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Sperrfeuer – der Kommentar auf Leiter-bAV.de:

Es könnte so einfach sein…

 

Mit dem hessischen Vorstoß zur Deutschland-Rente ist die Debatte um die Reform der bAV in eine neue Runde gegangen. Unverändert aktuell ist auch noch das Sozialpartner-Model. Bernhard Wiesner nimmt Stellung.

 

 

Bernhard Wiesner.
Bernhard Wiesner.

In diesem Jahr 2016 soll es, muss es vorwärts gehen mit der betrieblichen Altersversorgung. An ihrer Entwicklung hängt letztlich die Leistungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit des Systems unserer Altersversorgung in toto. Die Regierungskoalition will ihre stagnierende Verbreitung angehen und sie insbesondere bei den Arbeitnehmern der KMU vorantreiben. Und auch die Opposition möchte Konsequenzen aus der missglückten Riesterrente ziehen.

 

Nur welcher Weg ist erfolgversprechend? Welche Hebel sollten in Bewegung gesetzt werden? Derzeit sind zwei Gutachten zu steuer- und arbeitsrechtlichen Aspekten in Arbeit. Viele Vorschläge der bekannten Stakeholder, teils wiederholt mit der endlosen Monotonie tibetanischer Gebetsmühlen, teils auch mit offenkundiger Interessenorientierung, liegen vor. Neue Ansätze finden sich nur gelegentlich.

 

 

Deutschland-Rente …

 

Ein solcher durchaus neuer Ansatz ist die „Deutschland-Rente“, die zumindest in der eindrucksvollen Marke kaum zu überbieten wäre. Äußerst interessant ist hier, dass – soweit ersichtlich – erstmals aus politischer Autorenfeder auf wirkliche echte kapitalgedeckte Altersversorgung mit bestmöglichen Renditen gezielt wird. Das Plädoyer für ein breit gestreutes Anlageportfolio unter Nutzung des sehr langen Anlagehorizonts der Altersvorsorge für verringerte Risiken und höhere Renditen ist überzeugend. Gerade unter den Bedingungen von Niedrigzinsphasen erweist sich ein so fundierter Ansatz als bestmöglich allwetterfest.

 

Demgegenüber kann die in Deutschland weitverbreitete versicherungsförmige Kapitalanlage den Belastungen von Niedrigzinsphasen nicht überzeugend standhalten, weil sie den einseitigen Schwerpunkt auf Zinspapiere legt und insbesondere die Entwicklung der Weltwirtschaft in der Form breitgestreuter Aktienportfolios weitgehend ausblendet. Hier kann man eigentlich nicht von wirklicher kapitalgedeckter Altersvorsorge sprechen.

 

Hilfreich ist auch die Forderung der politischen Autoren nach einer reinen Beitragszusage. Gerade bei KMU ist eine jahrzehntelange Haftung mehr als kontraproduktiv. Das muss aber nicht bedeuten, dass die Arbeitnehmer keine sachgerechte Mindestsicherung erhalten. So könnten reine Beitragszusagen für Arbeitgeber dennoch als Beitragszusagen mit Mindestleistung mit ausgewogener Balance von Sicherheit und guten Ertragschancen ohne weiteres über Zusagen bewährter Pensionsfonds und Pensionskassen mit Restrisikoabsicherung über den erwiesen leistungsstarken PSV organisiert werden.

 

Ganz besonders positiv hervorzuheben, ist, dass die Deutschland-Rente ohne eigenes Gewinninteresse arbeiten soll. Damit nähert sie sich zweifelsohne dem Kern der bAV. Denn in der Tat ist die eigentliche bAV, als effizienteste Form kapitalgedeckter Altersversorgung von Arbeitgebern oder Sozialpartnern ohne Gewinninteressen organisiert, kein Finanzprodukt, sondern eine non-profit Sozialleistung.

