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Interview Roland Weber – ein bisschen Vorbild Schweden:

Mehr als Kaffeesatzleserei

Wie Sozialpartnermodelle im Einzelnen aussehen werden, ist noch unklar. Doch die grundsätzlichen Basics lassen sich über einen Prototypen sehr wohl schon vorbereiten. Mit Roland Weber, Dezernent für Krankenversicherung, Lebensversicherung und Pensionskasse der Debeka VVaG und daneben Vorsitzender der Deutschen Aktuarvereinigung e.V. (DAV), sprach Nikolaus Bora.

 

 

Herr Weber, das BRSG liegt vor. Das erste Zielrentenmodell wird frühestens im nächsten Jahr ausgehandelt sein, möglicherweise sogar erst im Herbst 2019. Wie es aussehen wird, ist völlig offen. Als potentieller Anbieter signalisieren Sie schon jetzt ihr Interesse. Aber können Sie mehr als nur eine Art von Kaffeesatzleserei betreiben, weil Details noch nicht bekannt sind?

 

Roland Weber, Debeka.

Wir schaffen im Moment die technischen Voraussetzungen, um beliebige tarifliche Verhältnisse abbilden zu können. Das ist unabhängig davon, wie die konkrete Einigung der Tarifparteien dann aussehen wird. Die Abwicklung der Beitragszahlung, der Blick des Kunden in seine Zielrente, also in das, was schon da ist, der Blick der Tarifparteien auf die Asset Allocation – das alles kann vorbereitet werden. Dazu muss man nicht im Voraus wissen, wie die Asset Allocation ist, wie intensiv die Beratung sein muss und wie teuer wird sie sein.

 

 

Mit welchem Beitragsvolumen rechnen Sie insgesamt in den ersten Jahren?

 

Da ist sehr viel Spekulation. Untersuchungen der Beratungsgesellschaft Oliver Wyman gehen davon aus, dass in zehn Jahren etwa die Hälfte dessen, was heute Versicherungsunternehmen an Beiträgen einnehmen, über die bAV läuft.

 

 

Wie wollen Sie im Konsortium Rentenwerk1) die Verträge unter sich aufteilen?

 

Jeder Konsorte hält gewisse Anteile – zwischen zehn und dreißig Prozent –, die sich nach der Größe des Unternehmens und seinen Erfahrungen mit der bAV richten. Die Gothaer und die Debeka teilen sich die Arbeit in der Konsortialführung: Die technische Vertragsverwaltung und die Abwicklung erfolgt durch die Debeka, die für ihre günstigen Kostensätze bekannt ist; die Konsortialführung in der Kapitalanlage erfolgt durch die Gothaer, die auf langjährige Erfahrung zurückgreifen kann und über die Gothaer Asset Management verfügt.

 

 

In Ihrem Prospekt werben Sie mit der „Sozialpartner-Rente auf Gegenseitigkeit“. Im Rentenwerk sind jedoch nur drei Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, zwei Unternehmen sind Aktiengesellschaften.

 

Diese beiden Aktiengesellschaften sind Töchter von Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit und werden in der jeweiligen Gruppe wie ein VVaG geführt. Wenn an der Spitze einer Gruppe ein VVaG steht, ist sie unabhängig von Börsenspekulationen. Sie muss nicht jeden Tag eine Story für die Börse erfinden, sondern kann sich auf eine kontinuierliche Arbeit konzentrieren.

 

 

Werden Sie ein einzelnes Einheitsprodukt oder deren mehrere anbieten?

 

Das Konsortium wird mit den jeweiligen Tarifvertragsparteien individuelle Lösungen diskutieren. Wir haben einen Prototypen entwickelt, den wir nach Bedarf der jeweiligen Tarifparteien modifizieren können. In der Diskussion mit ihnen müssen wir klären, wie intensiv der Beratungsbedarf ist, ob die Arbeitgeber und Arbeitnehmer online ihre Verträge einsehen können, was wir schon aus Effizienzgründen für sinnvoll halten, und wie die Kapitalanlage sein soll. Denkbar ist doch, dass Tarifparteien in Branchen mit relativ hohem Einkommen durchaus stärker auf Aktien setzen und die aus Branchen mit vielen Niedrigverdienern auf mehr Sicherheit gehen. Das Modell kann also individuell gestaltet werden und wird auf Seiten des Konsortiums einheitlich abgewickelt.

 

 

Und welche Durchführungswege werden Sie anbieten?

