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Kölner Impressionen im Stakkato:

Bestinformierte Versorgungs-berechtigte der Geschichte

Die bAV-Reform wird auch – vermutlich sogar zuvorderst – zahlreiche Rechtsfragen aufwerfen. Die Fachdiskussionen dazu laufen bereits auf Hochtouren. LEITERbAV hat bei einem Szenetreff zugehört.

 

Vergangenen Donnerstag in Köln, unweit der gotischen Kathedrale. Zum ersten Mal finden die „Kölner Tage Betriebsrente“ statt, veranstaltet vom Otto-Schmidt-Verlag. Auf dem Podium viel bAV-affine Juristenkompetenz. Angesichts der schieren Menge der Informationen dokumentiert LEITERbAV im Stakkato nur manche der prägnantesten Aussagen von einigen der Vorträge und Diskussionen:

 

 

Nicolas Roessler, Partner bei Mayer Brown: Gutes bewahren, Neues wagen

 

Nicolas Roessler, Mayer Brown.

+++ Mit der reinen Beitragszusage wird eine „neue bAV“ geschaffen, deren rechtliche Grundlagen mit der bekannten „alten bAV“ nur wenig gemein haben +++ Alte und neue bAV sollten kombiniert werden; Gutes bewahren, Neues wagen +++ Ablösung bestehender Systeme durch rBZ ist arbeitsrechtlich anspruchsvoll; Feststellung eines Eingriffs in bestehende Besitzstände ist aufgrund potentiell schwankender Leistungen aus der rBZ mit tradierten Methoden nicht möglich +++ Musik spielt im rechtlichen Dreiecksverhältnis zwischen Arbeitgeber, Versorgungsberechtigtem und durchführender Einrichtung v.a. im Verhältnis zwischen Versorgungsberechtigtem und Einrichtung +++ Planmäßig zuzurechnendes Versorgungskapital nimmt auch nach Ausscheiden des Arbeitnehmers an den Kapitalerträgen der Einrichtung teil, das sichert die Umsetzung des aus der Mobilitätsrichtlinie bekannten Gedankens der Gleichbehandlung von Aktiven und Ausgeschiedenen +++ Dass die Versorgung nach Ausscheiden mit Eigenbeiträgen weitergeführt werden kann, wird zu Diversifikation der Versichertenkollektive führen, die die Kalkulierbarkeit erschwert +++ Aufgrund umfangreicher Auskunftsrechte und Informationspflichten gem. BRSG wird Deutschland die am besten informierten Versorgungsberechtigten der Geschichte sehen. Gleichzeitig wird enormer administrativer Aufwand für die Erfüllung der Informationspflichten erzeugt +++

 

 

Marco Arteaga, Partner bei DLA Piper: garantiert für ewig

 

Marco Arteaga, DLA Piper.

+++ Nach Verabschiedung geht es an die praktische Implementierung, konkrete Verhandlungen zumeist wohl erst im Rahmen der jeweiligen Tarifverhandlungen. Trotzdem sind alle Tarifparteien gut beraten, sich frühzeitig Gedanken über mögliche tarifvertragliche Regelungen ihrer bAV zu machen +++ Von Anfang an den oder die möglichen Dienstleister bzw. Versorgungsträger mit einzubeziehen, ist essentiell +++ Ein bAV-Tarifvertrag schafft wirtschaftlich ein Dreiecksverhältnis, auch wenn er rechtlich nur zwischen Tarifvertragsparteien abgeschlossen wird +++ Identifikation der richtigen Versorgungslösung und Auswahl des richtigen Versorgungsträgers sollte in mehreren Phasen erfolgen: zunächst intensiver Informations- und Wissensaustausch, dann Ausschreibung, anschließend Verhandlungsprozess +++ Vertragspartner sollte auf unbefristete Zeit für die Tarifvertragsparteien zur Verfügung zu stehen (Ewigkeitsgarantie) +++ Einzelne Dienstleistungskomponenten (Verwaltung, Asset Management, Risikotragung) sollten abspaltbar sein. Vertrags- und Vermögensbestand muss bei Leistungsmängeln auf andere Anbieter übertragen werden können +++ Große Chance für Tarifvertragsparteien, durch das kollektive Vorgehen für ihre Mitglieder Versorgungen zu schaffen, die es so bisher nicht gab +++

 

 

Tobias Neufeld, Partner bei Allen & Overy: rBZ bei Share Deal, Asset Deal und Umwandlungen

 

Tobias Neufeld, Allen Overy.

