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Sperrfeuer – der Kommentar auf Leiter-bAV.de:

Falsche Furcht vor dem Kahlschlag. Oder: Warum der VFPK irrt.

 

Die regulierten Pensionskassen der Industrie fürchten sich offenbar vor der Konkurrenz der Lebensversicherer. Dies brachte der VFPK kürzlich auf den Punkt und warnte die Politik, bei der Neugestaltung des Paragrafen 17b BetrAVG nicht die Fehler der Vergangenheit fortzuführen. Dabei stecken die Tücken des Modells ganz woanders: Das gesamte bAV-System – samt Angeboten der vom VFPK kritisierten Lebensversicherer – droht zu kippen, wenn mit der Tarifparteienrente ein völlig neues Zwangssystem installiert würde. Insofern springt die Kritik des VFPK viel zu kurz und reibt sich an falschen Feindbildern. LbAV-Autor Detlef Pohl kommentiert.

 

Stein des Anstoßes war die Rede von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles auf der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (aba) am 7. Mai. Darin hatte sie die Diskussion um die Gesetzesinitiative aus dem Ministerium mit dem Vorschlag befeuert, dass nicht zwingend allein der Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) die Haftung für die Betriebsrentenansprüche übernehmen müsse und auch bestehende Versorgungsträger wie die Direktversicherung als Dienstleister der tariflichen EbAV zugelassen werden könnten.

 

Der Verband der Firmenpensionskassen VFPK witterte Verrat („Kahlschlag“) und forderte am 18. Mai in einer drastisch formulierten Stellungnahme, dass die bAV „nicht zum Vertriebsinstrument verkommen darf“.

 

Argument: Nahles wolle sich bei der zukünftigen Ausgestaltung von Modellen der tariflich vereinbarten Altersversorgung auf die Direktversicherung der Lebensversicherer und deren Vertriebsmannschaften stützen, was laut VFPK in der Vergangenheit in vielen Fällen dazu geführt habe, dass bAV vor allem als Vertriebsmodell für Lebensversicherungsverträge (wie im Fall der Riester-Förderung) gesehen und missbraucht wurde. Der neueste Nahles-Vorschlag wende „den in früheren Fassungen vorgeschlagenen kollektiven und paritätischen Ansatz in sein völliges Gegenteil um“.

 

Die Argumentation erscheint, gelinde gesagt, etwas weltfremd. Lässt man jegliche Ideologie beiseite, sollte doch am Ende der Gesetzgebung deutlich mehr bAV-Beteiligung sowie bedarfsgerechtere bAV-Leistung pro Arbeitnehmer das Ziel sein. Dass es dazu nur einen Königsweg gibt, muss nach vielen Jahren Markterfahrung bezweifelt werden. Vielmehr zeichnet sich ein funktionierender Markt durch Wettbewerb unter mehreren Durchführungswegen und Trägern aus, nicht jedoch durch Zwang.

 

 

Die geschlossene Gesellschaft der Firmenpensionskassen

 

Die Idee des VFPK, allein über kollektive bAV unternehmensnaher Pensionskassen und -fonds zum Ziel zu kommen, ist schön und gut, geht aber über bloße Lobbyarbeit nicht hinaus. Wie sollen denn kleine und mittlere Unternehmen (KMU) an der Effizienz der Firmenpensionskassen partizipieren, wenn die meisten der 15 Mitgliedskassen des VFPK gar nicht für andere Firmen geöffnet sind? Und selbst wenn einzelne Unternehmen diese Hürde überwinden könnten, bliebe trotz niedriger Abschluss- und Verwaltungskosten doch die Frage, wie neue Arbeitnehmer vom Einstieg in die bAV überzeugt werden sollen.

 

Mehr Vorsorge ist angesichts der Teilnahmequote von bisher nur 30 Prozent der Arbeitnehmer in Betrieben mit weniger als zehn Beschäftigten nur durch qualifizierte bAV-Beratung möglich. Doch Beratung dürfen nur zugelassene Fachleute vornehmen, also nicht die Gewerkschaften und Arbeitgeber, und das ist auch gut so.

