Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

IAS 19, Diskontierung und Niedrigzinsphase:

„Faire Chance, sich von der AA-Interpretation zu lösen“

 

Im Interview mit Leiter-bAV.de spricht Christian Rouette von der Finance/Asset Strategy Group der E.ON SE über die Weiterentwicklung der Diskontierungsvorschriften des IAS-19 hin zu einem relativen Qualitätsbegriff.

 

Christian Rouette, E.ON AG
Christian Rouette, E.ON SE

Herr Rouette, inwiefern ist E.ON als IAS-19-Anleger von der anhaltenden Niedrigzinsphase betroffen? Man könnte doch meinen, dass es sich bei DBO & Co. um rein bilanzielle Größen handelt, die auf den tatsächlichen Cash-Flow durch die Rentenauszahlungen keinerlei Einfluss haben?

 

 In der Kapitalanlage sind wir – wie alle anderen Investoren auch – von der Niedrigzinsphase betroffen, die die Anlageopportunitäten maßgeblich bestimmt. Als IAS 19-Bilanzierer unserer Pensionsverpflichtung liegt unser Augenmerk aber auch auf der Entwicklung des Rechnungszinses. Dieser ist in den letzten Monaten stärker gesunken als das sichere Zinsniveau, da er auf der Basis von Unternehmensanleihen mit einem Rating von AA abgeleitet wird. Die entsprechend steigende Pensionsverpflichtung verschlechtert typische Finanzkennzahlen wie die wirtschaftliche Nettoverschuldung und damit letztlich auch den Investitionsspielraum im operativen Geschäft. Daher schauen wir uns die Definition des Rechnungszinssatzes intensiv an, denn letztlich schreibt der Standard die Verwendung von „High Quality Corporate Bonds“ vor, ohne ein Rating explizit zu spezifizieren. Nach unseren Recherchen resultiert das AA-Verständnis aus einer SEC-Verlautbarung Anfang der 90er Jahre. Damals erhielten an den globalen Credit-Märkten allerdings noch je nach Währungsraum rund 30 bis 40 Prozent aller Emittenten ein AA-Rating. Heute sind es überall weniger als 10 Prozent. Infolge vieler Downgrades ehemaliger AA-Emittenten sinkt der Rechnungszins in letzter Zeit stärker als der Basiszins, und die Volatilität der Pensionsrückstellung unter IAS 19 nimmt zu. Problematisch sind dabei Sprünge im Rechnungszins, die sich daraus ergeben, dass Anleihen nach einem Downgrade aus dem Rechnungszinsunversum herausdefiniert werden. Dies führt dann zu einem Sprung in der Verpflichtung, obwohl die gleiche Anleihe im Planvermögen keine Wertänderung erfährt. Eine Aktiv-Passiv-Steuerung ist dann kaum noch möglich. Das AA-Verständnis muss also überdacht werden. Und das entspräche nach unserem Verständnis auch der Systematik der kapitalmarktorientierten Rechnungslegung des IFRS. Sie will sich ja gerade an den Entwicklungen des Kapitalmarkts orientieren – und dazu gehört nicht zuletzt eine veränderte Ratinglandschaft.

 

 

"Eine Aktiv-Passiv-Steuerung ist dann kaum noch möglich."

 

 

Was schlagen Sie als Weiterentwicklung vor?

 

Wir haben vergangenen Sommer hierzu eine Publikation* veröffentlicht, die zeigt, dass inzwischen auch die Verwendung von Single-A-gerateten Anleihen sachgerecht erscheint. Dieser Vorschlag erhielt dann die Bezeichnung 6A (AAA+AA+A). Vorteil ist ein deutlich breiteres und repräsentativeres Universum. Seit Herbst 2012 liegt das Thema beim IFRS IC, das diskutiert, ob und wie „High Quality“ zu definieren sei. Dabei werden aktuell zwei Fragen erörtert: Zum einen, wenn der Qualitätsbegriff in IAS 19 statisch beziehungsweise absolut zu verstehen ist, welche Ratingklassen dann hierunter fallen – „How many A’s“. Zum anderen, ob Qualität nicht eher im Zeitablauf dynamisch und damit relativ zu verstehen ist. In diesem Fall lässt das AA-Verständnis von gestern heute auch andere Ratingklassen zu.

 

 

Wie könnte man denn High Quality als relatives Kriterium gestalten?

