Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Faros Institutional Investors Forum:

In Deutschlands zweiter Säule…

bAV? Hierzulande mit Nachholbedarf! Opting-out? Zentral! Ausblick? Von Zurückhaltung bis Zuversicht! Und ohne den Arbeitgeber als dritten Akteur geht nichts. In Frankfurt trafen sich Experten.

 

Vergangene Woche Donnerstag in Frankfurt, auf dem „Faros Institutional Investors Forum“ im Rahmen der „20th Euro Finance Week“:

 

Professor Diether Döring von der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität spricht mit vier Diskutanten über die bAV-Reform.

 

Das Podium auf dem "Faros Institutional Forum". Alle Fotos: dfv Maleki Group Thomas Feda.

 

Und der Moderator macht gleich zu Beginn keinen Hehl daraus, dass er in Deutschlands zweiter Säule Nachholbedarf sieht:

 

Das Land braucht in der Alterssicherung dringend eine kampfstarke betriebliche Altersversorgung. Das leistungsstarke Umlagesystem, wie es seinerzeit von der Regierung Adenauer eingeführt worden ist, hatte auch mit Blick auf die krisenhafte Geschichte Deutschlands absolute Berechtigung, stößt aber in unserer alternden Gesellschaft an Grenzen.“

 

Diether Doering.

 

Die deutsche bAV sehe dabei durch die europäische Brille immer noch unterentwickelt aus. Man sehe, so Döring, auf die Niederlande mit einem fast flächendeckenden System, auf Frankreich mit einem gesetzlichen Pflichtsystem, auf die Schweiz mit einem Obligatorium; und Großbritannien führe derzeit sukzessive ein flächendeckendes Opting-out-System ein. „Auch die hiesigen Pensionsvermögen sind im internationalen Vergleich relativ gering“, bemängelt Döring.

 

 

Vorne Mikado, hinten denken, Uhren ticken

 

Nun sind in Deutschland BRSG, reine Beitragszusage, Zielrente und Opting-out auf dem Tisch. Wird diese Reform Erfolge zeigen, will der Moderator wissen. Auskunft geben konnte Heribert Karch, als Chef der MetallRente und Vorsitzender der aba naturgemäß stets nah an der Entwicklung:

 

In der Tarifpolitik spielt man oft vorne Mikado – wer sich zuerst bewegt, hat verloren – und hinten wird gedacht.“ Mit Einzelheiten zum Stand der Entwicklung hielt Karch sich zurück, machte aber auch etwas Hoffnung: „Glauben Sie mir, in dieser Sache wird bei den Tarifparteien nicht geschlafen.“

 

Heribert Karch.

 

Überhaupt ist Karch nicht ohne Optimismus – sofern die Voraussetzungen stimmen, um mit dem enger werdenden Zeitfenster umzugehen: „In Deutschland tickt die Uhr. Und anders als vor 17 Jahren angenommen, sind es zunehmend junge Menschen, denen immer weniger Zeit zum Aufbau einer bAV bleibt, um die für diese Gruppe besonders empfindlichen Leistungssenkungen auszugleichen.“ Und vor allem: „Wir brauchen eine bAV mit tariflich ausgehandelten Arbeitgeberbeiträgen, sonst wird das alles nicht funktionieren.“

 

 

Viel arbeiten, viel verdienen, nicht vorsorgen

 

Große Herausforderung: Die Menschen erreichen, besonders die jungen! Doch die haben, auch bei der Berufswahl, meist anderes im Sinn als die (betriebliche) Altersversorgung, waren sich die Teilnehmer einig. „Ich sehe es bei meinen jungen Söhnen. Altersvorsorge spielt in deren Denken bei der Auswahl des Arbeitgebers nicht die allergeringste Rolle“, konnte Ulrich Mix, Geschäftsführer der Deutschen Pensions Group, berichten.

