Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Kassandra:

Die kommentierte Presseschau zur bAV

Regelmäßig Freitags bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV; wegen der gegenwärtigen Nachrichtenlage heute ausnahmsweise am Montag. Heute: Alle heißt alle, und Deutschland allein zu Haus.

 

 

 

Tagesspiegel (27. Juni): „Von den Grenzen der sexuellen Selbstbestimmung.“

 

Die Kampagne in dieser Angelegenheit lief nicht umsonst unter dem Stichwort „Ehe für alle“. Und jedem sollte klar sein: alle heißt im Zweifel alle. Wenn das Gesetz in Karlsruhe bestehen sollte (wovon angesichts der heute gängigen „Ja, aber“-Urteile auszugehen ist), dann ist es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis andere, bisher rechtlich nicht ehetaugliche Beziehungsmodelle – Polygamisten, Geschwister und Verwandte aller Art, Kleingruppen et cetera – ihr Recht auf Eheschließung einfordern werden; und sollte dies passieren, dürfte es ihnen mittelfristig kaum vorenthaltbar sein; nicht in Karlsruhe, nicht in Straßburg, und in diesem Kielwasser dann irgendwann auch in Erfurt nicht. Das mag nicht heute und morgen der Fall sein, in zehn oder zwanzig Jahren ist eine solche Entwicklung aber durchaus denkbar. Nein, ist es nicht? Man erinnere sich nur, wie schwer sich Deutschland erst jüngst mit einem umfassenden Verbot der Kinder-Ehe getan hat. Und man beachte, dass Mehrehen in vielen Kulturkreisen auf der Welt zur alltäglichen Selbstverständlichkeit gehören.

 

Dass die Frage nicht grundsätzlich realitätsfern ist, zeigt auch der Tagesspiegel, der anhand des Beispiels Inzest die Problematik bereits anreisst.

 

Was hat das Ganze mit der bAV zu tun, dass es hier nicht unter Off Topic steht, erst recht, wenn eingetragene Lebenspartnerschaften schon heute Hinterbliebenenschutz genießen? Viel, und mit dem Stichwort Erfurt ist es auch schon angedeutet: Denn die Entwicklung – so sie sich denn wirklich eines Tages manifestieren sollte – eröffnete nicht nur neue Perspektiven in der Art des Zusammenlebens, sondern auch in der Hinterbliebenenversorgung. Dabei wäre es gleich, ob diese neuen Ehen eines Tages aus echter Liebe oder – und das wäre das eigentliche Problem für die Altersvorsorge – vor allem aus schlicht pekuniär-taktischen Gründen geschlossen werden. Mit der Thematik der Spätehenklausel ist übrigens eine analoge Problematik schon heute virulent.

 

Die bAV ist gekennzeichnet von langen Zeiträumen, von hohen Kosten und davon, dass sie betreffende Regelungen von Politik und Rechtsprechung gern rückwirkend angewandt werden. Und die gegenwärtige bAV-Reform zeigt, dass selbst planvoll und professionell durchdachte Weiterentwicklungen des vielfach verästelten bAV-Systems in der Praxis weitreichende Anpassungen notwendig machen. Das gilt erst recht für systemfremde Einflüsse.

 

Kassandras wie üblich schwarzseherische Prognose daher: Wird „alle“ in der Ehe für alle politisch ernst genommen, dann könnte das beizeiten vieles auf den Kopf stellen, was über Jahrzehnte unverrückbar schien. Und in der Folge könnte die reale Ausprägung des Wörtchens „alle“ das Pensions-Parkett in den nächsten Jahrzehnten noch häufiger beschäftigen. Dies würde die Umsetzung vieler BAG- und BFH-Urteile und vieler BMF-Schreiben erfordern, das rechtssichere Anpassen vieler Versorgungsordnungen nötig machen, Heerscharen von Juristen, Consultants und Aktuaren in Anspruch nehmen – und die Arbeitgeber sehr, sehr viel Geld kosten.

