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Umfrage unter bAV-Verantwortlichen zur bAV-Reform:

Die alten Hasen und der neue Besen

Viel ist die Rede von KMU, doch was bedeutet das BRSG für diejenigen, die nicht im Fokus der Reform stehen? Wie werden Unternehmen, die bereits bAV-Strukturen aufgebaut haben, mit den neuen Möglichkeiten umgehen? Ein Consultant hat sich umgehört. Und warnt die Politik vor Ignoranz.

 

Dass die Politik mit dem BRSG diejenigen erreichen will, bei denen arbeitgeber- wie arbeitnehmerseitig die bAV noch zu wenig Verbreitung gefunden hat – namentlich KMU und Geringverdiener – ist bekannt. Seit Beginn der Reform stellt sich daneben die Frage, welche Folgen die Maßnahmen auf diejenigen teils sehr beachtlichen bAV-Strukturen haben wird, die es in der deutschen Industrie bereits gibt. Manch ein Arbeitgeberverband hat hier jedenfalls schon die klare Kante der Zustimmung gezeigt, auch wenn gerade seine Branche alles andere als im Fokus der Reform steht.

 

Doch befragt man die bereits bAV-affinen Unternehmen verschiedener Branchen direkt, fällt das erste Fazit zu den Reformbemühungen der Bundesregierung offenbar nur eingeschränkt positiv aus. Einer aktuellen Studie von Willis Towers Watson zufolge sehen Unternehmen, die bereits betriebliche Pensionspläne anbieten, die bAV-Reform im Ergebnis zumindest überwiegend neutral. Ein Großteil der Unternehmen mit bAV (61 Prozent) geht dabei davon aus, dass das neue Betriebsrentenstärkungsgesetz die bAV „weder stärken noch schwächen“ werde, so die WTW-Umfrage.

 

Reiner Schwinger, Willis Towers Watson.

Die Reform geht an einigen wichtigen Stellen – etwa mit dem Angebot einer reinen Beitragszusage, den neuen Freibeträgen bei der Grundsicherung, dem Bekenntnis zur Riesterförderung oder auch der Komplexitätsreduktion bei einzelnen steuerlichen Regelungen – in die richtige Richtung. Praktisch wichtige Änderungen für das bestehende bAV-System stehen jedoch nicht im Fokus und bleiben aus – und eben das wird von den Unternehmen bemängelt“, erklärt Reiner Schwinger, Head of the Northern Europe Region von WTW die grundsätzliche Lage.

 

Der Consultant hat im Februar 107 bAV-Verantwortliche aus Unternehmen in Deutschland zu ihrer Einschätzung der Reform und zu daraus resultierenden Anpassungsplänen befragt. Zwei Drittel der befragten Unternehmen gehören dem Mittelstand an (bis zu 5.000 Mitarbeiter), ein Drittel waren Großunternehmen. Fast alle der befragten Unternehmen (97 Prozent) bieten ihren Mitarbeitern eine bAV an. Zwei Drittel (66 Prozent) der befragten Unternehmen sind tarifgebunden. Im Einzelnen:

 

 

Zwei Kardinalfragen fasst die Reform nicht an – Enthaftung nachgeordnet

 

Folgender Aussage stimmen in der WTW-Umfrage lediglich sieben Prozent zu: „Die für mein Unternehmen relevanten Probleme werden durch das Reformpaket adressiert“.

 

Der überwiegenden Mehrheit hilft die Reform nicht (51 Prozent) oder nur teilweise (42 Prozent). Als dringlichste Probleme werden zuerst die Sozialversicherungsbeiträge auf Betriebsrentenauszahlungen und der im Vergleich zum HGB-Rechnungszins hohe steuerliche Rechnungszins für die Bewertung von Pensionsverpflichtungen genannt. Auch bei einer „schlanken Umsetzung und Verwaltung der bAV“ helfe die Reform nicht. Der Wunsch nach einer „Enthaftung von der bAV“ wird demgegenüber erst an vierter Stelle genannt.

 

Die Unternehmen, die sich – zum Teil bereits seit langem – in der Altersvorsorge für ihre Mitarbeiter engagieren, fühlen sich allerdings durch die Reform eher nicht abgeholt, wie die Umfrageergebnisse zeigen. „Dies ist zunächst nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass der Fokus der Reform gerade nicht in der Verbesserung bestehender bAV-Systeme, sondern in der Schaffung von Anreizen für eine weitere Verbreitung der bAV, das heißt für die Erteilung neuer bAV-Zusagen, besteht“, so Schwinger. Insofern sind nach seiner Auffassung die Antworten der Unternehmen, die bereits eine bAV haben, letztlich erwartungsgemäß, und er fügt hinzu: „Hier sollte – gegebenenfalls in einem zweiten Reformschritt – nachgebessert werden, weil auch die Fortentwicklung der bestehenden bAV-Systeme von elementarer Bedeutung für die Verbreitung der bAV ist.“

 

Michael Karst, Willis Towers Watson.

