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Sperrfeuer – der Kommentar auf LEITERbAV:

Enthaftung oder Totgeburt

In der bAV-Reform werden dieser Tage die finalen Weichen gestellt. Eine Kardinalfrage ist die des Garantieverbotes, die andere die der Tarifexklusivität – vor allem für diejenigen Akteure, denen die Politik im Sozialpartnermodell eine zentrale Rolle zuweist. Peer-Michael Dick kommentiert. Und stellt besonders eines unmissverständlich klar.

 

Peer-Michael Dick, Suedwestmetall.

Die politische Diskussion über das Betriebsrentenstärkungsgesetz scheint auf die Zielgerade zu biegen. Ob sie das Ziel einer weiteren Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) jedoch überhaupt erreicht, ist fraglich, weil Gerüchten zufolge die CSU das ganze Gesetz oder zumindest das sogenannte Garantieverbot zu Fall bringen will. Am heutigen Donnerstag versucht die Unionsfraktion im Bundestag, Einigkeit über ihre Vorstellungen herbeizuführen. Würde dieses Garantieverbot jedoch fallen, muss allen politisch Verantwortlichen klar sein: Dann ginge nicht nur den Beschäftigten viel Geld verloren. Sondern dann käme für einen tarifschließenden Arbeitgeberverband wie Südwestmetall mit knapp 1.000 Betrieben und mehr als 500.000 Beschäftigten ein Tarifvertrag nicht mehr in Frage. Das Gesetz könnte zur Totgeburt werden, und der weiteren Verbreitung der bAV wäre ein Bärendienst erwiesen.

 

 

Arbeitgeber sollen müssen, was Finanzdienstleister kaum noch können?

 

Heute verhindert die komplexe und vor allem über Jahrzehnte wirkende Haftungsproblematik für die Arbeitgeber auch bei den externen Durchführungswegen eine weitere Verbreitung der bAV. Unstrittig ist zwar, dass Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltumwandlung haben.

 

Aber es kann nicht angehen, dass die Arbeitgeber damit verpflichtet werden, gesetzlich definierte Zusagen mit Garantien abzugeben – die dann möglicherweise kein Finanzdienstleister mittelfristig mehr erbringen kann und für die letztlich doch der Arbeitgeber einstehen muss. Erste Versicherer haben ja bereits Probleme, die gegebenen Garantien abzubilden. Vor diesem Hintergrund ist auch klar, dass Arbeitgeber ihre Beschäftigten nicht auch noch von sich aus zur Entgeltumwandlung anspornen. Dies gilt natürlich umso stärker für die eigentliche, vom Arbeitgeber finanzierte bAV.

 

Dieses große Hindernis soll jetzt dadurch beseitigt werden, dass der Arbeitgeber von der Einstandshaftung befreit wird, wenn ein Tarifvertrag dies vorsieht. Dazu gehört aber auch, dass in dem schwierigen Verhältnis Arbeitgeber-Beschäftigter-Versorgungsinstitution sich an keiner Stelle ein Garantieversprechen wiederfindet.

 

Warum ist das so wichtig und richtig? Gerichte und Gesetzgeber haben den Unternehmen in den letzten Jahrzehnten Belastungen aufgebürdet, die nicht einmal ansatzweise erkennbar waren, als für die meisten heutigen Anwärter und Rentenbezieher die bAV begründet wurde. Die Belastungen und langfristigen Risiken für die Unternehmen sind weit überproportional gestiegen. Deshalb sind sie nicht mehr bereit, dies zu akzeptieren. Und: Wieso sollen die Unternehmen heute Haftungsrisiken übernehmen, die ein signifikanter Teil der Versicherer in absehbarer Zeit selbst nicht mehr garantieren kann und für deren Ausfall dann das Unternehmen selbst haftet – obwohl es alle Beiträge ordnungsgemäß abgeführt hat?

 

Also braucht es eine Enthaftung. Und hier sind sich die Experten einig: Die sicherste Form der Enthaftung für den Arbeitgeber liegt im konsequenten Verzicht auf Garantien. Wenn eine Versorgungszusage Garantien enthält, ist man schnell bei den bestehenden gesetzlichen Zusageformen, für die der Arbeitgeber einstehen muss. Also: Nur gar keine Garantie ist eine sichere Enthaftung!

 

Damit ist für Südwestmetall absolut klar: Bei jeder Aufweichung des absoluten Garantieverbots für die Beitragszusage kommt ein Tarifvertrag nicht in Betracht. Jeder Arbeitgeberverband wäre schlecht beraten, seine Mitgliedsunternehmen in die Haftung laufen zu lassen.

 

 

Überall – nur nicht in Deutschland?

 

Genauso schlimm im Sinne der Politik, der Gesellschaft und der Beschäftigten wäre aber: Die Entscheidung, (Teil-)Garantien zuzulassen, würde den Menschen Geld wegnehmen. Denn Garantien kosten bei der Geldanlage Geld, sehr viel Geld sogar. Die Frankfurt School of Finance hat kürzlich eine Berechnung vorgelegt, bei der in einem Beispielfall eine 25jährige Frau 42 Jahre lang monatlich 50 Euro in eine bAV-Anwartschaft einbringt. Würde ihr garantiert, dass ihre Beiträge erhalten bleiben, könnte die ihr zustehende Leistung um bis zu 140.000 Euro (!!) niedriger ausfallen als ohne Garantie für die Beiträge – bei einem Eigenbeitrag von gerade einmal 25.200 Euro. Selbst wenn die Berechnung zu optimistisch sein und der Unterschied „nur“ 70.000 Euro betragen sollte, wäre dies auf die verbleibende Lebenserwartung der dann 65jährigen Frau noch ein monatlicher (!) Unterschiedsbetrag von knapp 300 Euro. Damit sind die Dimensionen klar, über die bei einer Aufweichung des Garantieverbotes entschieden wird.