+++ rBZ verlangt besondere Lösungen bei Share Deal, Asset Deal und Umwandlungen (Rentnergesellschaften) +++ Grund für Transaktionsbesonderheiten: Tarifexklusivität, Sicherungsbeitrag, Durchführung über gemeinsame Einrichtung +++ ad Share Deal: gemeinsame Einrichtung im Konzern muss reorganisiert werden, wenn Unternehmen aus dem Konzernverbund herausgekauft werden +++ ad Asset Deal: Fortgeltung des Tarifvertrags zur rBZ nach Transaktion steht im Fokus (kollektive Fortgeltung, Paragraf 613a Abs. 1 S. 2, 3 BGB, Bezugnahmeklauseln) – Zugang von nicht-tarifgebunden Arbeitgebern und Arbeitnehmern zur tariflichen Versorgungseinrichtung unklar (Paragraf 21 Abs. 3 BetrAVG) – Schicksal Bezugnahmeklausel, wenn durch Betriebsübergang der Branchenbezug verloren geht: Verstoß Bezugnahmeklausel nachträglich gegen Paragraf 24 BetrAVG? „Unklar!“ – „Mitgliedschaftsverhältnis in gemeinsamer Einrichtung und tariflicher Geltungsbereich müssen synchron laufen“: Problem, wenn Tarifvertrag kollektivrechtlich fortgilt, aber Rechtsverhältnis mit gemeinsamer Einrichtung nicht fortgelten kann, weil diese Konzernbezug voraussetzt – Wenn rBZ-Tarifvertrag nach dem Betriebsübergang endet: Bis zum Betriebsübergang erworbene Anwartschaften werden weiterhin über gemeinsame Einrichtung abgewickelt. Für Future Service andere Regelung zur „Durchführung“ bei „gleichwertigen Leistungen“ erforderlich. Unklar was „gleichwertige Leistung“ ist? Durchführungsweg? Zusageform? Problem: Übertragbarkeit von Anwartschaften auf andere Versorgungseinrichtung nicht möglich (§ 22 Abs. 4 BetrAVG) +++

 

 

Annekatrin Veit, Counsel bei DLA Piper: Der Hebel aus Arbeitgeberbeitrag und Förderbetrag

 

Annekatrin Veit, DLA Piper.

+++ Verbesserungen bei Riester gerade für Geringverdiener von überragender Bedeutung. Anbieter müssen deshalb Riester-Option auch im Rahmen der bAV schaffen, auch im Rahmen der Sozialpartnermodelle +++ Kombination von Arbeitgeberbeitrag mit Inanspruchnahme des Förderbetrages und Entgeltumwandlung im Optionssystem drängt sich auf. Durch die insgesamt entstehende Förderung große Hebelwirkung +++ Ausdehnung des Förderrahmens nach Paragraf 3 Nr. 63 EStG und Entfall der Unterscheidung von Alt- und Neuzusagen ist großer Schritt nach vorn +++ Erfreulich die größere Flexibilität bei steuerfreiem Dotierungsrahmen für Abfindungen sowie bei Nachzahlungsmöglichkeiten im Falle gebrochener Erwerbsbiographien +++ Staatliche Unterstützung für bAV-zusagende Arbeitgeber durch neuen Förderbeitrag nach Paragraf 100 EStG schafft große Chance für Verbreitung der bAV bei Geringverdienern +++ Möglichkeit der steuerfreien Übertragung von Deckungsmitteln zwischen Versorgungsträgern (Versicherung, Pensionskasse und Pensionsfonds) ohne steuerliche Nachteile auf der Ebene der betroffenen Arbeitnehmer sehr zu begrüßen +++

 

 

Johannes Schipp, Partner bei T/S/C Fachanwälte für Arbeitsrecht Schipp & Partner: bei Missachtung keine Konsequenzen

 

Johannes Schipp, TSC.

+++ rBZ ohne tarifvertragliche Grundlage nicht realisierbar; daher fraglich, ob sie dennoch auch eine betriebliche Lösung sein kann +++ Betriebliche Lösungen nur machbar, wenn Tarifvertragsparteien dafür eine Öffnungsklausel bereit halten; dann auch auf jeweiligen Betrieb maßgeschneiderte Lösungen vorstellbar +++ Gerade in Zielgruppe KMU zahlreiche Arbeitgeber, die Tarifbindung nicht wünschen; werden vermutlich auch keine eingehen, nur um rBZ einführen zu können. Damit droht das Ziel zu verfehlt zu werden, gerade diese für die bAV zu gewinnen +++ Nicht-tarifgebundene Unternehmen können sich über Paragraf 24 BetrAVG einschlägigem tariflichen Modell anschließen. Für kleine Unternehmen kann es an einschlägigen Tarifverträgen fehlen, so dass Zugang zum neuen Versorgungstyp versperrt bleibt +++ Da kein Kontrahierungszwang sind sog. tarifliche Außenseiter darauf angewiesen, dass Tarifvertragsparteien den Zugang zur rBZ eröffnen +++ Nicht-tarifgebundenen Unternehmen soll der Zugang zwar nicht erschwert werden, doch die kurz vor Verabschiedung im Bundestag mit Paragraf 21 Abs. 3 BetrAVG in das Gesetz gelangten Wohlverhaltensregeln ziehen bei Missachtung keine Konsequenzen nach sich; abwarten, ob und wie weit der Zugang nicht-tarifgebundener Unternehmen gewährleistet ist +++ Erfolg der rBZ wird davon abhängen, wie sich die Tarifpartner verhalten; lassen sie betriebliche Sonderwünsche zu, kann das Modell auch auf Betriebsebene erfolgreich sein. Entscheidend wird der Umgang mit tarifungebundenen Unternehmen sein. Bei einem „Closed Shop“ wird die rBZ ausgerechnet an der Zielgruppe der KMU vorbei schießen +++

 

Die Kölner Tage Betriebsrente.

