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Interview mit Frank Oliver Paschen:

„Das ist nicht der richtige Weg“

Zunehmende Komplexität und Garantieverzicht, Tarifexklusivität und Paralleluniversen: Nicht jeder blickt der bAV-Reform mit Optimismus entgegen. Mit dem Chef der Dresdener Pensionskasse sprach für LEITERbAV Nikolaus Bora.

 

 

Herr Paschen, Ihrer Meinung nach wird durch das Tarifpartnermodell die bAV nicht gestärkt. Das Ziel, die Verbreitung voranzutreiben, werde komplett verfehlt, sagen Sie. Warum dieses negative Urteil?

 

In Unternehmen mit Tarifbindung ist die bAV bereits stark verbreitet. Wenn dort durch ersetzende Tarifverträge die bisherigen bewährten Garantiemodelle abgelöst werden, gewinnt man keinen zusätzlichen Arbeitnehmer für die bAV. Es bleibt zudem abzuwarten, ob sich die Gewerkschaften die künftig deutlich unsichere Position ihrer Mitglieder abkaufen lassen, etwa durch höhere Arbeitgeberbeiträge. Offen ist auch, ob es dann überhaupt praktikable Referenzmodelle gibt, die durch eine etwaige Tariföffnung auf die KMU herunter gebrochen werden können.

 

 

Im bisherigen System gibt es rund 15 Millionen Verträge, überwiegend in großen Unternehmen. Ein Problem sind die KMU. Diese und ihre Beschäftigen sollen auch durch das BRSG erreicht werden. Welche Alternativen schlagen Sie denn für diesen Sektor vor?

 

Im Entwurf zum BRSG ist vorgesehen, dass sich nicht tarifgebundene Unternehmen an – geöffnete – Tarifverträge anhängen können. Dies ist nicht der richtige Weg. Mögliche Tarifverträge zum BRSG werden für Großunternehmen konzipiert sein. Der Inhaber eines kleinen Handwerksbetriebes, der schon heute an der Komplexität der deutschen bAV scheitert, wird dann auch künftig kaum beurteilen können, ob diese tarifvertraglichen Regelungen für ihn passen und welche rechtlichen Risiken er eingeht. Im Sinne der KMU wäre es viel sinnvoller, die vorhandenen Systeme zu optimieren und zu entschlacken oder über ein flächendeckendes Opting Out, dem aber auch eine wie auch immer geartete Garantieleistung gegenüber stehen sollte, den Verbreitungsgrad zu erhöhen. Allenfalls für diese Gruppe der KMU wäre es meines Erachtens auch durchaus sinnvoll, über Haftungserleichterungen nachzudenken oder die versicherungsvertragliche Lösung des Paragraphen 2a Absatz 5 des Betriebsrentengesetzes praktikabler und für alle Durchführungswege einheitlich zu gestalten. Dadurch wäre ein gewichtiges Hemmnis für die Verbreitung der bAV in kleinen mittelständischen Unternehmen beseitigt.

 

Frank Oliver Paschen.
Dresdener Pensionskasse.

 

Auf Garantien wollen Sie keinesfalls verzichten. Doch diese gehen zu Lasten der Rendite.

 

Der Verzicht auf Garantien ist nicht grundsätzlich falsch, aber bitte nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Verbraucher, Versicherte, Arbeitnehmer blicken mit Skepsis auf Europa und die europäische Staatsschuldenkrise. Wegen des Niedrigzinsszenarios betrachten sie die institutionellen Anleger mit Argwohn. Entfallen Garantien, führt das nicht zu einer neuen Abschlusswelle, sondern zu noch mehr Zurückhaltung. Denn der Deutsche ist ein sicherheitsliebender Mensch. Es ist zwar richtig, dass der Entfall von Garantien unter Umständen höhere Renditen bringen kann, nicht zu unterschätzen ist aber auch das damit verbundene Risiko, wenn nur noch ein Korridor, eine Zielrente vorgegeben wird. Es wird ohnehin schon eine Herkulesaufgabe sein, das künftige System mit all seinen Regelungen – steuerlich, sozialversicherungsrechtlich, Anrechnung Grundsicherung et cetera – zu vermitteln. Wenn bei dieser Komplexität dann aber keinerlei Garantie gewährt werden soll, ist meines Erachtens der Erfolg mehr als fraglich.

 

 

Sind unter den mehr als 420 Mitgliedern der Dresdener Pensionskasse auch nicht tarifgebundene Unternehmen?

 

Wie repräsentieren Mitglieder verschiedenster Couleur, vom amerikanischen Großkonzern bis zum Kleinstbetrieb. Bei unseren größeren Mitgliedsunternehmen herrschen zum Teil gleich mehrere Tarifbindungen vor, die KMU unseres Bestandes sind aber größtenteils gar nicht tarifgebunden.

 

 

Sie sprechen von einem Paralleluniversum und von Wettbewerbsverzerrung. Fürchten Sie sich vor Wettbewerbern?

