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Bernhard Wiesner im Interview (III):

„Individualisiert und vertriebsgestützt funktioniert das nicht.“

Bernhard Wiesner, bAV-Chef bei Bosch, über die Unterschiede in der Interessenvertretung von Versicherern und Industrie in der Existenzfrage der Altersversorgung. Letzter Teil eines dreiteiligen Interviews.

 

Sie sind also optimistisch. Welches wären denn konkret für Sie die wichtigsten Maßnahmen?

Bernhard Wiesner, Bosch
Bernhard Wiesner, Bosch

Die Komplexität muss verringert werden. Für kleine und mittlere Unternehmen muss es beispielsweise möglich sein, nicht verschiedene, sondern einen Durchführungsweg zu nutzen, und zwar gemeinsam für alle Mitarbeiter und etwa die Gesellschafter-Geschäftsführer. Ferner brauchen gerade KMU einfachste, kostengünstigste und haftungsarme Lösungen von EbAV, denen sie und ihre Arbeitnehmer voll vertrauen können. Ähnlich wie in den Niederlanden kommt neben den Unternehmen gerade auch den Sozialpartnern eine besondere Verantwortung für hocheffiziente EbAV-Lösungen zu, die sie selbst in die Fläche bringen und die auch allen Interessierten offenstehen. Wenn dazu steuerliche Lenkungswirkungen gut platziert werden, dann fliegt das. Für ein Land mit unserer Bevölkerungsgröße und der Stärke unserer Volkswirtschaft ist das bisherige Volumen der kapitalgedeckten Altersvorsorge völlig unzureichend. Das wird für unsere gesamte Gesellschaft äußerst problematisch, wenn wir das nicht in den Griff kriegen. Individualisiert und vertriebsgestützt funktioniert das nicht. Wir brauchen einen echten Durchbruch, und den erreichen wir nur über die Stärken der bAV. Ja, deshalb können wir optimistisch sein, dass solche oder ähnliche Maßnahmen kommen – weil es für einen Durchbruch keine Alternativen gibt.

 

Sie erwähnten, dass Sie auch nicht viel von den gegenwärtig verstärkt diskutieren Vorschlägen zu Opting-out und Obligatorium halten?

Wie gesagt, gesetzliche Vorgaben in dieser Form wären aus vielen Gründen massiv kontraproduktiv. Die Versicherungsindustrie soll ja in Berlin auch stark für ein gesetzliches Opting-out plädieren. Warum wohl? Das liefe auf ein staatlich flankiertes Vertriebsprogramm und damit teure Lösungen gerade auch bei KMU und ihren Arbeitnehmern hinaus. Nein, es werden effizientere flächendeckende Lösungen benötigt.

 

Sollte die deutsche Industrie in der bAV ihre Interessen ebenso energisch vortragen wie die Versicherer es tun?

Das gemeinsame Engagement von Arbeitgebern, Gewerkschaften und vielen Verbänden um die neue EU-Pensionsfondsdirektive ist ja sehr gut und auch bislang erfolgreich. Dabei ist es auch gelungen, Entscheidungsträgern in Brüssel und Berlin wieder zu verdeutlichen, dass es bei der bAV nicht um Finanzprodukte, sondern um Sozialleistungen geht, und dass es sich bei EbAV um „Social Institutions“ und nicht um „Financial Institutions“ handelt. Kommissar Andor war der erste in Brüssel, der zu Beginn diesen Jahres öffentlich sagte: „Pensionfunds are there – first and foremost – to serve a social purpose“. Versicherer bewegen sich mit ihren Interessen um die Altersvorsorge auf einem ihrer Kerngeschäftsfelder und fahren daher mit entsprechender Lobby-Power.

 

Die Industrie ist hier zurückhaltender.

Sozialleistungen sind kein Kerngeschäftsfeld und kommen sehr viel leiser daher. Unserem Gründer Robert Bosch, der zu den ersten Unternehmerpersönlichkeiten gehörte, die sich zu Beginn des letzten Jahrhunderts aus sozialer Verantwortung für bAV engagierten, hätte jedes Verständnis gefehlt, wenn er die Politik hätte energisch überzeugen müssen. Im Kern ist das auch heute so. Ich habe noch von keinem Kollegen gehört, der über ein Lobbybudget für bAV verfügt. In der Politik hat noch nicht jeder verstanden, dass es beim Aufbau kapitalgedeckter Altersvorsorge um ein existentielles Risiko der Menschen in der gesamten EU geht. Wie die OPSG vor kurzem feststellte, geht es dabei nicht um das Vertreiben von Kosmetika, Unterhaltungsprodukten und so weiter, sondern bei existentiellen Risiken der Menschen ist es von vitaler Bedeutung, dass sie bestmögliche Leistungen zu geringstmöglichen Kosten erhalten. Die Riester-Rente war eine Erfindung der Politik. Wenn es jetzt darum geht, die Hauptakzente in der kapitalgedeckten Altersvorsorge neu und besser zu adjustieren, dann ist die Politik in Berlin und Brüssel im Interesse der Menschen dringend gefordert auf die leisen Stimmen der bAV zu hören.

 

 

 

Zur Person Bernhard Wiesner:

Der Arbeitsrechtler Wiesner ist bereits seit 1985 bei der Robert Bosch GmbH. Als Senior Vice President Corporate Pensions & Related Benefits und Vorstandsvorsitzender des Bosch Pensionsfonds ist der 59-jährige verantwortlich für die betriebliche Altersversorgung von über 300.000 Mitarbeitern weltweit. Der gebürtige Rheinländer gilt als einer der engagiertesten und profiliertesten Vertreter der industrieeigenen bAV in Deutschland, der weder in Fachkreisen noch in der Öffentlichkeit das klare Wort scheut. Das gilt auch für seine Verbandsarbeit. In der aba ist er Vorstand und Leiter der Fachvereinigung Direktzusage und Unterstützungskassen. Seine politischen Kernanliegen sind die Stärkung der bAV der Unternehmen und Sozialpartner, ein eigenes Aufsichtsrecht für die EbAV in Deutschland und ein von Solvency II strikt abgegrenztes europäisches Aufsichtsregime im Rahmen der neuen Pensionsfondsrichtlinie.

 

Ende des dritten und letzten Teils des Interviews. Der erste Teil findet sich hier. Der zweite hier.

Das Interview führte Pascal Bazzazi.

 

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