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Handlungsbedarf in Versorgungsbestimmungen:

Erfurt und das Glück der späten Liebe

Im Vergleich zu älterer Rechtssprechung hat das BAG im vergangenen August die Anforderungen an die Wirksamkeit von Spätehenklauseln verschärft. Uwe Langohr-Plato bewertet die Entscheidung und gibt Handlungsempfehlungen.

 

Dr. Uwe-Langohr-Plato.
Dr. Uwe-Langohr-Plato.

In seiner Entscheidung vom 4. August 2015 (3 AZR 137/13) hat das Bundesarbeitsgericht in Erfurt die Gelegenheit genutzt, anhand einer altersabhängigen Spätehenklausel das Verhältnis von Betriebsrenten- und Antidiskriminierungsrecht zu präzisieren und entschieden, dass eine altersabhängige Spätehenklausel, die einem Arbeitnehmer eine Hinterbliebenenversorgung für seinen Ehe-/Lebenspartner nur dann gewährt, wenn die Ehe/Partnerschaft vor Vollendung des 60. Lebensjahres geschlossen worden ist, als unzulässige Altersdiskriminierung unzulässig und damit unwirksam ist.

 

 

Drei wesentliche Konsequenzen

 

Aus dem Urteil ergeben sich folgende Konsequenzen:

 

1. Jede in Versorgungsbestimmungen enthaltene Leistungsvoraussetzung ,die bestimmt, dass eine betriebliche Hinterbliebenenrente nur dann gezahlt wird, wenn die Ehe vor Vollendung eines konkreten vor Eintritt eines Versorgungsfalls bzw. vor Eintritt in den Ruhestand liegenden Alters geschlossen worden ist, ist vor dem Hintergrund der aktuellen BAG-Entscheidung rechtsunwirksam.

 

2. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen sind ab sofort zwingend zu beachten, das heißt die entsprechende Klausel kann nicht mehr leistungsausschließend angewendet werden.

 

3. Darüber hinaus müssen Arbeitgeber auch damit rechnen, rückwirkend von Hinterbliebenen in Anspruch genommen zu werden, die nach Inkrafttreten des AGG (18. August 2006) von einer solchen Spätehenklausel erfasst und von der Hinterbliebenenversorgung ausgeschlossen worden sind.

 

 

Die Hintergründe

 

Im Rahmen der betrieblichen Hinterbliebenenversorgung finden sich diverse Regelungen, die das finanzielle Risiko des Arbeitgebers begrenzen sollen. Dazu zählen sog. Spätehenklauseln, die verschiedene Gestaltungsformen haben:

 

Entweder wird ein Leistungsanspruch ausgeschlossen, wenn die Ehe erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, erst nach einem bestimmten Höchstalter (z.B. – wie in der aktuellen BAG-Entscheidung – erst ab der Vollendung des 60. Lebensjahres) oder erst nach Eintritt des Versorgungsfalls geschlossen wird. Bei derartigen Fallgestaltungen stellt sich automatisch die Frage nach der Vereinbarkeit der einzelnen Klausel mit dem AGG sowie der dem AGG zugrunde liegenden EU-Richtlinie 2000/78/EG. Danach ist eine Risikobegrenzung (Begrenzung der finanziellen Lasten des Arbeitgebers bzw. des Versorgungsträgers) nur zulässig, wenn sie angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist.

 

Legitime Ziele können grundsätzlich nur solche sein, die den Interessen der Beschäftigten Rechnung tragen. Ziele, die ausschließlich im Eigeninteresse des Arbeitgebers liegen, wie allgemeine Kostenreduzierung, Reduzierung des administrativen Aufwands oder Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, können daher eine Altersdiskriminierung nicht nach § 10 Satz 1 AGG rechtfertigen.

