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Im Gespräch – Marco Arteaga über das Sozialpartnermodell (II):

„Das ist schon ein wenig kurios“

Um das lang erwartete Durchstarten der Sozialpartnermodelle zu ermöglichen, ist noch viel Arbeit nötig. Doch wenn sie einmal laufen, könnte ihrer Performance enorm sein, erwartet einer ihrer Schöpfer. Heute Teil II eines Interviews mit Marco Arteaga: Über Fußballmannschaften vor dem Anpfiff, den Blick ins Ausland, kleine gallische Dörfer  und Hühner, die aufgeregt mit den Flügeln schlagen.

 


Marco Arteaga, wie wir im ersten Teil des Interviews gesehen haben, gibt es viel zu tun für BMAS und BMF, sehr viel sogar, wie ich finde. Das alles wird sich nur mit Gesetzesänderungen klarstellen lassen. Die gegenwärtigen Mehrheiten im Bundestag sind dafür aufgeschlossen? Sicher nötig wäre, aber 
dass Gewerkschaften und Arbeitgeber gemeinsam an die Politik herantreten. Darf man damit in Kürze rechnen?

 

Nun, die Koalitionsparteien stellen die Mehrheit im Bundestag. Sie haben sich im Koalitionsvertrag die Verwirklichung der Sozialpartnermodelle in dieser Legislaturperiode vorgenommen. Ich denke deshalb, dass ein Gesetzentwurf der Regierungskoalition nach seiner Verabschiedung im Kabinett auch den parlamentarischen Segen erhalten wird.

 

 

 

 

 

Da belässt der Gesetzgeber den Tarifparteien großen Gestaltungsspielraum – prompt werden dort einige verunsichert, weil nicht alles explizit im Gesetz geregelt ist.“

 

 

 

 

 


Außerdem wünschen sich viele Tarifpartner eine Konkretisierung der von ihnen im Gesetz verlangten „Beteiligung an der Durchführung und Steuerung der bAV in der Form der reinen Beitragszusage“. Was sind hier die Sorgen, und könnte das gleich von der Politik miterledigt werden?

 

Ja, das ist schon ein wenig kurios. Da hält sich der Gesetzgeber zurück und belässt den Tarifparteien einen großen Gestaltungsspielraum – und prompt werden dort einige Vertreter verunsichert, weil nicht alles explizit im Gesetz geregelt ist.

Vielleicht hilft hier aber ein Blick ins Ausland. Dort haben die Mitbestimmungsgremien – zum Beispiel die Stiftungsräte in der Schweiz, die Board of Trustees in UK, USA et cetera – in denen die Sozialpartner die überragende Rolle spielen, im Zeitablauf ständig gewichtige Fragen zu entscheiden. Dabei geht es allerdings meist nicht um die rechtliche Konstruktion oder um Kapitalanlagefragen.

 

Sondern?

Marco Arteaga, Luther.


Vielmehr muss immer wieder entschieden werden, wie das vorhandene Vermögen verwendet wird. Man hat eine „Zielrente“ oder festgelegte Verrentungsfaktoren. Und dann verändert sich die Vermögenslage – nach oben oder nach unten. In allen Fällen muss entschieden werden, ob Reserven angelegt oder ausgebaut werden oder ob Renten erhöht werden und wenn ja, für wen? Für Anwärter, für Rentner, für bestimmte Gruppen oder Kohorten? Manchmal beobachtet man, dass einige Kohorten besonders stark von einer positiven Entwicklung der Kapitalmärkte profitiert haben und andere weniger. Dann ist mitunter ein Ausgleich geboten. Das sind Verteilungsfragen. Oder wenn beispielsweise der Leistungsplan geändert werden soll. Zum Beispiel die Einführung eines Wahlrechts bei der Hinterbliebenenversorgung. All diese Fragen sind bei niemandem besser aufgehoben als bei den Sozialpartnern.


Und in Deutschland …


… verengt sich die Frage nach der Beteiligung der Tarifparteien auf die Fragen bei der erstmaligen Aufstellung des Sozialpartnermodells. Das ist aber der kleinste Teil, den sie mit zu begleiten haben. Wie bei einer Fußballmannschaft vor dem Anpfiff. Alle 22 Spieler stehen irgendwo auf dem Spielfeld. Aber dann kommt der Pfiff – und das Spiel geht los. Und das ist der entscheidende Teil, nämlich das, was im Zeitablauf passiert. Die ursprüngliche Aufstellung vor dem Anpfiff wird vergleichsweise unwichtig.


Sie werden auf dem Kongress am 21. Juni die Chefs der größten schweizerischen Pensionskasse und des zweitgrößten niederländischen Pensionsfonds zu Gast haben. Erwarten Sie hier Anregungen?