 

 

FAZ (27. Juni): „Bank von Japan mutiert zum drittgrößten Aktionär Japans.“

 

Im Juni erst hatte Kassandra in einem FT-Comment in der jüngsten Sonderausgabe Pensions der dpn die gegenwärtige Politik der großen westlichen Notenbanken bewertet und daraus eine Hypothese abgeleitet, die derzeit noch völlig ungewöhnlich sein dürfte. Im Zentrum der Überlegungen stand die Tatsache, dass besonders die BoJ Real Assets akkumuliert.

 

Fast wie bestellt hier ein Beitrag aus der FAZ, der aktuelles Zahlenmaterial liefert. Im Zuge des QE soll die Bank von Japan nun mit mehr als 17 Billionen Yen (137 Milliarden Euro) nach dem staatlichen Pensionsfonds und nach Blackrock der drittgrößte Aktionär im Land sein. In 833 der in Japan börsengehandelten 3.675 Unternehmen gehöre die Bank nun zu den zehn größten Aktionären, berichtet die FAZ unter Berufung auf lokale Medienberichte.

 

Besieht man sich Staatsfonds und BoJ, muss man hier eine schleichende Verstaatlichung der japanischen Wirtschaft durch die Hintertür konstatieren – mit all ihren ordnungspolitischen Fehlwirkungen, die zu denen des QE an sich noch hinzutreten.

 

Häufig liest man in diesem Zusammenhang die Kritik, dass eine solche Verschuldungspolitik, flankiert durch die Notenpresse, am Ende in den währungspolitischen Zusammenbruch führen müsse. So berechtigt die Kritik an QE grundsätzlich ist (siehe auch nächsten Beitrag), so muss hier doch erneut betont werden: Ein Staat, der sich sukzessive milliardenschwere Vermögenswerte auf Kosten der Allgemeinheit aneignet (denn diese bezahlt die Asset Inflation), rührt damit nicht diejenigen Zutaten an, die geeignet sind, seine Währung zusammenbrechen zu lassen.

 

Am Rande noch: Das, was in dem FAZ-Beitrag geschildert wird, ist von wesentlicher ordnungspolitischer Bedeutung für die westlichen Volkswirtschaften. Umso erstaunlicher die Zahl der Leserkommentare Stand heute: Null.

 

 

FAZ (30. Juni): „’Wunderbare’ Geldpolitik – Hitler-Äußerungen: Japanische Zentralbank entschuldigt sich.“

 

Auch wenn der im vorigen Beitrag angesprochene Kassandrische Kommentar in der dpn das Fazit zog, dass das Vabanque-Spiel von Draghi und Konsorten via Akkumulation von Real Assets in gigantomanischen Ausmaßen in the long run aufgehen könnte, heißt das noch lange nicht, dass deshalb alles in Butter wäre. Als negative Side-Effects dieser Verletzung fundamentaler ordnungspolitischer Prinzipien seien zuvorderst genannt: die Entlastung der Politik von Reformdruck, der Erhalt und die Neu-Induzierung realwirtschaftlich ungesunder Strukturen (infolge zu billigerer Finanzierungsmöglichkeiten) sowie schließlich die Umverteilungseffekte von ganz unten nach ganz oben, die nur noch mühsam mit politischer Kosmetik kaschiert werden können (bspw. Mietpreisbremse).

 

Kassandra bleibt dabei: Wer in einer offenen Gesellschaft die Währung manipuliert, der betreibt nicht nur eine alternative Geld- und Wirtschaftspolitik. Sondern der legt auch die Axt an eine der Wurzeln einer jeden freiheitlich demokratischen Grundordnung.

 

Die in dem FAZ-Artikel dokumentierten Äußerungen des japanischen Notenbankers zur angeblich klugen Geldpolitik der Nationalsozialisten deuten darauf hin, dass Teile des hier und heute in der Verantwortung stehenden Zentralbankpersonals möglicherweise nicht nur fachlich offenbar nicht ganz sattelfest sind (Stichwort bspw. Mefo-Wechsel), sondern offenbar auch einen Blick auf die Dinge haben, der die Kassandrische Sorge von der Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung durch Leute dieses Schlages durchaus stützt.

