Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Andrea Nahles zur bAV:

„Der wichtigste kapitalgedeckte Baustein.“

Sie hätte gar nicht kommen müssen. Sie ist schließlich noch ganz frisch im Amt, und außerdem sind auf vielen Veranstaltungen bei angekündigten Ministern kurzfristige Absagen „aus terminlichen Gründen“ häufiger Standard, das sich Vertretenlassen durch einen höheren Beamten durchaus üblich. Niemand hätte ihr ein Fernbleiben wirklich übel genommen. Ebenso hätte es niemanden überrascht, hätte sie sich an nichtssagenden Floskeln festgehalten. Doch es kam anders.

 

Erstens nahm Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles ihren Auftritt auf der MCC-Konferenz „Zukunftsmarkt Altersvorsorge“ am 18. Februar in Berlin persönlich wahr; und zweitens äußerte sie sich für einen Politiker, der sein Ministeramt erst vor wenigen Wochen angetreten hat, auch in Sachen bAV verhältnismäßig konkret – und wurde direkt grundsätzlich:

 

Der wichtigste kapitalgedeckte Baustein ist die betriebliche Altersversorgung. Sie ist kein Markt im eigentlichen Sinne, sondern eine Gemeinschaftsaufgabe mit Arbeitnehmern und Arbeitgebern im Fokus – älter übrigens als die gesetzliche Rentenversicherung.“ Und weiter: „Ich stimme völlig damit überein, dass kollektive bAV-Systeme grundsätzlich kostengünstiger sind als individuelle private Altersvorsorge.“

 

Bundesarbeitsministerin Nahles, MCC-Kongress Zukunftsmarkt Altersvorsorge; Berlin. Foto: Löw
Bundesarbeitsministerin Nahles, MCC-Kongress Zukunftsmarkt Altersvorsorge; Berlin. Foto: Löw

 

Die bAV also kein Markt? Sondern Gemeinschaftsaufgabe? Kollektive Systeme? Mit diesen Worten hat die Ministerin gleich bei ihrem ersten Auftritt vor dem bAV-Parkett den neuralgischsten Punkt in der ganzen Diskussion um Sein oder Nichtsein der bAV adressiert – und sicher den anwesenden Industrievertretern aus dem Herzen gesprochen. Nicht zuletzt nimmt sie damit eine Gegenposition zur Europäischen Kommission ein, die – zumindest wenn man die unautorisierten Vorabentwürfe der Pensionsfondsrichtlinie-II ernst nimmt – Einrichtungen der bAV pauschal wieder als „Financial Institutions“ zu klassifizieren plant, das heißt also mehr oder weniger mit Finanzdienstleistern aller Art, insbesondere den Versicherern, in einen Topf zu werfen und damit aufsichtsrechtlich zumindest tendenziell analog zu behandeln.

 

Nahles verwies darauf, dass immerhin runde 17 Millionen und damit gute 60 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland einen Betriebsrentenanspruch haben, betonte gleichwohl ebenfalls die allseits bekannten Defizite bei kleinen und mittleren Unternehmen. „Wir wollen erreichen, dass die bAV für alle Arbeitnehmer zur Selbstverständlichkeit wird,“ gab sich Nahles hier durchaus ambitioniert. Sie erwähnte in diesem Zusammenhang die derzeit beim Bundesfinanzministerium laufende, schon in der letzten Legislaturperiode angeschobene Studie zu der Frage, inwiefern die staatliche Förderung der Betriebsrenten optimiert werden kann. Die Ergebnisse sollen Ende des Jahres vorliegen. Darauf aufbauend werde die Bundesregierung entsprechende Vorschläge machen, kündigte die Ministerin an. Das gelte auch für die weiteren Diskussionen um die Themen Opting-out und Obligatorium. Auf Nachfrage aus dem Publikum legte sich Nahles hier aber nicht fest, hielt sich vielmehr alle Türen offen: „Es darf keinerlei Tabus geben.“

 

Im weiteren Verlauf ihrer Rede kam die SPD-Politikerin auf die beschränkten Möglichkeiten der Bundesregierung zu sprechen: „Eine bessere Verbreitung der bAV ist nicht nur Sache der Politik, sondern auch der Tarifpartner.“ Sie forderte Arbeitgeber und Gewerkschaften auf, den existierenden Erfolgsmodellen wie beispielsweise der Chemie zu folgen, und entsprechende Vereinbarungen auf den Weg zu bringen. Entwaffnend unbeschwert eröffnete Nahles dabei dem Parkett, dass sie für notwendige Änderungen des Betriebsrentengesetzes grundsätzlich offen sei – nicht zuletzt, da dieses Gesetz „wegen der Umsetzung der Mobilitätsrichtlinie ohnehin angepackt werden muss.“ Und wo sie gerade bei Europa war, so versicherte sie mit Blick auf die Pensionsfondsrichtlinie: „Wir werden gemeinsam mit unseren europäischen Partnern alles unternehmen, um eine Schwächung der bAV durch europäische Vorgaben zu verhindern.“

 

Fazit: Andrea Nahles musste sich wie die gesamte Bundesregierung für ihre jüngste „Rentenreform“ in der ersten Säule viel Kritik von Medien und Fachwelt gefallen lassen – vermutlich zu Recht. Doch aus Sicht der bAV ist der erste Eindruck durchaus vielversprechend. Auch wenn sie kein Neuling auf dem Gebiet der Alterssicherung ist: Dass sie sich erstens so früh nach ihrem Amtsantritt persönlich dem Fachpublikum stellt, zweitens sich nicht nur hinter den routinemäßigen Diskussionen über die gesetzliche Rente versteckt, sondern konkret über die bAV spricht und diese drittens offenbar nicht als Finanzdienstleistung, sondern vor allem als kollektive Sozialleistung versteht, die viertens at its best von den Tarifparteien getragen wird, fünftens unter Umständen mit Verbesserungen im BetrAVG rechnen kann und die sechstens von einer Pensionsfondsrichtlinie nicht geschädigt werden darf; all das ist durchaus bemerkenswert (besonders im Vergleich zu den zuweilen wenig fruchtbaren und leicht irritierenden Auftritten ihrer Vorgängerin, siehe hier und hier).

 

Und das kann Hoffnung machen: Darauf, dass eine betriebliche Altersversorgung, die in Deutschland in den letzten zehn Jahren legislatorisch und regulatorisch fast durchgängig mehr Einschränkungen und Belastungen denn Förderung erfahren hat, endlich neue Impulse erhalten kann. Sie hat es bitter nötig.

 

Man wird sehen.

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

© Pascal Bazzazi – LEITERbAV – Die auf LEITERbAV veröffentlichten Inhalte und Werke unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Keine Nutzung, Veränderung, Vervielfältigung oder Veröffentlichung (auch auszugsweise, auch in Pressespiegeln) außerhalb der Grenzen des Urheberrechts für eigene oder fremde Zwecke ohne vorherige schriftliche Genehmigung. Die Inhalte einschließlich der über Links gelieferten Inhalte stellen keinerlei Beratung dar, insbesondere keine Rechtsberatung, keine Steuerberatung und keine Anlageberatung. Alle Meinungsäußerungen geben ausschließlich die Meinung des verfassenden Redakteurs, freien Mitarbeiters oder externen Autors wieder.