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Interview: Rainer Jakubowski (BVV) über die Märkte

„Die EM-Story stimmt nach wie vor.“

Der Finanzvorstand von Deutschlands größter Pensionskasse spricht mit Leiter-bAV.de über die Kapitalanlageentwicklungen und -perspektiven in Europa, EM, USA und Japan; über Govies, Corporates, Real Estate und Aktien.

 

Herr Jakubowski, die Zinsen steigen derzeit leicht. Ist das ein erstes Anzeichen für die Rückkehr der Normalität oder eher dafür, dass mitten in der Krise die Zentralbanken die Kontrolle über die Entwicklung verlieren? Steigende Zinsen werden die europäischen Staatshaushalte ja kaum lange aushalten?

 

Rainer Jakubowksi, BVV
Rainer Jakubowksi, BVV

Sowohl als auch. Der seit kurzem beobachtbare leichte Anstieg der Zinsen ist tatsächlich zum Einen Vorbote der Rückkehr zur Normalität. Zum Anderen gibt es Marktauguren, die betonen, dass die Zentralbanken sich nicht dauerhaft gegen die Kapitalmärkte stemmen können und daher die Zinsen mittel- und langfristig steigen müssen. Diese Schlussfolgerung würde ich tendenziell teilen. Richtig ist es, dass dies für die Staatshaushalte, die durch niedrige Zinsen – auf Kosten von Sparern und Versicherten – unterstützt beziehungsweise saniert werden sollen, eine recht schlechte Nachricht ist. Eine gute Nachricht wäre es – jedenfalls für mich – wenn Marktmechanismen auf Dauer obsiegen.

 

Wie lange können die Zentralbanken diese Politik überhaupt durchhalten?

 

Bekanntermaßen hat die extreme Niedrigzinspolitik risikoträchtige Nebenwirkungen. Persönlich glaube ich daher nicht, dass sie langfristig durchhaltbar sein wird. Wann exakt es zu einem Ende kommen wird, vermag ich nicht zu sagen – vielleicht beobachten wir gerade die Vorboten.

 

Niedrigzins, Quantitative Easing, Rettungsschirme, Target-Salden, Schuldenschnitte: Wie bewerten Sie denn die Rettungspolitik der Europäer und namentlich Deutschlands grundsätzlich? Sind wir auf dem richtigen Weg, oder stehen wir am Abgrund und machen jetzt nach den Bundestagswahlen den nächsten Schritt?

 

Ich denke nicht, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Fraglich ist jedoch, ob dieser einmal eingeschlagene Weg nach den Jahren der Rettungspolitik und ihren finanziellen Folgen überhaupt noch korrigierbar ist, ohne dass es zu einer Katastrophe kommt. Die seinerzeitige Bedingung, das „No-Bail-Out“ als notwendiges Konstruktionsmerkmal der Währungsunion zu wählen, war goldrichtig. Das ist sie immer noch! Meiner Meinung nach wäre es auch richtig gewesen, Griechenland in einem frühen Stadium aus der Währungsunion auszugrenzen. Und ist nicht ein Konstrukt, das dies tatsächlich nicht zulässt, extrem risikoreich und am Ende nicht zukunftweisend? Der Status quo ist es aber, dass es auch nach den Bundestagswahlen mit der Rettungspolitik weitergehen wird.

 

Dann kommen wir jetzt konkret zu den Märkten. Was bedeutet der Zinsanstieg für Ihre Kapitalanlagestrategie?

 

Der Zinsanstieg wird von uns naturgemäß herbeigesehnt, weil Wiederanlagen im so wichtigen Bereich zinstragender Investments zu unseren Zielrenditen dann endlich wieder möglich sind. Natürlich wird kurzfristig das Dahinschmelzen der – aktuell sehr hohen – Bewertungsreserven uns Kopfzerbrechen machen. Am Ende hat aber die zieladäquate Wiederanlage höhere Priorität.

 

Was sagen Ihnen Ihre mandatieren Fixed-Income-Manager, wenn die Zinsen steigen?

 

Der wesentliche Teil unserer Mandate im Zinsbereich hat eine Absolute Return-Orientierung. Aussage der Mandatsträger ist es, dass man im Umfeld des Zinsanstiegs genauso gut verdienen kann wie bei einem Zinsrückgang. Es bleibt abzuwarten, ob eine solche symmetrische Verteilung des Return-Potenzials der Realität des Zinsanstiegs standhält.

 

Sie engagieren sich seit Jahren nicht mehr in europäischen Govies. Wie kompensieren Sie das, und welche Rolle spielen Corporates?