 

Genau die Frage haben wir uns auch gestellt. Wir tauschen uns hierzu eng mit anderen Unternehmen im Rahmen einer europäischen Initiative zu diesem Thema aus. Gemeinsam wurde in diesem Kreis eine Logik entwickelt, die pragmatisch und konsistent zugleich ist. Letztlich sollten alle Unternehmensanleihen, die ein Rating gleich oder oberhalb – at or above – des Durchschnittsratings des Investment Grade-Bereichs besitzen, als „High Quality“ bezeichnet werden. Die Gesamtheit dieser Anleihen würde dann das Universum an Unternehmensanleihen darstellen, aus dem der Rechnungszins – zum Beispiel analog heutiger Verfahren – bestimmt wird. Der Vorteil hieran ist, dass die Konsistenz mit der Vergangenheit gewahrt bleibt (damals lag dieses Durchschnittsrating bei AA) und gleichzeitig Kapitalmarktveränderungen nachvollzogen werden. So liegt das Durchschnittsrating für EUR-Corporate Bonds mit Investment Grade bei A-. Das wäre also ein 6A-Ansatz, und in Zukunft würden Ratingänderungen auf breiter Basis nachvollzogen. Das sich ergebende Universum ist zudem deutlich breiter diversifiziert und ermöglicht auch für die Zukunft eine konsistente Ableitung von Rechnungszinsen. Gleichzeitig sind die Sprünge in der Zinsableitung infolge von Downgrades eben aufgrund der größeren Breite des Universums deutlich reduziert.

 

 

Wie engagiert sich diese Initiative dann weiter, um auf die Entwicklung Einfluss zu nehmen?

 

In besagter Initiative werden diese Fragestellungen diskutiert und konkrete Vorschläge hierzu entwickelt. In diesem Rahmen wurden Roundtables in Frankreich, Benelux und Deutschland mit Unternehmen, Aktuaren und Wirtschaftsprüfern durchgeführt. In einem nächsten Schritt sollen Unternehmen aus Spanien, UK sowie Nordamerika hinzukommen, denn das Thema ist ja nicht nur für Kontinentaleuropa von Relevanz. Die Initiative hat auch Marktanalysen und das eben dargestellte relative Verständnis von „High Quality“ in einer Präsentation zusammengefasst und bei wichtigen Stakeholdern platziert, unter anderem beim IFRS IC selbst, dem IASB Staff, dem DRSC und der ESMA. Erst letzte Woche habe ich hierzu einen Vortrag bei einer Mercer-Veranstaltung in Wiesbaden gehalten. Kurzfristiges Ziel ist, den obigen Ansatz publik zu machen und Unterstützung von anderen IAS 19-Bilanzierern zu erhalten. Ein entsprechendes Papier werden wir dann den genannten Stakeholdern zukommen lassen.

 

 

"Eine kapitalmarktorientierte Rechnungslegung wie IFRS solllte sich auch an den Entwicklungen des Kapitalmarkts

orientieren."

 

 

Wie ist der Stand der Dinge, und wie beurteilen Sie die Perspektive?

 

Stand der Dinge ist wie folgt: Das IFRS IC diskutiert die Thematik seit November letzten Jahres und will sie nach eigener Aussage im Laufe dieses Jahres abschließend behandeln. Daher wurde das Thema auch in der letzten Sitzung auf die eben genannten Fragen neu kalibriert. Die nächste Sitzung des IFRS IC am 16. und 17. Juli wird zeigen, ob sich das Komitee in Richtung eines relativen oder absoluten Verständnisses bewegt. Ich denke, damit ist die Diskussion an der Kernfrage angelangt. Auf Basis der Wortmeldungen in den bisherigen Sitzungen besteht wohl eine faire Chance, sich von der AA-Interpretation zu lösen. Wir unterstützen ein relatives Verständnis, denn wie gesagt: Letztlich sollte sich eine kapitalmarktorientierte Rechnungslegung wie IFRS eben auch an den Entwicklungen des Kapitalmarkts – und dazu gehört auch eine veränderte Ratinglandschaft – orientieren.

 

 

* Rouette / Volpert „Where did all the "high quality corporate bonds" go? – Bestimmung des Rechnungszinssatzes zur Bewertung der Pensionsverpflichtung im internationalen Abschluss nach IAS 19“, CFB, 10.09.2012, 329-334.

 

Derzeit aktuell auf pensions.industries hrservices

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

© Pascal Bazzazi – LEITERbAV – Die auf LEITERbAV veröffentlichten Inhalte und Werke unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Keine Nutzung, Veränderung, Vervielfältigung oder Veröffentlichung (auch auszugsweise, auch in Pressespiegeln) außerhalb der Grenzen des Urheberrechts für eigene oder fremde Zwecke ohne vorherige schriftliche Genehmigung. Die Inhalte einschließlich der über Links gelieferten Inhalte stellen keinerlei Beratung dar, insbesondere keine Rechtsberatung, keine Steuerberatung und keine Anlageberatung. Alle Meinungsäußerungen geben ausschließlich die Meinung des verfassenden Redakteurs, freien Mitarbeiters oder externen Autors wieder.