Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Pensionskassen vor dem BSG (VII):

„Institutionelle Abgrenzung“

 

Das Bundessozialgericht in Kassel hat letzte Woche zu der Krankenkassenbeitragspflicht bei Betriebsrenten aus Pensionskassen geurteilt, die privat fortgeführt worden sind. Nun hat das Gericht erste Details veröffentlicht. Und sofort stellen sich ernste Fragen.

 

Wie berichtet, hat der 12. Senat des BSG am 23. Juli die Sprungrevision des klagenden Betriebsrentners zurückgewiesen.

 

In drei Verfahren war zu verhandeln, ob nach zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2010 eine unterschiedliche Behandlung von Pensionskassen und Direktversicherungen gerechtfertigt sein kann.

 

Das Verfahren B 12 KR 28/12 R (S. ./. Barmer GEK) erfolgte dabei in mündlicher Verhandlung. Der Kläger, früher mit Anstellung bei einer Bank und seit 2008 als Rentner bei der beklagten Krankenkasse pflichtversichert, hatte von ebendieser erfolglos die Erstattung der Beiträge unter Hinweis auf die BVerfG-Rechtsprechung verlangt (der Kläger hatte von der Gesamtlaufzeit von über 25 Jahren 24 Jahre lang als Versicherungsnehmer allein Beiträge zur Pensionskasse gezahlt). Das SG Köln (S 26 KR 1041/11) hatte seine Klage abgewiesen. Nun schreibt das BSG zu dem ergangenen Urteil:

 

Der Senat hält in Bezug auf die Beitragspflicht von Leistungen einer Pensionskasse – als einem Durchführungsweg der bAV – an seiner in ständiger Rechtsprechung vertretenen 'institutionellen Abgrenzung' fest. Danach zählen zu den Renten der bAV alle Bezüge von Institutionen, bei denen in typisierender Betrachtung ein Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zu diesem Versorgungssystem und dem Erwerbsleben besteht. Die Modalitäten des individuellen Rechtserwerbs bleiben dabei ebenso unberücksichtigt wie die Frage eines nachweisbaren Zusammenhangs mit dem Erwerbsleben im Einzelfall. Ausgehend davon sind Leistungen, die von einer Pensionskasse gewährt werden, beitragsrechtlich stets Bezüge der bAV. Unerheblich für diese Zuordnung ist insoweit, ob es sich bei der leistenden Institution um eine regulierte oder eine deregulierte Pensionskasse handelt. Ebenso wenig ist von Bedeutung, ob dabei Leistungen in Rede stehen, die auf eigenen Beiträgen des Versicherten beruhen.

 

Bundessozialgericht in Kassel. Foto: Dirk Felmeden.
Bundessozialgericht in Kassel.
Foto: Dirk Felmeden.

Auch auf die Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes, wonach der Sachverhalt bei privat fortgeführten Direktversicherungen anders zu beurteilen ist, geht der Senat ein und sieht sich auf der sicheren Seite:

 

Die Rechtsprechung des BVerfG zur Beitragspflicht von Leistungen aus einer vom Arbeitgeber für den Arbeitnehmer bei einem privaten Versicherungsunternehmen abgeschlossenen Direktversicherung, die der Arbeitnehmer nach seinem Ausscheiden aus dem Betrieb privat als Versicherungsnehmer fortführte, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Diese Rechtsprechung gilt nicht für Pensionskassen. Das BVerfG hat die vom Senat vorgenommene institutionelle Abgrenzung der beitragspflichtigen von beitragsfreien Einnahmen Pflichtversicherter der GKV am Maßstab des Artikel 3 I GG ausdrücklich als ein verfassungsrechtlich unbedenkliches handhabbares Kriterium gebilligt; es wirft im Vergleich zu anderen Kriterien die wenigsten Gleichbehandlungsprobleme auf. Die Ausnahme für Leistungen aus einer vom Arbeitnehmer als Versicherungsnehmer fortgeführten Direktversicherung ist auf die Leistungen einer Pensionskasse nicht übertragbar. Entscheidend dafür ist, dass der institutionelle Rahmen des Betriebsrentenrechts im Durchführungsweg Pensionskasse nie völlig verlassen wird. Pensionskassen sind – anders als Kapital- beziehungsweise Lebensversicherungsunternehmen – in ihren Aktivitäten von vornherein auf den Zweck Durchführung der bAV beschränkt. Daher sind auch Leistungen aufgrund besonderer Vertragsgestaltungen – wie hier der freiwilligen Zusatzversicherung des Klägers – als Versorgungsbezug beitragspflichtig, solange sie von einer Pensionskasse erbracht werden. Ein Verstoß gegen Art 3 I GG kommt schließlich umso weniger in Betracht, als die Fortsetzung des Versicherungsverhältnisses bei einer Pensionskasse als spezieller Einrichtung der bAV auf der autonomen Entscheidung des Klägers beruhte, seine Altersvorsorge in einer bestimmten Art und Weise zu gestalten.“

 

 

Wie bitte?

 

Insbesondere der letzte Satz dieser Aussagen des Senats muss erstaunen. Die Fortsetzung des Versicherungsverhältnisses bei einer Pensionskasse als spezieller EbAV soll auf der autonomen Entscheidung des Klägers beruht haben, seine Altersvorsorge in einer bestimmten Art und Weise zu gestalten? Das stimmt nicht. Denn der Kläger dürfte, so sein Arbeitgeber nur eine Pensionskasse anbot, keine Wahl eines anderen Durchführungsweges gehabt haben, beispielsweise den der nun urplötzlich privilegierten Direktversicherung. Außerdem konnte der Kläger bei Einstieg in die bAV – im vorliegenden Fall Jahrzehnte zurückliegend – nicht im Ansatz damit rechnen, dass der Gesetzgeber 2004 rückwirkend die Beitragspflicht einführt und die Rechtsprechung hier irgendwann sogar zwischen Direktversicherung und Pensionskasse unterscheiden wird. Von Autonomie und Bestimmtheit kann also keine Rede sein.

 

 

Bitte kein Tischtennis mehr

 

Abgesehen davon, dass es sich hier um eine Entscheidung handelt, die der betrieblichen Altersversorgung in Deutschland alles andere als nützt und die Verhältnisse zwischen den Durchführungswegen Pensionskasse und Direktversicherung verzerrt, betont Leiter-bAV.de erneut das Glatteis, auf das BSG sich mit der Entscheidung begibt: Eine unterlegene Krankenkasse würde kaum den Weg vor das Bundesverfassungsgericht suchen, ein unterlegener Rentner möglicherweise schon. Insofern geht das BSG mit seiner Entscheidung das Risiko ein, dass es nach der analog gelagerten Frage der Beitragspflicht bei privat fortgeführten Direktversicherungen erneut in Karlsruhe kassiert werden könnte.

 

Übergeordnetes Fazit bleibt ohnehin: Am Ende des Tages ist es Aufgabe des Gesetzgebers, klare Verhältnisse und Rahmenbedingungen zu schaffen, die ein Ping-Pong-Spiel zwischen höchsten Bundesgerichten und Bundesverfassungsgericht überflüssig machen.

 

Der Terminbericht des BSG mit den Details findet sich hier (Nummer 4).

 

Die Urteile der beiden anderen Verfahren erfolgten ohne mündliche Verhandlung, daher sind deren Urteile noch nicht bekannt (Verkündigung durch Zustellung).

 

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