 

Silke Stremlau, Leiterin Unternehmensentwicklung der Hannoversche-Kassen, ergänzte: „Wenn überhaupt junge Leute an die Vorsorgezukunft denken, dann höchstens insofern, als dass sie davon ausgehen, ewig zu arbeiten und stets gut zu verdienen – und ebenso hochflexibel und mobil zu sein. Und hochflexibel und mobil, gepaart mit sehr heterogenen, wechselhaften Berufsbiographien, sind viele junge Leute tatsächlich.“

 

Silke Stremlau.

 

Auf diese veränderte Berufswirklichkeit gehe das Gesetz nicht ausreichend ein, so Stremlau mit Blick auf die Portabilität: „Wir haben zwar den gesetzlichen Anspruch, dass ich als Arbeitnehmerin zum Beispiel meine Direktversicherung vom alten zum neuen Arbeitgeber mitnehmen kann. Wir wissen in der Realität aber auch, dass dies viel zu selten vom neuen Arbeitgeber ermöglicht wird. Und als Mensch mit einer halbwegs normalen Berufsbiographie habe ich dann irgendwann fünf verschiedene Altersrenten, bei denen ich auch alle Kosten trage.“ Das sei nicht im Sinne der Arbeitnehmer gedacht, und das BRSG fasse diese Problematik nicht ausreichend an.

 

Man könne von Berufsanfängern Anfang 20 nicht immer erwarten, dass sie kluge, langfristige Entscheidungen in der Altersvorsorge treffen, konstatierte auch Döring. Was tun also? Neben den zweifelsohne wichtigen Arbeitgeberbeiträgen steht hier Opting-out im Fokus – und es gibt EbAV in Deutschland, deren Existenz so dauerhaft und selbstverständlich ist, dass ihre Durchdringung in ihrer Branche praktisch total ist. Ein Beispiel gibt es in Berlin. Helmut Aden, Vorstand des, BVV und ebenfalls auf dem Podium, erklärte: „Es ist sicher von Vorteil, dass es uns seit jeher gibt.“ Eine bAV für jeden neu eintretenden Mitarbeiter sei bei den BVV-Mitgliedsunternehmen eine Selbstverständlichkeit. Und auf eine wichtige Praxis-Erfahrung, auch in Zusammenhang mit der Einführung von Oping-out-Konzepten, wies Aden hin: „Wann ist die Eintrittsschwelle für eine bAV am Geringsten? Bei dem Eintritt in das Unternehmen.“

 

Helmut Aden.

 

Auch Mix verspricht sich viel von einem Opting-out und verwies dabei auf erst jüngst standesgemäß gewürdigte wissenschaftliche Erkenntnisse: „Der Nobelpreis an Richard Thaler hat es veranschaulicht: Menschen brauchen oftmals einen Anstupser, um sich rational zu verhalten. Welches bessere Beispiel kann es hierfür geben als ein Opting-out in der betrieblichen Altersversorgung?“

 

Karch ergänzte, dass es bei Opting-out noch nicht einmal nur um die Durchdringung gehe: „Die Tarifparteien brauchen Opting-out – aber weniger zur Verbreitung als zur Erzielung ausreichend hoher Eigenbeiträge und deren Dynamisierung. Denn die in den ersten Jahren verhandelbaren Versorgungsbeiträge im Sozialpartnermodell werden zunächst sehr bescheiden sein.“

 

 

Tarifungebunden bei Metall: Zehn zu eins

 

Kritik erfährt die gegenwärtige bAV-Reform häufig insofern, als sie einerseits auf die Tarifparteien (und damit in gewissem Sinne auch auf eine Tarifbindung) setzt, andererseits die im politischen Fokus der Reform stehenden KMU aber häufig gar nicht tarifgebunden sind. „Wie erreichen wir – auch angesichts der Erosion der Tarifbindung – nicht tarifgebundene Unternehmen“, wollte Döring von den Teilnehmern wissen. Stremlau ist verhalten optimistisch: „Unsere Mitgliedsunternehmen – Waldorfschulen, Pflegeeinrichtungen oder Betriebe der ökologischen Landwirtschaft – sind praktisch komplett nicht-tarifgebunden. Wir als Institution erhoffen uns gleichwohl Impulse von dem Sozialpartnermodell und der reinen Beitragszusage.“