 

Nun gibt es ernst zu nehmende Stimmen, die sagen, den Menschen in der Bundesrepublik könne das Risiko eines Totalverlustes nicht erklärt werden. Diese Bedenken muss man auch ernst nehmen. Aber: Warum soll bei uns nicht funktionieren, was weltweit funktioniert, z.B. seit Jahrzehnten auch in den Niederlanden, deren Bevölkerung uns ja nicht ganz unähnlich ist? Außerdem haben die Deutschen ja auch gelernt, in den Lebensversicherungen von den Garantien weg zu gehen.

 

Natürlich muss man auch viel Aufklärung betreiben. Dabei sollte man aber Vertrauen in die Tarifvertragsparteien haben, dass diese Formulierungen finden, die zwar keine Garantie darstellen, aber Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Systems begründen.

 

 

Weder Closed Shop noch Klammerbeutel

 

Befürchtungen, dass die Tarifvertragsparteien möglicherweise eine „Closed Shop“-Veranstaltung durchführen und nicht tarifgebundene Unternehmen dann von der Haftungsbefreiung nichts haben und dort eine weitere Verbreitung der bAV also nicht stattfindet, halte ich übrigens für überzogen. Denn die Sozialpartner wären mit dem Klammerbeutel gepudert, würden sie Externe nicht zulassen und sich damit größere Skaleneffekte verbauen. Rechen können wir schon auch.

 

Zusammengefasst: Eine Aufweichung oder gar der Wegfall des Garantieverbotes beinhaltet das Risiko, dass gar keine entsprechenden Tarifverträge abgeschlossen werden und die Verbreitung von bAV damit weiterhin stagniert. Doch selbst wenn es entsprechende Tarifverträge gäbe, würden die Beschäftigten am Ende über deutlich weniger Geld verfügen als ohne Garantien.

 

 

Der Autor ist Hauptgeschäftsführer Südwestmetall – Verband der baden-württembergischen Metall- und Elektroindustrie e.V..

 

Von ihm und anderen Autoren erschienen zwischenzeitlich bereits als Kommentare zur bAV-Reformdebatte auf LEITERbAV:

 

Kein dritter Schuss“

von Bernhard Wiesner, seinerzeit Senior VP Corporate Pensions der Bosch Gruppe, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung und Mitglied des bAV-Ausschusses der BDA, 30. Oktober 2014.

 

Paradigmenwechsel mit Folgen“

von Markus Klinger, Leiter des Fachkreises „betriebliche Altersversorgung und Lebensversicherung“ in der Vereinigung der Versicherungs-Betriebswirte e.V. VVB, 23. Februar 2015.

 

Stunde der Wahrheit“

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 26. Februar 2015.

 

Evolution oder Revolution?“

von Klaus Mössle, Leiter des institutionellen Geschäfts bei Fidelity Worldwide Investment in Deutschland, 12. März 2015.

 

bAV in der Breite voranbringen”

von Peter Schwark, Mitglied der Geschäftsführung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV), 5. März 2015.

 

Falsche Furcht vor dem Kahlschlag. Oder: Warum der VFPK irrt.“

von LbAV-Autor Detlef Pohl, 1. Juni 2015.

 

Warum nicht die Rosinen picken?“

von Marco Arteaga, Rechtsanwalt und Partner bei DLA Piper in Frankfurt am Main, 19. Oktober 2015.

 

Es könnte so einfach sein…“

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 19. Februar 2016.

 

Der Staub der Jahrzehnte“

von André Geilenkothen, Principal bei Aon Hewitt in Mülheim an der Ruhr, 14. März 2016.

 

Weiße Salbe und totes Pferd“

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 4. April 2016.

 

Entgeltumwandlung 2.0: Insolvenzschutz einmal anders“

von Cornelia Rütters, Juristin, und Andreas Fritz, Vorstand der Pensionskasse für die Deutsche Wirtschaft VVaG, Duisburg, 18. August 2016.

 

Wenn der Fahnenträger wankt“

von Bernhard Wiesner, a.a.O., 10. Oktober 2016.

 

Kaisers neue Kleider statt großer Wurf“

von Manfred Hoffmann, Geschäftsführer der Versorgungswerk der Presse GmbH, 6. März 2017.

 

Das Garantieverbot – überzeugend begründet?“

von Peter Schwark, a.a.O., 21. März 2015.

 

Enthaftung oder Totgeburt.“

von Peer-Michael Dick, Hauptgeschäftsführer Südwestmetall – Verband der baden-württembergischen Metall- und Elektroindustrie e.V., 30. März 2017.

 

 

Hinzu treten die Kommentare, die LbAV-Chefredakteur Pascal Bazzazi zu dem Thema verfasst hat:

 

Nicht, dass wir am Ende blank dastehen“

8. Mai 2014.

 

The Great Game“

18. November 2014.

 

The Great Game (II)“

11. Mai 2015.

 

FT Comment – Endet die Reform der bAV im Run-off? Die Ungunst der Verhältnisse“

12. Juli 2016

 

FT Comment – Demografie, Zins und Vola, Regulierung: Surfen im Bermuda-Dreieck“

31. Oktober 2016

 

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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