Die Sorgen der Unternehmen bezüglich des bestehenden bAV-System sind schon lange bekannt – und sie sind auch im bisherigen Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens immer wieder von unterschiedlichen Seiten thematisiert worden, zuletzt im Rahmen der jüngsten Bundesratsdebatte. Gelöst werden sie durch den Reformentwurf jedoch nicht, hier besteht sicherlich weiterer Handlungsbedarf“, bilanziert Michael Karst, der bei WTW im Bereich Pensions den Fachbereich Recht leitet.

 

 

Weitere Verbreitung im Mittelstand, aber Verringerung der Altersarmut?

 

In der Beurteilung der Erfolgsaussichten der Reform seitens dieser Unternehmen, die schon eine bAV anbieten, sind die Meinungen geteilt. Immerhin 41 Prozent sehen eine Chance, dass die Reform ihr Ziel – die weitere Verbreitung der bAV im Mittelstand – zumindest teilweise erreicht, davon sind diese Großunternehmen sowie Mittelständler überzeugt. Kritischer ist ihr Statement zum Problem der Altersarmut: Sie werde durch das Reformpaket nicht (63 Prozent) oder allenfalls teilweise (33 Prozent) verringert.

 

Auch diese Antworten aus der Gruppe der Unternehmen, die bereits eine bAV anbieten, erstaunen nicht“, erläutert Schwinger. „Sie sind nicht im Fokus des Reformpakets, das dem Grunde nach bestehende bAV-Systeme unberührt lassen will. Einige Teilprobleme werden allerdings auch für diese Gruppe durch die Beitragszusagen mit Zielrentensystematik gelöst – dieser Weg steht jedoch nur offen, wenn es die Tarifparteien zulassen, denen damit in diesem Zusammenhang hohe Verantwortung für die weitere Verbreitung der bAV zukommt.“

 

 

Betriebliche Lösungen vor Tarifparteien!

 

Zwei Drittel der befragten Unternehmen sind tarifgebunden – und dennoch setzt diese Teilgruppe bemerkenswerterweise überwiegend (74 Prozent) auf eine bAV auf betrieblicher Basis. „In der bAV haben betriebliche Lösungen Tradition – denn sie ermöglichen es den Unternehmen, Pensionspläne zu entwickeln, die treffsicher auf die Bedürfnisse der jeweiligen Unternehmen und Mitarbeiter eingehen können“, bewertet Schwinger das Ergebnis. Sein Kollege Karst ergänzt: „Insofern erscheint die geplante Öffnungsklausel, die es Tarifparteien ermöglicht, bAV-Regelungen auf die Unternehmensebene zu delegieren, absolut sachgerecht und unabdingbar.“

 

 

Reine Beitragszusage attraktiv, Opting out weniger

 

Gleichwohl zeigen sich manche Unternehmen, die bereits über eine bAV verfügen, gegenüber den durch das Reformpaket neu geschaffenen Möglichkeiten erstaunlich offen. Obwohl das Reformgesetz noch nicht final ist und noch im parlamentarischen Diskussionsprozess steht, will bereits nach heutigem Stand immerhin ein knappes Viertel (23 Prozent) reine Beitragszusagen ohne Garantien einführen. Die automatische Abführung von bAV-Beiträgen aus den Gehältern der Mitarbeiter (Opting out) ziehen allerdings lediglich 11 Prozent in Erwägung – obwohl 72 Prozent der Mitarbeiter in Deutschland diese Möglichkeit begrüßen, wie eine andere Umfrage, der Global Benefits Attitudes Survey von Willis Towers Watson, zeigt. „Ich bin überzeugt, dass sich weit mehr Unternehmen für die Optionssysteme entschieden, wären diese auch auf betrieblicher Ebene rechtssicher verfügbar“, sagt Karst.

 

 

Neue Möglichkeiten für Geringverdiener inhaltlich unklar?