 

 

mit entscheidenden Schwächen

 

Neben diesen zweifelsfreien Stärken, weist die Idee der Deutschland-Rente aber neben vielen offenen Fragen eine entscheidende Schwäche auf, die letztlich ihre Realisierung verbietet. Die Akkumulation gewaltiger Finanzmassen, die perspektivisch das Volumen eines Bundeshaushaltes überschreiten, in einer Körperschaft „Deutschlandfonds“ kann und wird nicht funktionieren. Die Autoren wittern bereits selbst Unrat, wenn sie die Freiheit von politischem Zugriff fordern. Angesichts der zukünftigen Dimensionen sind das hohle Worte, wenn das gewaltige Volumen Begehrlichkeiten weckt und die Führung dieses Fonds mehr faktische Macht als Staatsorgane innehat. Der Verweis auf den norwegischen Staatsfonds mit völlig andersartiger Grundkonstellation ist irreführend. Dort werden Mittel des Staates bestmöglich verwaltet; kein Individuum hat Ansprüche an den Fonds.

 

 

Was tun?

 

Was also ist zu tun zur Verbreitung der bAV in Deutschland? Zunächst einmal ist es allerhöchste Zeit, mit einem gewaltigen Trugschluss aufzuräumen. Denn es ist ein mittlerweile sehr verbreiteter, aber dennoch ein fundamentaler Irrtum, dass bAV Vertrieb, damit also einen ganz erheblichen Kostentreiber, benötigt. Gelegentlich ist sogar von Vertriebsakteuren zu vernehmen, sie hätten gar einen sozialpolitischen Auftrag. Diese Idee ist eine der besonderen Merkwürdigkeiten in der gesamten Diskussion, die dazu beiträgt den Grundcharakter der eigentlichen bAV weiter fulminant zu verbiegen.

 

bAV in ihrer effizientesten Form braucht keinen Vertrieb und keine Einzelvertragsabschlüsse. Sie basiert auf kollektiven Vereinbarungen und entsprechender Bedarfssteuerung. Die seit langem erfolgreichsten Konzepte in vielen Unternehmen und mit Sozialpartnern werden ohne jeden Vertrieb organisiert. Was also benötigt wird, ist der Zugang von möglichst vielen Arbeitnehmern zu hocheffizienten Pensionsfonds und Pensionskassen in der non-profit Verantwortung der Unternehmen und der Sozialpartner ohne jeden Vertrieb.

 

 

Eine einfache Frage stellen

 

Daher ist es lohnenswert, einmal kurz über eine Frage nachzudenken, die keiner der bekannten Stakeholder aus bekannten Gründen stellen würde. Nämlich: Was passiert, wenn der Gesetzgeber nichts weiter tun würde, als zum kommenden Jahresende die steuerliche Förderung nur von Neuzugängen in das Finanzprodukt Direktversicherung einzustellen? Ausgerechnet die an Vertrieb gebundene Direktversicherung unter Solvency II (!) weist gemäß der letzten BMAS-Statistik wiederholt die höchste Anzahl der „aktiv Versicherten“ auf. Sie ist direkt kollektivrechtlich nicht nutzbar und benötigt immer den vertriebsgestützten Einzelabschluss. Daher ist die Kostenbelastung dieser Lebensversicherung hoch und die ihre Ertragsaussichten als versicherungsförmige Kapitalanlage sind nicht gut. Mit anderen Worten: Dies ist eine Option, die ganz besonders gerade nicht zu Menschen passt, die mit jedem Cent rechnen müssen.