 

Die bisherigen Vorschläge zum Paragrafen 17b tun aber so, als käme die Tarifparteienrente ohne Beratung aus, die bekanntlich Geld kostet. Der VFPK haut in dieselbe Kerbe und sieht in betrieblichen Selbsthilfeeinrichtungen das zentrale Lösungskonzept. Dabei muss man sich nur die junge Historie der tarifpartnerschaftlich aufgebauten Metall-Rente anschauen, um die Probleme zu erkennen, die fehlende Beratung mit sich bringt. Analog zur vom VFPK kritisierten Riester-Rente war die Teilnahme anfangs eher niedrig. Grund: Zunächst musste die Vergütung für die Beratung über zehn Jahre verteilt werden. Weil Berater davon nicht leben konnten, ist auch nur wenig Umsatz erfolgt. Als man das später auf fünf Jahre halbiert hat, kamen Riester-Rente und Metall-Rente ins Rollen. Der VFPK nährt mit seiner Stellungnahme die Illusion, dass bAV-Rat zum Nulltarif zu bekommen sei oder umgekehrt ein „bAV-Vertriebsmodell“ zum Kahlschlag führte. Klar ist: Ohne Vergütung kann niemand beraten, und ohne Beratung verbreitet sich keine bAV. Dieser Tatsache sollte sich auch der Gesetzgeber stellen, denn Altersvorsorge ist nicht selbsterklärend.

 

 

Die vielen Gemeinsamkeiten mit dem vorgeblichen Feindbild

 

Sich die Lebensversicherer und deren Pensionskassen zum Feindbild zu machen, mag bei den VFPK-Mitgliedern gut ankommen. Logisch ist es aber nicht, denn zum einen reklamieren auch die betrieblichen Pensionskassen für sich die versicherungsförmigen Garantien und das sie ebenfalls der staatlichen Versicherungsaufsicht unterliegen. Zum anderen betont man die fehlenden eigenen Gewinninteressen, weil man sich als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit organisiert. Das tun aber einige Lebensversicherer mit soliden bAV-Angeboten auch. Und im Kapitalanlagemanagement gibt es längst eine enge Kooperation mit Versicherern und deren Fondsgesellschaften. Warum also wollen sich die Firmenpensionskassen plakativ von den Versicherern abgrenzen?

 

 

3 x abgrenzen bitte

 

Anlass für Abgrenzung für den VFPK gäbe es dagegen zu den ministeriellen Vorschlägen zum Paragrafen 17b. Man wundert sich, dazu nichts in der Stellungnahme zu lesen. Drei Beispiele:

 

Erstens: Arbeitgeber werden von der Haftung befreit, verspricht das BMAS. Die neuen Tariffonds müssten laut Vorschlag „den Beschäftigten eine Mindestleistung zusagen und übernehmen insofern die bisherige Haftung des Arbeitgebers“. Beiträge zum Insolvenzschutz sollen die gemeinsamen Einrichtungen der Tarifpartner tragen. Letztlich würden sie aber den Arbeitnehmern aufgebürdet, denn die Kosten müssten ihren Verträgen belastet werden. Kann der Tariffonds die zugesagte Leistung nicht erbringen, soll der PSV einspringen – in Höhe der Beitragszusage mit Mindestleistung. Wie hoch die PSV-Beiträge wären, steht nicht im Entwurf. Der PSV könnte im Sicherungsfall kollabieren (Kumulrisiko bei großen Branchenlösungen). Springt dann der PSV-Beitragssatz durch mehr Insolvenzen an, dann zahlt die ganze Wirtschaft für die neuen bAV-Einrichtungen der Tarifpartner mit, obwohl Enthaftung versprochen wird. Unterm Strich käme es aber auch ohne den Super-GAU zu einer deutlichen Verschlechterung auch für Firmenpensionskassen: Bisher gibt es für Pensionskassen ja überhaupt keine PSV-Pflicht. Da kann es den Kassen eigentlich egal sein, ob sie für den PSV oder Protektor einzahlen müssen.

 

Zweitens: Ebenfalls ein Anlass zum Aufschrei beim Nahles-Entwurf wäre ein anderer Aspekt der Haftung. Fällt sie für Arbeitgeber weg, fällt auch das entscheidende Argument weg, unternehmenseigene Pensionskassen und -fonds vom strengen Regime der Eigenkapitalunterlegung (Stichwort: Solvency II) zu befreien. Wenn Tarifeinrichtungen also ohne Subsidiärhaftung des Arbeitgebers auskommen, falls die gewählte Kasse in Schieflage geriete, droht künftig die volle Eigenkapitalunterlegung nach Solvency II.

