Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Köln: Entwicklung, Umsetzung und Steuerung des SPM (IV):

Für immer und ewig

Vergangenen Mittwoch in Köln am Rhein. Euroforum-Tagung Die Zielrente – Entwicklung, Umsetzung und Steuerung des Sozialpartnermodells. Mit insgesamt vier Beiträgen berichtet LEITERbAV von der inhaltsreichen Tagung. Heute Teil IV; dieser wegen der Fülle der Informationen erneut im Telegrammstil des Stakkato.

 

Im Folgenden weitere Auszüge aus den Statements und Vorträgen einiger der Tagungsreferenten:

 

 

Reiner Dietz, Managing Partner HQ Trust: rentennahe Jahrgänge sollten nicht aufgenommen werden

 

Reiner Dietz, HQ Trust.

+++ Wesentliche Voraussetzung für den Erfolg der rBZ, dass trotz fehlender Garantien Vertrauen aller Beteiligten aufgebaut wird und Versorgungsberechtigte als Kompensation für den Garantieverzicht tatsächlich mit höheren Erträgen belohnt werden +++ Anlagevorschriften enthalten Bestimmungen, um trotz fehlender Garantien Vertrauen in rBZ aufzubauen; transparente Steuerung und Begrenzung der Vola ist zentraler Inhalt der Anlagebestimmungen +++ TV-Parteien müssen sich in Steuerung der Kapitalanlage einbringen, erhalten damit implizit Treuhänderfunktion. Sowohl EbAV wie tragende TV-Parteien tragen damit zentrales Reputationsrisiko +++ Aufbau verschiedener Reserve- bzw. Risikopuffer zum Ausgleich von Marktschwankungen bzw. zur Reduzierung der Vola der Leistungen ist vorgesehen +++ zusätzliche Risikopuffer sollten im Bedarfsfall (etwa mehrjährige extreme Marktentwicklungen) akzeptierte Erhöhungen von Beiträgen oder Senkungen von Leistungen, jeweils bis zu einem vordefinierten Ausmaß, einbezogen werden +++ Anlagepolitik, Risikomanagement und mindestens jährliche Information der Versorgungsberechtigten müssen in sich konsistent und transparent sein +++ Wesentliche Voraussetzung zur Vermeidung von Reputationsrisiken, dass keine unrealistischen Ertragserwartungen geweckt werden +++ Beispielrechnungen unter Berücksichtigung des aktuellen Umfeldes zeigen, dass auch bei hohen Sachkapitalquoten Ertragserwartungen von über 4% p.a. sehr schwierig zu begründen und mit Reputationsrisiko verbunden sind +++ Für Anlageerfolg wesentlich, Anlagestrategie und Risikopuffer so abzustimmen, dass die gewählte(n) Strategie(n) auch bei mehreren aufeinanderfolgenden negativen Kapitalmarktjahren durchgehalten werden kann +++ Prozyklik sollte vermieden werden +++ Günstig für Erreichen der Anlageziele, wenn rBZ als langfristiger Sparplan mit gewisser Mindestlaufzeit (etwa 10 Jahre) gesehen wird, d.h. rentennahe Jahrgänge sollten nicht aufgenommen werden +++ Im aktuellen Umfeld auf explizite und implizite Kapitalanlage- und Vertriebskosten achten +++ Ertragserwartungen müssen immer nach Kosten gerechtfertigt sein +++ Günstig, wenn Anlagen in großvolumigen und für die tragende Einrichtung voll transparenten Vehikeln erfolgen, die eng kontrolliert werden +++

 

 

 

Margret Kisters-Kölkes, Rechtsanwältin in Mülheim an der Ruhr: haftbar wie Treuhänder

 

Margret Kisters-Koelkes

+++ Definition der rBZ ist lückenhaft +++ ausschließliche Zuständigkeit der durchführenden Einrichtung wird nicht vorgegeben +++ TV-Parteien sind verpflichtet, sich an Durchführung und Steuerung zu beteiligen+++ Bloße Berichterstattung der Versorgungseinrichtung reicht nicht aus +++ Hinreichende Einflussmöglichkeiten sind tatsächlich wahrzunehmen +++ TV-Parteien könnten wie Treuhänder haftbar sein +++ Informationspflichten der durchführenden Einrichtung sind trotz fehlender Garantien verbindlicher als Auskunft nach § 4a BetrAVG +++ Arbeitgeberzuschuss bei der Entgeltumwandlung ist nicht auf die Zielrente beschränkt; ist spätestens ab dem 1. Januar 2022 zu zahlen +++

 

 

 

Michael Kurtenbach, CEO Gothaer Lebensversicherung AG (Konsortialpartner des Rentenwerks): VU übernimmt bei DV alles

 

Michael Kurtenbach, Gothaer.