 

Soweit zu den stichwortartigen Auszügen aus einigen der Vorträge. Außerdem dokumentiert LbAV im Folgenden einige der prägnanten, im Zuge der Podiumsdiskussionen geäußerten Aussagen:

 

 

Karsten Tacke, stellvertretender Hauptgeschäftsführer Gesamtmetall: keine Angst

 

Karsten Tacke, Geschäftsführer Gesamtmetall.

+++ Möchte Befürchtungen zerstreuen; denn warum sollte eine Tarifvertragspartei Interesse haben, ein Versorgungswerk abzuschotten, wenn es auf Skaleneffekte angewiesen ist? Mehrheit der Kunden der Metallrente kommt die aus nicht-tarifgebundenem Sektor +++ Sozialpartnermodell kann große Chance sein, wenn beide Seiten damit richtig umgehen; aktuelle Aufstellung der IG Metall zur Arbeitszeit passt allerdings nicht in dieses Bild +++

 

 

Michael Mostert, Tarifjurist bei der IG BCE: Nicht generell ausschließen, aber beteiligen

 

Michael Mostert, IG BCE.

+++ Wenn der Gesetzgeber sich entschließt, in der bAV Wege zu eröffnen, die es bis dato nicht gab, muss man das erstmal als Chance begreifen. Inwieweit die Chemie auf die neuen Möglichkeiten angewiesen ist, werden wir prüfen müssen +++ Schlössen wir nicht-tarifgebundene Arbeitgeber generell aus, schlössen wir damit auch einen Teil unserer Gewerkschaftsmitglieder von vornherein von der rBZ aus. Wir sollten aber ebenfalls prüfen, ob und gegebenenfalls wie nicht-tarifgebundene Unternehmen an den Kosten beteiligt werden können +++

 

 

Christian Röhle Leiter Pensionskassenmanagement der Pensionskasse der Mitarbeiter der Hoechst-Gruppe VVaG: Transparente Kommunikation ist alles

 

Christian Roehle,
Hoechster Pensionskasse.

+++ BRSG bedeutet deutliche Verbesserungen der Rahmenbedingungen für die deutsche bAV +++ Zu begrüßen v.a. Erweiterung des Paragrafen 3 Nr. 63 EStG, Entfall der Doppelverbeitragung in der Riester-bAV und der bAV-Freibetrag für die Grundsicherung +++ Fokus der Reform liegt aber auf der rBZ, die als neue, weitere Zusageart künftig neben den bestehenden Zusagearten steht +++ Für Erfolg der rBZ wird die Schaffung transparenter, nachvollziehbarer und kosteneffizienter Systeme essentiell sein +++ Abwarten, inwieweit von neuen Modellen überzeugt werden kann und Gebrauch gemacht werden wird; hier werden insbesondere klare und transparente Kommunikationskonzepte entscheidend sein +++

 

 

Marco Herrmann, Prokurist und Leiter Strategie, Recht und Kommunikation des BVV: Wir sind dabei

 

Marco Herrmann, BVV.

+++ BRSG ist vernünftiger Kompromiss +++ Mit besseren Rahmenbedingungen in der bAV – Geringverdienerförderung, reduzierte Anrechnung auf Grundsicherung, Ende der Doppelverbeitragung bei bAV-Riester et cetera – erhalten nun auch Geringverdiener Anreize zum Aufbau zusätzlicher Alterssicherung +++ Tarifpartner sind aufgefordert, Verbreitung der bAV in der Fläche voran zu bringen. Dies ist in der privaten Bankenbranche bereits heute gut organisiert und im Branchenvergleich sehr hoch; bereits heute haben wir mit unseren kollektiven Ansätzen sehr hohen Durchdringungsgrad erreicht +++ Wortlaut des BRSG entspricht den sozialpartnerschaftlich organisierten Einrichtungen wie dem BVV; diese dienten dem Gesetzgeber offensichtlich als Blaupause auch für die tariflich organisierte Altersversorgung +++ Gesetz tritt 2018 in Kraft, und wir werden zu diesem Zeitpunkt die rBZ als Produktlösung, die auf die Bedürfnisse unserer Kunden abgestimmt ist, zur Verfügung stellen; werden sowohl sicherheits- und wie ertragsorientierte Varianten bereitstellen +++

 

 

Klaus Bepler, Vorsitzender Richter am BAG a.D., u.a. im Dritten Senat: Insolvenzsicherung der besonderen Art

 

+++ Keine Bundesregierung könnte es sich leisten, ein sich realisierendes Risiko erheblicher Einbußen bei der Versorgung durch die rBZ und den damit einhergehenden Reputationsschaden der Tarifparteien hinzunehmen. Ich bin sicher, dass ein solcher Fall zu sofortigem Einspringen der Bundesrepublik Deutschland führen würde – eine Insolvenzsicherung der besonderen Art +++

 

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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