 

Man kann Pensionskasse, Pensionsfonds oder Direktversicherung vereinbaren. In der Direktversicherung gibt es nicht mehr die Probleme, wie sie in den ursprünglichen Versicherungswegen bestanden. Sie ist insbesondere für kleinere Tarifpartner geeignet, weil kein Einrichtungsaufwand wie für einen neuen Pensionsfonds geschaffen werden muss, und sie ist kostengünstig und transparent. Die Kapitalanlage erfolgt zum Selbstkostenpreis, und alle Kosten werden im Produkt ausgewiesen. Das gilt auch für einen Pensionsfonds.

 

 

Im Bereich der Direktversicherung gibt es eine neue Schwierigkeit: Im Juni wurde die 4. EU-Geldwäscherichtlinie in nationales Recht umgesetzt. Jetzt muss – anders als zuvor – mit großem Aufwand identifiziert werden, und das treibt doch die Kosten, die bei der Zielrente möglichst niedrig sein sollen.

 

Seit dem 26. Juni 2017 müssen Versicherungsnehmer von Verträgen der bAV anhand von Dokumenten, zum Beispiel Handelsregisterauszügen, identifiziert werden. Zuvor war alternativ die Identifizierung über das Abbuchungskonto möglich, die Lastschrifterleichterung nach dem VAG, die jedoch eine Überprüfung der Beitragszahlung erforderte. Der Aufwand der Identifizierung nach der Neuregelung hält sich allerdings gerade beim Durchführungsweg Direktversicherung nach wie vor in Grenzen. Bereits beim ersten persönlichen Kontakt mit dem Versicherungsnehmer können die erforderlichen Daten aufgenommen und eine Kopie des entsprechenden Nachweises erstellt werden. In diesem Durchführungsweg ist die versicherte Person zugleich der wirtschaftlich Berechtigte. Daher sind hier nur die Daten aufzunehmen, die ohnehin für die Vertragsführung notwendig sind. Lediglich bei Übernahme der Versicherungsnehmer-Eigenschaft müsste die versicherte Person als neuer Versicherungsnehmer voll identifiziert werden, inklusive der Fertigung einer Ausweiskopie. Es ist bislang noch nicht abschließend mit der BaFin geklärt, ob zusätzlich die für den Versicherungsnehmer auftretende Person, zum Beispiel der Personalchef, in der bAV tatsächlich identifiziert werden muss. Von einem Kostentreiber kann insgesamt keineswegs gesprochen werden. Der Mehraufwand gegenüber dem Pensionsfonds ist unerheblich und macht sich bei der Kalkulation der Zielrente nicht bemerkbar.

 

 

Wie wollen Sie beraten? Betriebliche Altersversorgung ist für den Vertrieb kein ‚Sofageschäft‘. Ist der ,normale Außendienst‘ dafür geeignet?

 

Wir werden in allen fünf Unternehmen ausgewählte bAV-Spezialisten qualifizieren und zertifizieren, die dann die Beratung durchführen.

 

 

Wird Ihrer Meinung nach die Zielrente zu Lasten der klassischen bAV gehen?

 

Das wird von der künftigen Zinsentwicklung abhängen. Ich glaube nicht, dass die Zinsen noch einmal ein Niveau erreichen, wie wir es vor zwanzig Jahren hatten. Deshalb werden die Chancen, die die neue bAV mit der Enthaftung des Arbeitgebers bietet, sich mit der Zeit als ein starkes Anziehungsmittel erweisen. In Deutschland hat sich sicher noch keine Aktienkultur etabliert. Aber im Laufe der Zeit wird sich zeigen, dass ein Investment in Aktien sinnvoll ist. Das beweist auch der kostengünstige schwedische Staatsfonds mit seinem hohen Aktienanteil. Der ist für uns ein bisschen das Vorbild für die Kapitalanlage beim Sozialpartnermodell.

 

 

Jüngst haben einige Lebensversicherer kundgetan, dass Sie ihren klassisches LV-Bestand in den Run-off schicken wollen. Sehen Sie hier die Gefahr, dass es bei Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Tarifpartnern in der Folge zu Akzeptanzproblemen der Assekuranz in dem langfristigen Geschäft der bAV kommen könnte?

 

Nein, dabei handelt es sich um einen ganz anderes Thema, das im Zusammenhang mit den Folgen der Niedrigzinsphase steht. Die neue Produktwelt, die sich viel stärker auf die Chancen des Kapitalmarktes konzentriert, ist von solchen Überlegungen – einzelner Unternehmen – überhaupt nicht betroffen.

 

 

FN 1) Dem Konsortium Rentenwerk gehören an: Barmenia Lebensversicherung a.G., Debeka Lebensversicherungsverein a.G., Gothaer Lebensversicherung AG, HUK-COBURG-Lebensversicherung AG und Stuttgarter Lebensversicherung a.G., die Angaben zufolge zusammen Kapitalanlagen von mehr als 200 Mrd. Euro verwalten.

 

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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