Beide Organisationen zusammen repräsentieren ein Altersversorgungsvermögen, welches fast die Hälfte der gesamten bAV in Deutschland ausmacht. Sie werden berichten, wie konstruktiv, verantwortungsvoll und gekonnt die Sozialpartner in beiden Ländern diese Aufgabe bewältigen. Der hiesige Ruf nach gesetzlicher Konkretisierung der Pflicht zur „Beteiligung an der Durchführung und Steuerung“ bei den Sozialpartnermodellen könnte sich relativieren, wenn besser verstanden wird, was in den Aufsichtsgremien eigentlich zu tun ist. Denn das werden die Sozialpartner dann ganz zwanglos und ganz von alleine tun, selbst wenn es keine weitere gesetzliche Präzisierung geben sollte.

Und wenn man dann Professor Webber von der Boston University, der ebenfalls auf unserem Kongress sprechen wird, hört und versteht, wie die Aufsichtsgremien außerdem über die Pensionsfonds in den USA Einfluss auf das Wirtschaftsgeschehen nehmen, dann könnte vollends klar werden, dass eine allzu präzise Beschreibung des Umfangs der Beteiligungspflichten im Gesetz vielleicht nicht wirklich erforderlich ist.

 

 

 

 

 

Die Vorstellung, ein oberstes Bundesgericht könnte sich in einer so klar geregelten Frage über das Gesetz stellen, ist etwas abenteuerlich.“

 

 

 

 

 

Nun, angesichts der Summen und der Zeiträume, von denen wir reden, haben die Vertreter natürlich die Sorge, dass ihnen das Bundesarbeitsgericht am Ende in ferner Zukunft bei einer Underperformance halt doch eine Haftung zuschreiben könnte. Wie kann und sollte der Gesetzgeber diesen Bedenken denn endgültige Rechnung tragen?

 

Das Gesetz ist eindeutig, und weder Arbeitgeber noch tarifschließende Verbände haften bei reinen Beitragszusagen für eine bestimmte Vermögensentwicklung. Der Gesetzgeber hat insoweit bereits ganze Arbeit geleistet. Dabei fällt mir allerdings ein, dass es auch einmal ein kleines gallisches Dorf gab, dessen Bewohner befürchteten, ihnen könnte der Himmel auf den Kopf fallen. Aber es ist nie geschehen. Spaß beiseite: Ich denke, dass die Vorstellung etwas abenteuerlich ist, ein oberstes Bundesgericht könnte sich in einer so klar geregelten Frage über das Gesetz stellen. Deshalb ist meine Empfehlung nicht gleich nervös zu werden, wenn einmal ein paar Hühner aufgeregt mit den Flügeln schlagen.

 

 

 

 

 

 

 

Gegenüber einem typischen Finanzprodukt wird in vielen Fällen die Rente aus einem Sozialpartnermodell allein wegen der geringeren Kosten oftmals das Doppelte betragen.“

 

 

 

 

 

Gleichwohl: Wenn so viele Schwierigkeiten den SPM im Wege stehen, muß man da nicht die Frage stellen, ob das überhaupt der richtige Weg ist?

 

Abgesehen davon, dass man sich immer fragen sollte, ob man auf dem richtigen Weg ist, gibt es tatsächlich zugunsten der SPM sehr schwerwiegende Gründe. Denn eine von den Tarifparteien aufgestellte und in ihren Inhalten von ihnen vorgegebene Versorgungskasse wird im Gegensatz zu den angebotenen kommerziellen Finanzprodukten drastisch niedrigere Kosten vorweisen. Das ist die gleiche Überlegung, die auch den Vorschlägen für die „Deutschlandrente“ oder die „Extrarente“ zugrunde liegt. Gegenüber einem typischen Finanzprodukt wird in vielen Fällen die Rente aus einem Sozialpartnermodell allein wegen der geringeren Kosten oftmals das Doppelte betragen. Hinzu kommen die erwarteten höheren Kapitalerträge.

Und wir sollten bei den Sozialpartnermodellen nicht nur an die tariflich geregelten Bereiche mit nicht selten relativ hohen Löhnen denken. Denken Sie an jene Hälfte der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die vorrangig in kleinen und mittleren Unternehmen beschäftigt sind und bisher keinerlei Aussicht auf eine zusätzliche Altersvorsorge haben. Sie werden diese aber nur bekommen, wenn ihre Arbeitgeber, die KMU, eine kostensichere, verwaltungsarme Altersversorgung bereitstellen können. Das wird nur mit den SPM gelingen.

Unsere Nachbarn in den Niederlanden und der Schweiz machen uns das vor. Die niederländischen Pensionsfonds verwalten ein Vermögen, das mehr als das Doppelte der gesamten deutschen bAV umfasst. Und das bei einer Bevölkerung von weniger als einem Fünftel der deutschen. In der Schweiz beträgt das unter dem BVG seit 1985 gebildete Vermögen mehr als eine Billion Schweizer Franken. Mehr als das 1,5-fache des deutschen bAV-Vermögens ingesamt – Pensionsrückstellungen mitgerechnet. Dabei umfasst die schweizerische Bevölkerung noch nicht einmal ein Zehntel der deutschen.

Es ist daher allerhöchste Zeit, dass wir im Interesse der Vielen, die immer noch keine ergänzende Vorsorge besitzen, endlich das stärkste Modell auch hierzulande verwirklichen, welches zur Verfügung steht.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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