 

Wenn also die steuerliche Förderung von Neuzugängen in dieses Finanzprodukt eingestellt würde, so blieben in der externen Durchführung nur die bAV-Einrichtungen Pensionskassen und Pensionsfonds als nutzbare Optionen für den gesetzlichen Anspruch auf Entgeltumwandlung et cetera. Dies hätte zur Folge, dass sich die Tarifpartner in den Sektoren hinsichtlich des Angebots auf Entgeltumwandlung auf die EbAV Pensionskassen und Pensionsfonds umorientieren müssten. Nun steht nicht zu erwarten, dass diese EbAV allein durch das Warten auf Entgeltumwandlung und ganz ohne jeden verprovisionierten Vertrieb zu einer Erfolgsstory würden. Letztlich könnten aber die Tarifpartner kaum länger hinnehmen, dass ihre EbAV so erfolglos dahindümpeln; daher spricht Vieles dafür, dass das Interesse oder gar der faktische Druck auf die Tarifpartner aus den erfolglosen EbAV schließlich doch eine vertrauenswürdige Non-Profit-Erfolgsstory zu machen ganz beträchtlich zunehmen würde. Nun, das Instrumentarium mittels eines kollektivrechtlichen Federstrichs aus ihrer EbAV für die Arbeitnehmer eine herausragende Erfolgsstory ganz ohne Vertrieb zu schaffen, das hätten sie. Und wenn bei den Tarifpartnern einmal der Damm bricht, dann wären positive Folge- und Sogwirkungen in der Breite nicht zu unterschätzen.

 

Nun soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, die Politik könnte die Verbreitung der bAV alleine dadurch pushen, dass sie die steuerliche Förderung von Neuzugängen in das Finanzprodukt Direktversicherung einstellt. Aber eine der möglichen wirkungsvollen Maßnahmen wäre es. Uns zeigt dieses interessante kleine Gedankenspiel jetzt hier zweierlei:

 

 

Die Gefahr der Kollateralschäden

 

Würde es in der heute bestehenden Landschaft zu einem gesetzlichen Opting-out kommen, so würde dies eine massive staatliche Vertriebshilfe für das vertriebsgestützte Finanzprodukt Direktversicherung bedeuten. Als Gewinner einer solchen Maßnahme wären die Vertriebe und Anbieter dieses Finanzproduktes zu erwarten. Dies wäre ganz zweifelsohne nicht im Sinne der Arbeitnehmer, die bei häufig sehr geringen finanziellen Spielräumen bestmögliche Leistungen zu geringstmöglichen Kosten benötigen. Ganz zu schweigen von weiteren schweren perspektivischen Kollateralschäden auf die eigentliche kollektivrechtlich strukturierte Non-Profit-bAV der Unternehmen und Sozialpartner.

 

Zum anderen zeigt unser Gedankenspiel die ganz enormen Potentiale der Tarifpartner für die Verbreitung hocheffizienter bAV. Diese außerordentlichen Potentiale wurden bislang kaum sachgerecht und der herausragenden Position der Sozialpartner in Deutschland entsprechend angemessen genutzt. Dabei geht es um nicht weniger als ihren wichtigen Lösungsbeitrag für eine der größten gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen unseres Landes. Die Gründe für die bisherige Zurückhaltung liegen nicht öffentlich erkennbar im Dunkel der Vergangenheit.

 

Die entscheidende Frage ist: Wie kann sich das für die Zukunft ändern? Denn die bisherige Entwicklung belegt unübersehbar, dass eine Intensivierung des Vertriebs individualisierter Finanzprodukte eine kontraproduktive Lösung wäre. Der Kern eines neuen Denkansatzes kann nur in vertriebslosen, kollektivrechtlichen Weichenstellungen der Tarifpartner in vertrauenswürdige, transparente EbAV unter ihrer Non-Profit-Verantwortung liegen. Dies lässt dann zweifelsohne zügig auch vielfältige positive Ausstrahl- und Folgewirkungen in tariffreie Bereiche und Sektoren erwarten.

 

 

Die künftige Lasten

 

Es liegt auf der Hand, dass in der Zukunft aufgrund Struktur- und Systemfehlern erhebliche fehlende Alterseinkommen der Menschen von den künftigen Steuern- und Sozialabgabenzahlern unseres Landes zu tragen und auszugleichen sein werden. Diese schwerwiegenden kommenden Lasten werden also die dann aktiven Arbeitnehmer und die Unternehmen und Arbeitgeber zu tragen haben. Je effizienter also heute die kapitalgedeckte Altersversorgung ausgestaltet wird, umso geringer werden diese künftigen Lasten ausfallen. Das heißt also, Arbeitgeber und Gewerkschaften müssen gemeinsam ein fundamentales Interesse daran haben, dass Systeme kapitalgedeckter Altersversorgung so effizient wie nur irgend möglich gestaltet sind.