 

Tatsächlich haben wir seit dem Jahr 2008 – im Direktbestand und in den Mandaten – den Anteil an Corporate Bonds erheblich ausgebaut. Insgesamt hat aufgrund ihrer Charakteristika die Attraktivität von Corporate Bonds nach der „Griechenland-Erfahrung“ deutlich zugenommen. Aktuell allerdings rechtfertigt das Spreadniveau, oder besser das Risiko-Rendite-Verhältnis, nur sehr selektive Investments. In der Zukunft werden Finanzierungen – insbesondere im Bereich Immobilien und Infrastruktur – und auch Infrastruktur-Equity ein merkbar höheres Gewicht in unserer Asset Allocation haben und so, zumindest teilweise, die Zurückhaltung im Bereich von Government Bonds des Euroraumes kompensieren.

 

Wie engagieren Sie sich demnach in Deutschland und Euroland? Welche Perspektive sehen Sie hier strategisch und gesamtwirtschaftlich – auch nach der Bundestagswahl?

 

Insgesamt wird der Euro-Raum schon aufgrund unserer Bilanzwährung das stärkste regionale Gewicht in unserem Portfolio behalten. Allerdings steigt unsere globale Orientierung seit Jahren wie gewohnt vorsichtig und schrittweise an. Auch die stärkere Gewichtung der sich entwickelnden Volkswirtschaften werden wir beibehalten, auch wenn diese vor der letzten FED-Entscheidung angesichts der Spekulationen über den Ausstieg aus den Anleihenkäufen „unter die Räder gekommen“ sind. In den Emerging Markets hatten wir bereits vor der FED-Entscheidung vom 18. September sogar wieder Kaufgelegenheiten gesehen und – glücklicherweise – entsprechend agiert.

 

Stichtwort EM. Die stehen gerade – alle Jahre wieder – unter dem Druck von Kapitalabflüssen und zeigen auch derzeit ihr politisches Krisenpotential. Oder ist nach der jüngsten FED-Entscheidung alles wieder im Lot?

 

Meines Erachtens stimmt die „Story“ für die höhere Gewichtung der Emerging Markets in Portfolio nach wie vor. An strukturellen Vorteilen wie deutlich geringere Verschuldung, höheres Wachstumspotenzial, bessere Demografie, Rohstoffvorkommen et cetera hat sich nichts geändert. Auch werden wir erleben, dass die Emerging Markets im globalen Kontext der Volkswirtschaften weiter an Gewicht gewinnen werden.

 

Wie bewerten Sie die USA?

 

Auch die USA haben naturgemäß ihre Probleme – insbesondere meine ich damit die außerordentlich hohe Verschuldung. Mittel- und langfristig sehe ich persönlich mit Blick auf die USA hohes Potenzial und gute Perspektiven.

 

Japan?

 

Japan ist für mich eine Region größter Risiken. Hier werden wir wohl bald – in 2014 oder 2015? – ermessen können, ob die enorm hohe Verschuldung langfristig, auch wenn sie innenfinanziert ist, überhaupt tragbar ist. Persönlich sehe ich hier wie gesagt allergrößte Risiken.

 

Ist Real Estate noch interessant oder schon zu teuer?

 

Das lässt sich so pauschal nicht beantworten. Aber man muss in Deutschland aktuell schon selektiv unterwegs sein. Wir investieren aber global und meinen, dass sich hierbei differenziert nach Regionen und Nutzungsarten immer wieder Chancen auftun.

 

Zum Schluss nach Berlin. Es sind noch fünf Jahre hin, aber in unserer Branche muss man ja langfristig denken. Daher: Werden Sie Sir Simon Rattle vermissen?

 

Ja, ich werde Sir Simon Rattle vermissen. Ich habe an seine Arbeit viele wundervolle Erinnerungen. Andererseits bin ich aber, gerade auch was Musik anbelangt, gespannt bis aufgeregt, was Neues angeht.

 

 

Rainer Jakubowski

Stresstests und Regulierung dominieren ihn in seinen Kapitalanlageentscheidungen mehr als ihm lieb ist, daraus macht Rainer Jakubowski nie einen Hehl. Deshalb hatten sich die beiden Gesprächspartner bei ihrem Treffen auf dem Kurfürstendamm in Berlin für das vorliegende Interview vorgenommen, alle technischen und regulatorischen Fragen einmal außen vor zu lassen und nur über die Märkte an sich zu reden. Seit zwölf Jahren ist Jakubowski nun Vorstand des BVV, dem über 100 Jahre alten Versorgungswerk des Bankgewerbes, das aus dem BVV Versicherungsverein des Bankgewerbes a.G., der BVV Versorgungskasse des Bankgewerbes e.V. und dem BVV Pensionsfonds des Bankgewerbes AG besteht. Damit ist der 57jährige studierte BWLer und Informatiker für knappe 24 Milliarden Euro Pensionsvermögen verantwortlich, die in Pensionsfonds, U-Kasse und (Deutschlands größter) Pensionskasse liegen. Der gebürtige und leidenschaftliche Hamburger war vorher unter anderem bei der Hannover Rück und der Volksfürsorge. Will man Jakubowski, Freund klassischer Musik, abseits der Märkte treffen, dann geht man am besten in die Berliner Philharmonie.

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