonds’ kann und wird nicht funktionieren. Die Autoren wittern bereits selbst Unrat, wenn sie die Freiheit von politischem Zugriff fordern. Angesichts der zukünftigen Dimensionen sind das hohle Worte, wenn das gewaltige Volumen Begehrlichkeiten weckt und die Führung dieses Fonds mehr faktische Macht als Staatsorgane innehat.“

 

 

FN1) Wem diese Worte zu hart erscheinen mögen, dem sei in Erinnerung gerufen, dass dieses Zitat just aus einer Zeit stammt, als der Begriff der „Herrschaft des Unrechts“ von keinem geringerem als Horst Seehofer – damals immerhin bayer. MP und heute sogar BMI – in die Diskussion eingebracht wurde. Den Begriff des „moralischen Imperativs“ nutzte u.a. FDP-Chef Christian Lindner.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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