 

Da keinerlei Zweifel bestehen können, dass die Non-Profit-bAV als Sozialleistung die effizienteste Form kapitalgedeckter Altersversorgung darstellt, kann es nur bei den Tarifpartnern und den Unternehmen liegen, Verantwortung dafür zu übernehmen und angemessene Wege zu finden, damit möglichst viele Arbeitnehmer bestmögliche Leistungen zu geringstmöglichen Kosten erhalten.

 

Dies bedeutet aber unverzichtbar zugleich, dass die Politik die Verantwortung für gesetzliche Rahmenbedingungen trägt, die maßgeschneidert darauf zielen, Unternehmen und Sozialpartner – und nur diese beiden – zu motivieren, Non-Profit bAV weitestmöglich zu verbreiten. Hier liegt zweifelsohne der Schlüssel für den dringend benötigten Erfolg. Dann bedarf es nur noch weniger kollektivrechtlicher Federstriche – ganz ohne jeden Vertrieb. So einfach könnte es sein.

 
 

Der Autor war bis 2015 Senior VP Corporate Pensions der Bosch Gruppe und Mitglied des bAV-Ausschusses der BDA. Er ist Mitglied des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (aba).

 

Von ihm und anderen Autoren erschienen bereits als Kommentare zur bAV-Reformdebatte auf LEITERbAV:

 

 
 

Kein dritter Schuss“

von Bernhard Wiesner, seinerzeit Senior VP Corporate Pensions der Bosch Gruppe, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung und Mitglied des bAV-Ausschusses der BDA, 30. Oktober 2014.

 

Paradigmenwechsel mit Folgen“

von Markus Klinger, Leiter des Fachkreises „betriebliche Altersversorgung und Lebensversicherung“ in der Vereinigung der Versicherungs-Betriebswirte e.V. VVB, 23. Februar 2015.

 

Stunde der Wahrheit“

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 26. Februar 2015.

 

Evolution oder Revolution?“

von Klaus Mössle, Leiter des institutionellen Geschäfts bei Fidelity Worldwide Investment in Deutschland, 12. März 2015.

 

bAV in der Breite voranbringen”

von Peter Schwark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV), 5. März 2015.

 

Falsche Furcht vor dem Kahlschlag. Oder: Warum der VFPK irrt.“

von LbAV-Autor Detlef Pohl, 1. Juni 2015.

 

Warum nicht die Rosinen picken?“

von Marco Arteaga, Rechtsanwalt und Partner bei DLA Piper in Frankfurt am Main, 19. Oktober 2015.

 

Es könnte so einfach sein…

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 19. Februar 2016.

 

Der Staub der Jahrzehnte“

von André Geilenkothen, Principal bei Aon Hewitt in Mülheim an der Ruhr, 14. März 2016.

 

Weiße Salbe und totes Pferd“

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 4. April 2016.

 

Entgeltumwandlung 2.0: Insolvenzschutz einmal anders“

von Cornelia Rütters, Juristin, und Andreas Fritz, Vorstand der Pensionskasse für die Deutsche Wirtschaft VVaG, Duisburg, 18. August 2016.

 

Wenn der Fahnenträger wankt“

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 10. Oktober 2016.

 

 

Hinzu treten die Kommentare, die LbAV-Chefredakteur Pascal Bazzazi zu dem Thema verfasst hat:

 

Nicht, dass wir am Ende blank dastehen“, 8. Mai 2014.

 

The Great Game“, 18. November 2014.

 

The Great Game (II)“, 11. Mai 2015.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Presseschau entfällt.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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