 

Mit dem Gesetzesvorhaben schafft man ja nicht nur quasi einen neuen sechsten Durchführungsweg, sondern begeht einen kompletten Paradigmenwechsel, der neben das alte System gestellt wird. Dies wird unter anderem dazu führen, dass produktseitig im Bereich der Kapitalanlage die bestehenden 15 Millionen Verträge respektive die Einrichtungen, die diese Verträge verwalten, eher mit noch schlechteren Bedingungen zu rechnen haben. Die Anbieter werden sich darauf konzentrieren, das neue System mit entsprechenden Produkten zu versorgen. Wir fürchten uns natürlich nicht vor dem Wettbewerb. In dem befinden wir uns bekanntlich mit nachhaltigem Erfolg bereits seit Jahrzehnten. Ich wehre mich nur dagegen, dass unterschiedliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, die zu erheblichen Wettbewerbsnachteilen führen. Als Kasse unseres Zuschnitts werden wir entweder von der neuen „Tarifrente“ völlig abgeschnitten sein oder aber ein Paralleluniversum anbieten müssen, in welchem neben den bisherigen Rentengarantien auch Zielrenten angeboten werden. Angesichts dann gesonderter vorzuhaltender Kapitalanlage, Eigenmittelausstattung und Risikomanagement ist dies praktikabel nicht durchführbar. Ein äußerst wichtiger Aspekt ist in diesem Zusammenhang, dass nicht etwa zugunsten der Direktversicherer das Garantieverbot noch aufgeweicht wird. Das wäre dann eine wirkliche Wettbewerbsverzerrung, von der alle übrigen bAV-Anbieter, besonders jedoch überbetriebliche Pensionskassen, wie wir es sind, betroffen wären. Wenn also schon der Entfall von Garantien, dann komplett und für alle Durchführungswege gleich.

 

Wie soll, wie kann denn die bAV Ihrer Meinung nach gestärkt werden?

 

Ich halte den vorliegenden Entwurf zum BRSG, von kleineren Verbesserung im Bereich der Förderung und Anrechnung bei der Grundsicherung einmal abgesehen, für nicht sehr zielführend. Besser wäre gewesen, sich auf die KMU zu fokussieren. Dort herrscht nach wie vor ein äußerst geringer Verbreitungsgrad der bAV. Das liegt einmal an der Komplexität, die man jetzt noch erhöht, zum anderen an altbekannten Hindernissen wie der doppelten Verbeitragung und dem zu geringen Rahmen des Paragraphen 3.63 Einkommensteuergesetz. Ein praktikables Opting Out wäre sicherlich auch sinnvoll. Für die Rechtssicherheit könnte man schließlich eine Menge tun, und ich hoffe, dass im Rahmen des jetzigen Gesetzgebungsverfahrens zumindest die versicherungsvertragliche Lösung und die noch immer unzureichende Regelung des Paragraphen 16 Absatz 3 Nr. 2 Betriebsrentengesetz korrigiert werden.

 

 

 

Über Frank Oliver Paschen und die Dresdener Pensionskasse VVaG:

 

Die Dresdener Pensionskasse ist die älteste überbetriebliche Pensionskasse Deutschlands, gegründet 1901 als Gebr. Arnhold´scher Pensionsverein e.V., um die Betriebsbeamten des Dresdener Bankhaus zu versorgen. Unter Druck der Nationalsozialisten muss die Firmierung 1938 in Dresdener Pensionsverein a.G. (DPV) geändert werden, die sowjetische Besatzungsmacht schließt die Kasse, die DDR enteignet sie weitgehend. 1951 verlegt die Kasse ihren Sitz nach Kulmbach. Seit 2004 firmiert sie als Dresdener Pensionskasse VVaG.

 

Mit einer Bilanzsumme von heute circa 302 Millionen Euro ist sie eine der kleineren deutschen EbAV. Betreut werden rund 420 Mitgliedsunternehmen, gut 15.700 Anwärter und knapp 5.700 Rentner. Beitragseinnahmen 2015 rund 11,8 Millionen Euro, Leistungen über 11 Millionen Euro. Kapitalanlagen circa 292 Millionen Euro, Kapitalerträge 11,8 Millionen Euro, Nettoverzinsung 3,7 Prozent (alle Angaben 2015). Wesentlichen Schwerpunkt der Anlage bilden Schuldscheindarlehen und Namensschuldverschreibungen. Das Anlageuniversum der Aktien liegt ausschließlich in ETF, vorwiegend auf dem MSCI World. 2016 hat die Kasse ihre Beitragseinnahmen um 3,5 Prozent bei den laufenden Beiträgen auf nun 12 Millionen Euro steigern können.

 

Frank Oliver Paschen, 1968 in Salzgitter-Bad geboren, aufgewachsen in St. Peter-Ording, Studium der Rechte mit Wahlfach Arbeits- und Sozialrecht an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel, ist ab 1999 im Genossenschaftswesen tätig, unter anderem als Vorstand der Pensionskasse Raiffeisen-Schulze-Delitzsch. Anfang 2010 wird er zum Vorstandsvorsitzenden der Dresdener Pensionskasse berufen.

 

Als Mann der Praxis ist er für den heutigen Montag zur öffentlichen Anhörung in den BT-Ausschuss für Arbeit und Soziales als Sachverständiger eingeladen. Die Materialen zu dieser Anhörung finden sich zwischenzeitlich hier.

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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