 

Drittens: Die bAV ist jetzt schon zu komplex. Ein weiteres System macht die Sache noch komplizierter. In der Praxis hapert es aber vor allem an Transparenz und Information. Wenn nun in Kombination mit dem schon 2014 verabschiedeten Tarifautonomie-Stärkungsgesetz Tarifverträge auch für nicht tarifgebundene Firmen allgemeinverbindlich erklärt werden dürften, bekämen KMU womöglich bald eine Zwangs-bAV mit finanziellen Belastungen, die sie im Zweifel gar nicht tragen können. Hinzu kommt, dass neue bAV-Einrichtungen der Sozialpartner in KMU wohl kaum in der Breite des Marktes die Kompetenz hätten, solche Einrichtungen zu führen, Garantien zu definieren und zu erwirtschaften sowie entsprechende aufsichtsrechtliche Anforderungen zu erfüllen. Die bAV ist ja nicht nur Altersleistung, sondern beinhaltet auch biometrische Risiken wie Berufsunfähigkeit und Tod.

 

 

Was keiner braucht – Bohnen und Besitzstände

 

Fazit: Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, dass alle Marktteilnehmer die politischen Gedankenspiele zu einer Tarifpartner-Rente kritisch hinterfragen und bei dieser Gelegenheit mit eigenen Gedanken und Anregungen helfen, das bewährte bAV-System zukunftsfähig zu machen. Das hat die aba getan, aber auch die Versicherer. Ansatzpunkte dafür gibt es einige: das bestehende bAV-System von Bürokratie entlasten und die Fördergrenzen für Entgeltumwandlung anzuheben. Gut wäre auch, wenn die Anrechnung von Betriebsrenten auf die Grundsicherung im Alter abgeschafft würde und Betriebsrentner in der Leistungsphase weniger Pflege- und Krankenversicherung zahlen müssten.

 

Was Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht brauchen, ist eine öffentliche Debatte, wie die Besitzstände einzelner Durchführungswege gesichert werden können. Das interessiert die künftigen Betriebsrentner nicht die Bohne. Im Zweifel wenden sich nur noch mehr Arbeitgeber mit Grauen vom ohnehin sperrigen Thema bAV ab. Damit wäre der Bevölkerung, die dringend mehr Altersleistung aus der zweiten Säule braucht, ein Bärendienst erwiesen. Und dass die zweite Säule vom Ertrag her trotz Niedrigzinsen 30 Prozent besser für Verbraucher ist als private Altersvorsorge über die dritte Säule, ist belegt.

 

 

 

Von ihm und anderen Autoren erschienen bereits als Kommentare zur bAV-Reformdebatte auf LEITERbAV:

 

 
 

Kein dritter Schuss“

von Bernhard Wiesner, seinerzeit Senior VP Corporate Pensions der Bosch Gruppe, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung und Mitglied des bAV-Ausschusses der BDA, 30. Oktober 2014.

 

Paradigmenwechsel mit Folgen“

von Markus Klinger, Leiter des Fachkreises „betriebliche Altersversorgung und Lebensversicherung“ in der Vereinigung der Versicherungs-Betriebswirte e.V. VVB, 23. Februar 2015.

 

Stunde der Wahrheit“

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 26. Februar 2015.

 

Evolution oder Revolution?“

von Klaus Mössle, Leiter des institutionellen Geschäfts bei Fidelity Worldwide Investment in Deutschland, 12. März 2015.

 

bAV in der Breite voranbringen”

von Peter Schwark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV), 5. März 2015.

 

Falsche Furcht vor dem Kahlschlag. Oder: Warum der VFPK irrt.“

von LbAV-Autor Detlef Pohl, 1. Juni 2015.

 

Warum nicht die Rosinen picken?“

von Marco Arteaga, Rechtsanwalt und Partner bei DLA Piper in Frankfurt am Main, 19. Oktober 2015.

 

Es könnte so einfach sein…

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 19. Februar 2016.

 

Der Staub der Jahrzehnte“

von André Geilenkothen, Principal bei Aon Hewitt in Mülheim an der Ruhr, 14. März 2016.

 

Weiße Salbe und totes Pferd“

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 4. April 2016.

 

Entgeltumwandlung 2.0: Insolvenzschutz einmal anders“

von Cornelia Rütters, Juristin, und Andreas Fritz, Vorstand der Pensionskasse für die Deutsche Wirtschaft VVaG, Duisburg, 18. August 2016.

 

Wenn der Fahnenträger wankt“

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 10. Oktober 2016.

 

 

Hinzu treten die Kommentare, die LbAV-Chefredakteur Pascal Bazzazi zu dem Thema verfasst hat:

 

Nicht, dass wir am Ende blank dastehen“, 8. Mai 2014.

 

The Great Game“, 18. November 2014.

 

The Great Game (II)“, 11. Mai 2015.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

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