 

Das BAG erkennt zwar im Zusammenhang mit der Gewährung einer betrieblichen Hinterbliebenenversorgung ausdrücklich auch an, dass arbeitgeberseitig ein berechtigtes Interesse daran besteht, die mit der Hinterbliebenenversorgung verbundenen zusätzlichen Risiken zu begrenzen, um den Versorgungsaufwand verlässlich kalkulieren zu können. Entschließt sich der Arbeitgeber dazu, ohne rechtliche Verpflichtung und damit freiwillig eine Hinterbliebenenversorgung zuzusagen, so ist er nach Ansicht des BAG grundsätzlich auch berechtigt, die Hinterbliebenenversorgung von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig zu machen und damit Personen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, von dieser Versorgung auszuschließen. Auch liegt eine Begrenzung des Kreises der anspruchsberechtigten Dritten durch zusätzliche anspruchsbegründende oder besondere anspruchsausschließende Merkmale gerade im Bereich der Hinterbliebenenversorgung nahe, weil ein dahingehendes Leistungsversprechen zusätzliche Unwägbarkeiten und Risiken mit sich bringt. Diese betreffen nicht nur den Zeitpunkt des Leistungsfalls, sondern auch die Dauer der Leistungserbringung.

 

Gerade diese Aspekte werden aber durch eine altersabhängige Spätehenklausel nicht tangiert. So ist insbesondere die Dauer der Leistungserbringung unabhängig davon, wann die Ehe geschlossen wird.

 

Von daher ist eine altersabhängige Spätehenklausel zur Erreichung der mit ihr angestrebten Ziele nicht angemessen und erforderlich i.S.v. § 10 Satz 2 AGG. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sie es erlaubt, das mit der Spätehenklausel verfolgte Ziel zu erreichen, ohne zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen derjenigen Arbeitnehmer zu führen, denen aufgrund der Klausel die Hinterbliebenenversorgung vorenthalten wird, weil sie bei Eheschließung bereits ein bestimmtes Lebensjahr vollendet haben und sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des angestrebten Ziels notwendig ist.

 

Für die betriebliche Hinterbliebenenversorgung ist es aus Sicht der Versorgungsberechtigten unerheblich, zu welchem Zeitpunkt die Ehe geschlossen wurde. Es existiert vor allem kein allgemeiner Erfahrungssatz, dass die Versorgungsberechtigten, die die Ehe erst nach Vollendung z.B. des 60. Lebensjahres schließen, ein geringeres Interesse an der Versorgung ihrer Hinterbliebenen haben als Versorgungsberechtigte, die die Ehe in einem jüngeren Lebensalter schließen. In beiden Fällen besteht ein gleichermaßen anerkennenswertes Interesse an der Versorgung ihrer Ehepartner.

 

Zudem ist zu berücksichtigen, dass auch für die betriebliche Hinterbliebenenversorgung der Entgeltcharakter betrieblicher Versorgungsleistungen gilt und diese somit ebenfalls als Gegenleistung für die im Arbeitsverhältnis erbrachte Betriebszugehörigkeit gewährt wird. Danach ist es regelmäßig nicht angemessen, die unter Geltung einer Versorgungszusage abgeleistete Betriebszugehörigkeit im Hinblick auf die Hinterbliebenenversorgung allein deshalb vollständig unberücksichtigt zu lassen, weil der Versorgungsberechtigte bei Eheschließung das 60. Lebensjahr bereits vollendet hatte.

 

Die Vollendung des 60. Lebensjahres stellt auch – anders als das Ende des Arbeitsverhältnisses oder der Eintritt des Versorgungsfalls beim versorgungsberechtigten Arbeitnehmer selbst – keine „Zäsur“ dar, die es dem Arbeitgeber ausnahmsweise hätte gestatten können, in den Bestimmungen über die Hinterbliebenenversorgung zur Begrenzung des mit der Versorgungszusage verbundenen Risikos und Aufwands hieran anzuknüpfen und die Lebensgestaltung des Arbeitnehmers ab diesem Zeitpunkt bei der Abgrenzung seiner Leistungspflichten unberücksichtigt zu lassen.