 

 

OFF TOPIC – TO WHOM IT MAY CONCERN

 

HB (5. Juli): „Studie zum Erbvolumen: Deutschland erbt – bis zu 400 Milliarden Euro pro Jahr.“

 

Das kommt ja wie gerufen. Und ist es vermutlich auch. Bleibt abzuwarten, ob nun in Kürze die dazugehörige Steuerdiskussion losgeht. Vor einer Bundestagswahl gehören alle Register gezogen, da dürfen Neiddebatten natürlich nicht fehlen.

 

 

Die Welt (3. Juli): „In der Griechen-Frage vollzieht Merkel die nächste Wende.“

 

Es war seit Jahren absehbar, dass der IWF sich aus der Insolvenzverschleppung Griechenlands eines schönen Tages zurückziehen wird. Das ist gut und richtig, denn was haben die weltweiten Einzahler, teils bitterarm, mit den selbstverschuldeten Haushaltskrisen verhältnismäßig wohlhabender Euro-Staaten und dem dazugehörigen Mantra „Scheitert der Euro, scheitert Europa“ zu tun? Insofern handelt IWF-Chefin Christine Lagarde, ohnehin nicht für übertriebene Deutschfreundlichkeit bekannt, zwar etwas spät, aber völlig korrekt.

 

Das kann man auch weitergehend interpretieren: Denn jetzt tritt das zutage, was die Bundesregierung seit Jahr und Tag vor allem mit der Teilnahme des IWF zu kaschieren suchte: Dass in der Griechenland-Krise Deutschland (gemeinsam mit ein paar weiteren Nettozahlern) am Ende allein zu Hause ist. Oder wie es vermutlich Warren Buffet ausdrücken würde: Wer nackt schwimmt, sieht man erst bei Ebbe.

 

 

 

FAZ (27. Juni): „Eine kritische Bilanz – Merkels Versagen.“

 

In weiten Teilen der deutschen Bevölkerung und auf dem internationalen Parkett genießt Angela Merkel einen hervorragenden Ruf. Bei Kassandra jedoch kam und kommt sie stets schlecht weg, nicht zuletzt mit Blick auf die seit Jahren anhaltende und an dieser Stelle regelmäßig beunkte Marginalisierung der Union.

 

Auch in der oben schon kommentierten Causa „Ehe für Alle“ hat sie – auf einem Forum der Frauenzeitschrift Brigitte – erneut ihre Neigung zu politischer Ungeschicklichkeit unter Beweis gestellt (wie schon bspw. in der Causa Wulf, der Causa Atom-Wiederein- und Neuausstieg, der Causa Insolvenzverschleppung Griechenlands, der Causa Flüchtlinge).

 

In der Causa Griechenland zeigt schon der oben verlinkte Welt-Artikel Skepsis gegenüber Merkels Politik. Dass aber in den etablierten Medien harsche Kritik an Merkel geübt wird, die nicht nur ihre Politik angreift, sondern sie und ihr Art zu denken grundsätzlich infrage stellt, ist nach wie vor die seltene Ausnahme. Umso bemerkenswerter der hier verlinkte Beitrag aus der staatstragenden Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Die Frage der Ehe für alle wird nicht nicht aufgegriffen, doch gibt es auch so der Beispiele genug, die der Autor nutzt, um mit Merkel auf zahlreichen Politikfeldern nahezu vollumfänglich abzurechnen. „Versagen“, „Scheinriese“ „Hochstapelei“, „Bahnhofsklatscher“ – der FAZ-Beitrag hat keine Scheu vor klarer Sprache. Das von Merkel sorgsam gepflegte Image, „Dinge vom Ende her zu denken“, spricht der Autor ihr rundheraus ab.

 

Der Artikel lässt auch Merkels fatale Wirkung nicht nur für Deutschland und Europa, sondern auch auf die Union nicht aus. Mit Blick auf die Perspektive der CDU-Führung endet er:

 

Zunehmend wird die Frage diskutiert, wer nach ihr kommt.“

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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