 

Auch Karch ist zuversichtlich: „Auch wenn das Sozialpartnermodell Unternehmen außerhalb des Flächentarifvertrages im ersten Schritt noch nicht erreicht, so werden in der Folge viele versuchen, ein attraktives Angebot der Tarifparteien als Referenz zu nutzen.“ Bemerkenswert ist jedenfalls, was Karch hier aus seiner EbAV zu berichten wusste: „Sehen Sie die Metallrente, die nur ein Beispiel von mehreren ist: Rund 3.600 Mitgliedsunternehmen sind hier tarifgebunden, dazu kommen rund zehnmal soviel nicht tarifgebundene Unternehmen.“

 

 

Forget ist anders – zumindest bei IT und Admin

 

Auch wenn Karch – wie oben erwähnt – zu berichten wusste, dass trotz des vordergründigen Mikado-Spiels im Hintergrund über die Umsetzung von SPM nachgedacht werde, sollte nicht mit schnellen Ergebnissen gerechnet werden. Stremlau stellt bei ihren Mitgliedern jedenfalls derzeit vor allem eine abwartende Haltung fest: „Das echte Momentum für mehr bAV bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern sehe ich noch nicht.“ Ohnehin erlebe sie in der Branche derzeit eher einen Abwehrmechanismus bei einigen Unternehmen und Beratern, ganz nach dem Motto: Wie können wir die Verpflichtungen für die Arbeitgeberseite gering halten?. Immerhin: „Unsere Mitglieder sehen das diametral anders und sehen sich als Arbeitgeber in der Verantwortung für ihre Mitarbeitenden, vor der sie sich auch nicht drücken wollen.“

 

Auch Mix sieht bei vielen Unternehmen noch viel Zurückhaltung – die er nachvollziehen kann: „Möglicherweise ist auf Arbeitgeberseite das Vertrauen noch nicht wirklich da, dass es sich bei der reinen Beitragszusage wirklich um Pay and Forget handelt. Hier bleibt jedenfalls kommunikativ noch viel zu tun.“ Und man müsse konstatieren: Zumindest administrativ und IT-seitig wirke die reine Beitragszusage nicht als Pay and Forget, sondern erfordere die ständige Übermittlung von Beiträgen sowie die Überprüfung der Einhaltung von steuerlichen Grenzen und induziere damit laufenden Aufwand. „Hinzu kommt, dass natürlich niemand ausschließen kann, dass die Arbeitgeberhaftung, in welcher Form auch immer, vor Gerichten eines Tages wieder auflebt.“

 

Ulrich Mix.

 

Im letzten Punkt – der durchaus das Zeug zum Erfolgskritischen hat – sieht Karch die Sozialpartner in der Verantwortung: „Zu einem echten Pay and Forget wird die reine Beitragszusage nur, wenn die Tarifparteien das betreffende Sozialpartnermodell vollständig durchgestalten. Nur die Tarifparteien können der ultimative Gewährsträger des Pay an Forget sein.“

 

 

Ein Schreibtischstück namens Deutschlandrente

 

Und welche Alternativen gäbe es zu einer starken zweiten Säule? Riester? „Die private Riester-Rente ist als sozialpolitisches Modell gescheitert. Wir brauchen aber eine sozialpolitische Ergänzung zum Umlagesystem,“ hat Karch eine klare Meinung. Was ist also mit der Deutschlandrente? Die kommt bei Karch nicht besser weg, denn „die würde nicht funktionieren, da es sich um ein privates Modell handelt, das keinen Arbeitgeberzuschuss vorsieht. „Und dabei noch das Plakat des norwegischen Staatsfonds als Vorbild aufzuhängen – mit einer Kostenquote für die wir noch Jahrzehnte benötigen würden – das zeigt, dass die Deutschlandrente eher ein Schreibtischstück ist. Die Deutschlandrente wäre eine Alibi-Politik, welche die Altersversorgung der Betroffenen, um die es hier vor allem geht, nicht verbessern würde.“

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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