 

Dem Ausbau der bAV für Geringverdiener stehen die Unternehmen, die bereits eine bAV anbieten, verhalten gegenüber. Obwohl Mitarbeiter mit kleinem Budget nach dem geplanten steuerlichen Fördermodell im Rahmen der bAV selbst nicht verpflichtet sind, zusätzliche Eigenbeiträge zu leisten, werde sie das nicht (47 Prozent) oder nur teilweise (49 Prozent) motivieren, für ihr Alter vorzusorgen, schätzen die Unternehmen. Drei Viertel (75 Prozent) der Unternehmen, die sich bereits in der bAV engagieren, haben auch nicht vor, künftig eine bAV für Geringverdiener anzubieten – trotz einer für Unternehmen überschaubaren Kostenbelastung bei signifikanter steuerlicher Förderung. „Diese Zurückhaltung mag darauf zurückzuführen sein, dass die befragten Unternehmen ihre bAV-Lösung für diesen Bereich ja bereits gefunden haben. Oder wurden die neuen Möglichkeiten bislang noch nicht vollständig zur Kenntnis genommen?“, fragt Karst. Er betont: „Nicht nur hier zeigt sich, dass eine umfassende Kommunikation der neuen Möglichkeiten unerlässlich ist – nur dann kann die Reform tatsächlich Wirkung entfalten.“

 

 

Positivliste könnte Klarheit schaffen

 

Karst weist darauf hin, dass durch das Reformpaket die Komplexität der bAV faktisch weiter steigt statt sinkt: „Gerade hier ließe sich – und das kostenneutral für den Bundeshaushalt – Abhilfe schaffen, indem der Gesetzgeber eine ‚Positivliste‘ zur bAV verabschiedete.“ Über die vergangenen Jahre und Jahrzehnte haben sich bekanntlich zahlreiche Arbeitgeberpflichten im Hinblick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen der bAV entwickelt. Genannt seien an dieser Stelle etwa Informations- und Aufklärungspflichten, die oft keine ganz klare Kontur aufweisen. „Wenn die Unternehmen positiv aufgezählt Klarheit über ihre arbeitsrechtlichen Pflichten aus einer bAV-Zusage hätten, würde das viel Verlässlichkeit – und damit eine viel höhere Bereitschaft, sich in der bAV zu engagieren – mit sich bringen“, betont Karst.

 

 

Verpasste Chancen

 

Unterm Strich: Viele Unternehmen, die schon eine bAV haben, planen wegen der Reform keine Veränderungen. Zwei Drittel (67 Prozent) wollen ihr bAV-Angebot so lassen, wie es ist. Immerhin ein knappes Viertel (23 Prozent) will nach der Reform die bestehende bAV kostenneutral umstrukturieren oder überarbeiten. „Sicher werden viele Unternehmen erst die finale Fassung des Gesetzes abwarten, bevor sie im Einzelnen über Veränderungen nachdenken“, schätzt Schwinger. Mit Blick auf die gewünschte weitere Verbreitung der bAV betont er: „Der Reformentwurf lässt wesentliche Entwicklungspotenziale in der bestehenden bAV brach – hier werden Chancen verpasst. Wenn jetzt allerdings die Unternehmen einsteigen, die bislang keine bAV angeboten haben, könnte zumindest ein wichtiger Teilerfolg für eine weitere Verbreitung der bAV im Mittelstand und unter Geringverdienern erreicht werden.“

 

 

Obligatorium – nein danke

 

Der gelegentlich vorgebrachten Forderung, Arbeitgeber durch ein gesetzliches Obligatorium zum Angebot einer Betriebsrente zu verpflichten (wie es auch aus der Politik zuweilen für den Fall eines Scheiterns der Reform mit leicht drohendem Unterton zu hören ist), erteilt Schwinger eine klare Absage: „Auch durch ein Obligatorium wird keines der für Unternehmen heute drängenden Probleme gelöst. Im Gegenteil – diese Forderung springt viel zu kurz.“ Schwinger weist darauf hin, dass eine große Zahl an Unternehmen ihren Mitarbeitern bereits sehr gute Pensionspläne anbieten. „Der jüngst verliehene Deutsche bAV-Preis 2017 hat gerade wieder gezeigt, wie viel Sorgfalt Unternehmen in ihre bAV stecken und wie wichtig ihnen das Engagement für die Altersversorgung ihrer Mitarbeiter ist.“ Ein Obligatorium ignorierte das Engagement gerade dieser Unternehmen. Zudem stellten sich hier eine Reihe von komplexen Detailfragen, ergänzt Karst: „Wenn ein Obligatorium bestünde – wie würde dann mit den bereits bestehenden guten bAV-Angeboten umgegangen? Diese dürften keinesfalls gefährdet werden – denn sonst wird das Ziel der Reform konterkariert.“

 

 

Die Presseschau entfällt.

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