+++ Innerhalb des für Versicherer relevanten bAV-Gesamtmarktes ist DFW Pensionskasse als einziger in den letzten Jahren spürbar geschrumpft (fast 8% über die letzten drei Jahre)v.a. weil PK seit Niedrigzinsphase mit teils existenziellen Herausforderungen konfrontiert; Folge, dass VU inzwischen sehr genau Qualität der Beitragszuflüsse in PK prüfen +++ Pensionsfonds – auf den das BRSG prototypisch sicher abzielt – über die letzten Jahre sehr stark gewachsen, aber mit 7,5 % Anteil nach wie vor kleinste Bedeutung am Versicherer-bAV-Gesamtmarkt +++ Bisheriger Knackpunkt des PF ist also seine bisher schwache Bedeutung in der Praxis +++ Direktversicherung hat mit 42% Anteil überragende Bedeutung, gerade bei BRSG-Zielgruppe KMU beliebt, denn VU als Full-Service-Provider übernimmt hier von der Beratung des Arbeitnehmers (und -gebers) bis hin zu Abwicklung alles +++ Für Umsetzung der Zielrente bietet sich DV an +++ Bspw. kann nur bei DV gemeinsame Einrichtung als VN fungieren, d.h. Arbeitgeber nicht mehr zwingend VN +++ Folglich DV ohne besondere Knackpunkte mit Blick auf die Zielrente +++ Jedoch übergreifende Knackpunkte, die alle DFW gemeinsam betreffen +++ Verbot jeglicher Garantie in der Zielrente: Niedrigzins hat zwar offen gelegt, dass Garantien dann teuer sind und Rendite stark belasten, doch Akzeptanz von Produkten mit reduzierten oder fehlenden Garantien bisher eher bescheiden; noch viel Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit nötig +++ Verbot von Garantien soll v.a. bessere Rendite und höhere Rente ermöglichen als mit klassischen Garantien; daher Erwartungsdruck an hervorragende Performance hoch +++ Damit Zielrente keine Spielwiese für „Hobby-Kapitalanleger“, sondern erfordert Sachkompetenz, Erfahrung sowie Expertise in einzelnen Anlageklassen +++ Auch Komplexität kann Akzeptanz der Zielrente hemmen, muss daher für Arbeitgeber aufwandsarm und einfach zu administrieren sein +++ Anbieter von Zielrenten werden nur erfolgreich sein, wenn sie den Arbeitgebern schlanke, digitale Abwicklung und Verwaltung bieten.

 

 

 

Michael Karst, Director, Willis Towers Watson: Hoffentlich auch in der Praxis der Finanzverwaltung

 

Michael Karst, Willis Towers Watson.

+++ rBZ wird im Kern durch eine reformierte und zwei neue einkommensteuerliche Vorschriften flankiert +++ Im § 3.63 EStG wird Dotierung steuerlich auf insgesamt 8% erhöht, Festbetrag von 1.800 Euro entfällt, Vervielfältigungsregel bei Ausscheiden wird vereinfacht und betragsmässig angehoben, Nachzahlungsregel für Zeiten ruhenden Arbeitsverhältnisses wird neu eingeführt +++ Neuerungen sind prinzipiell zu begrüßen, allerdings wäre mehr Mut für eine deutlich weitergefasste steuerliche Nachzahlungsregelung gewünscht +++ Unbefriedigend bleibt fehlende sozialversicherungsrechtliche Flankierung, Problematik der Doppelverbeitragung könnte sich noch verschärfen könnte +++ Kollektive Sicherungsbeiträge können künftig separat steuerlich gemäß § 3.63a EStG ohne gesetzliche Limitierung dotiert werden; damit bei Zielrenten-Modellen Bildung kollektiver Puffer begünstigt+++ Zu hoffen, dass gesetzliche Dotierungsflexibilität dieser Bestimmung auch in der Praxis der Finanzverwaltung erhalten bleibt +++ AG-Förderbeitrag des § 100 EStG unabhängig von § 3.63 EStG, Förderquote 30% bei 240 Euro AG-Beitrag p.a. € in externem DFW, Förderung begrenzt auf bis zu 480 Euro p.a., die im Vergleich zum Jahr 2016 'zusätzlich' sein müssen +++ Insgesamt attraktives Angebot des Gesetzgebers an die Arbeitgeber mit einfachem, über die Lohnsteuer abzuwickelnden Förderverfahren, um die bAV-Verbreitung hier zu fördern +++ Unpraktisch für bestehende bAV-Zusagen, dass spezielle Anforderungen an förderfähige Tarife (keine Zillmerung) gesetzlich vorgeschrieben; damit bereits bestehende Verträge häufig nicht geeignet, zusätzliche förderfähige Beiträge aufzunehmen +++