 

 

Fazit (I): Differenzierung tut not

 

Mit seinem aktuellen Urteil hat das BAG die Anforderungen an die Wirksamkeit dieser sog. Spätehenklauseln verschärft. In der Vergangenheit (vor allem vor Inkrafttreten des AGG) hatte das BAG entsprechende Klauseln, die in unterschiedlichen Gestaltungsformen verbreitet sind, unter Hinweis auf die Freiheit des Arbeitgebers bei der Festlegung der Kreises der anspruchsberechtigten Hinterbliebenen für wirksam gehalten (so: BAG 28 Juli 2005 – 3 AZR 457/04). Nunmehr ist eine differenzierte Betrachtung geboten. Jedenfalls dann, wenn die Spätehenklausel an ein bestimmtes Alter anknüpft, das vor Eintritt des Versorgungsfalls bzw. vor Eintritt in den Ruhestand liegt, ist von der Unwirksamkeit der Klausel auszugehen.

 

 

Fazit (II): Handlungsbedarf

 

Für die Zukunft ist dringend eine Änderung derjenigen Versorgungsbestimmungen zu empfehlen, die eine altersabhängige Spätehenklausel beinhalten und die entsprechende Klausel zu streichen oder auf eine Klausel umzustellen, die altersunabhängig ist, also z.B. an den Eintritt des Versorgungsfalls oder das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben anknüpft.

 

Derartige Klauseln hat das BAG in seinen Entscheidungen vom 15. Oktober 2013 (3 AZR 653/11 und 3 AZR 294/11) ausdrücklich für mit dem AGG als vereinbar anerkannt. Diese Rechtsprechung ist durch die vorliegende Entscheidung nicht hinfällig geworden. Vielmehr hat das BAG derartige altersunabhängige Kriterien auch in seinem aktuellen Urteil nochmals ausdrücklich als sachgerechte Anknüpfungspunkte für Regelungen über den Ausschluss von der Hinterbliebenenversorgung erwähnt, nicht aber ein vom Ende des Arbeitsverhältnisses unabhängiges Alter.

 

Soweit als Alternative eine sog. „Altersabstands- bzw. Altersdifferenzklausel“ in Betracht gezogen wird, die unter demographischen Aspekten die Leistungspflicht des Arbeitgebers begrenzen oder ausschließen sollen, ist auch eine solche Klausel vor dem Hintergrund des AGG kritisch zu hinterfragen. Insbesondere ein vollständiger Ausschluss der Hinterbliebenenversorgung dürfte angesichts der aktuellen Entscheidung unzulässig sein, da zur Erreichung des Ziels der Kostenbegrenzung auch weniger einschneidende Maßnahmen wie z.B. die Zahlung einer geringeren Hinterbliebenenrente oder der Aufschub der Leistungen bis zum Erreichen eines bestimmten Alters denkbar sind. Zur Verringerung der Unwirksamkeitsrisiken ist daher zu empfehlen (soweit eine solche Klausel in Betracht gezogen wird), eine gestaffelte Anspruchsberechtigung einzuführen, die der Altersdifferenz Rechnung trägt und je nach Altersabstand unterschiedlich hohe Versorgungsleistungen vorsieht.

 

Update 14. Juni 2016 durch die LbAV-Redaktion: Zwischenzeitlich hat der EuGH entschieden, dass Späteheklauseln nach EU-Recht nicht altersdiskriminierend sein müssen. Mehr dazu hier.

 

 

Der Autor ist Rechtsanwalt in Köln am Rhein und Associate Partner bei Ries Corporate SolutionsVon ihm erschienen zwischenzeitlich bereits auf LEITERbAV:

 

Judex non calculat? 65 ist nicht zwingend 67!“, 10 Juni 2013.

 

 

Handlungsbedarf in Versorgungsbestimmungen: Erfurt und das Glück der späten Liebe“, 31. März 2016.

 

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