 

 

 

Marco Arteaga, Partner bei DLA Piper: Überragende Bedeutung der Trägerauswahl

 

Marco Arteaga, DLA Piper.

+++ Auswahl des Versorgungsträgers durch TV-Parteien hat überragende Bedeutung, sofern nicht Gründung eigener EbAV +++ Entscheidung für Träger sollte von Zuversicht getragen sein, dass Träger viele Jahrzehnte oder gar für immer den TV-Parteien zur Verfügung stehen kann; daher Vielzahl von Anforderungen zu erfüllen:

 

  • Verwirklichung „ihres“ Versorgungswerks

  • Maximale Verlässlichkeit

  • Faktische „Ewigkeitsgarantie“

  • Maximale Resilienz

  • Ausschluss von Reputationsrisiken

  • Höchste Leistungen als Nutzen für ihre Mitglieder

  • Geringe Kosten bei Verwaltung und Vertrieb

  • Exklusive Leistungskomponenten, die einzelnes Mitglied sonst nicht erhält

  • Zentralisierte Abwicklung, z.B. geschäftsführende gemeinsame Einrichtung

 

+++ Daher breit angelegtes Auswahlverfahren erforderlich; fair und transparent; bestgeeigneter Partner zu identifizieren; freiwillig Best Practice-Prinzipien aus dem Vergaberecht (§3 97, 117 GWB) sinngemäß anzuwenden ist sinnvoll, auch da TV-Parteien fast wie Treuhändern große Beträge anvertraut sind +++ Grundsätze im Vergaberecht:

 

  • Wettbewerbsprinzip

  • Transparenzgebot

  • Gleichbehandlungsgrundsatz, d.h. Diskriminierungsverbot0

  • Wirtschaftlichkeitsgrundsatz, d.h. Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot

  • wahlweise Beachtung qualitativer, sozialer und umweltbezogener Aspekte

  • Aufteilung der zu vergebenden Lose, so dass auch mittelgroße Anbieter zum Zuge kommen können

  • Beachtung des „Eignungsvierklangs“: Fachkunde, Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit, Gesetzestreue

  • Vorgehen ggf. in Anlehnung an „wettbewerbliches Dialogverfahren“

 

+++ Kurz gefasst Empfehlung für konkrete Schritte zum bAV-Tarifvertrag:

 

  • Dialog mit kleiner Zahl infrage kommender Träger führen

  • Aus den gewonnenen Erkenntnissen eigene Vorstellungen konkretisieren

  • Ausschreibung anschliessend auf Basis eines so entwickelten Rohkonzepts

  • Ausverhandlung vollständiger Lösung mit zwei bis drei Anbietern

  • Oberste Maxime: Partnerschaft „auf ewig“ muss denkbar sein

  • Dennoch Trennungsvoraussetzungen und -prozedere festlegen

  • Fokus auf maximale Kosteneffizienz

  • Voll transparenter und lückenlos dokumentierter Auswahlprozess +++

 

 

 

Teil I der Berichterstattung von der Tagung – betreffend den Vortrag von Dietmar Keller von der BaFin – findet sich hier.

 

Teil II der Berichterstattung mit Aussagen weiterer Vortragender (im Telegrammstil) findet sich hier.

 

Teil III der Berichterstattung von der Tagung über die Vorträge von Vertretern der beteiligten Bundesministerien findet sich hier.

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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