Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Angenommen mit den Stimmen der Koalition:

Bahn frei im Bundestag (III)

Erwartungsgemäß ist das BRSG in der Fassung des Ausschusses gestern vom Bundestag beschlossen worden. Erste Reaktionen gibt es bereits, darunter auch schon recht handfeste.

 

Gestern in Berlin: Die große Koalition hat noch einmal gemeinsame Flagge gezeigt und das zweite große Rentenpaket – das BRSG, die Rentenangleichung Ost-West bis zum Jahr 2025 und weitere Verbesserungen bei den Erwerbsminderungsrenten – beschlossen. Der Bundesrat, der heute und vor der Sommerpause noch mal am 7. Juli tagt, muss dem BRSG noch zustimmen.

 

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Anja Karliczek lobte in der Schlussdebatte um das BRSG die konstruktiven Vorschläge von Bündnis 90/Die Grünen, die deren Sprecher Markus Kurth noch einmal vorgetragen hatte. Sie bedauerte aber zugleich unter dem Gelächter des Hauses, dass die Grünen ja mit der Union nicht hätten koalieren wollen. Letztlich stimmte dann nur die Koalition für das BRSG, wobei im Protokoll lediglich die Mehrheit für das Gesetz festgehalten wird. Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke stimmten wie bereits am Mittwoch im Ausschuss für Arbeit und Soziales gegen das Gesetz. Wie die Grünen sich im Bundesrat verhalten werden, ist zur Stunde noch unklar.

 

 

Nahles glaubt an Verantwortungsbewusstsein der Tarifpartner

 

Andrea Nahles, Foto: BMAS/Werner Schuering.

Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) hob in der Debatte hervor, dass es der Koalition gelungen sei, mit der Rentenangleichung, den Erwerbsminderungsrenten und dem BRSG weitere wichtige Bausteine in der Altersvorsorge zu verabschieden. Mit Blick auf das BRSG sagte sie: „Ich vertraue auf die Arbeit der Sozialpartner.“ Sie sei überzeugt, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber das Angebot des Tarifpartnermodells aufgreifen würden. Sprecher der Koalitionsfraktionen hoben hervor, dass die Arbeitgeber (zeitlich gestaffelt) im Rahmen der bAV (nicht nur im Sozialpartnermodell) 15 Prozent der eingesparten Sozialbeiträge in die bAV ihrer Arbeitnehmer zugeben müssten. Zudem blieben die Arbeitgeber im BRSG Sozialpartnermodell aufgefordert, einen Pufferbeitrag zur Abfederung von Kapitalmarktschwankungen zu leisten.

 

Markus Kurth, MdB Buendnis 90/Die Gruenen.

Entscheidend bleibt letztlich, ob die Tarifpartner sich auf ein Modell verständigen, dass auch für nicht-tarifgebundene Unternehmen leicht zugänglich ist. Der Ausschuss hatte in seinen Änderungsanträgen noch sichergestellt wollen wissen, dass Tarifpartner nicht überhöhte Eintrittsgelder für eine Teilhabe am Betriebsrentenmodell nehmen dürfen. Grünen-Sprecher Kurth warf der Koalition vor, einseitig die Tarifbindung stärken zu wollen. Problematisch sei, dass durch die einseitige Risikoverlagerung auf den Arbeitnehmer in der Auszahlungsphase die Betriebsrente auch sinken könne. Dies können nur dann toleriert werden, wenn das gesetzliche Rentenniveau nicht weiter absinke.

 

 

Linke lehnt Lotto-Rente kategorisch ab

 

Matthias Birkwald, MdB Die Linke.

Wir brauchen eine lebensstandardsichernde gesetzliche Rente“, sagte der rentenpolitische Sprecher der Linksfraktion Matthias W. Birkwald. Auch wäre es richtig gewesen, wenn die Bundesregierung den Menschen den Weg geöffnet hätte, mit zusätzlichen Beiträgen in die kostengünstig und renditestark arbeitende gesetzliche Rentenversicherung zusätzlich Beiträge leisten zu dürfen. Wer aber im Rahmen der bAV in die Falle der Entgeltumwandlung gehe, der kürze nur seine Rente selber. Und mit dem Garantieverbot könne sich der Arbeitgeber mit seinen Beitragsleistungen auf den Status einer reinen Zahlstelle zurückziehen. „Die Arbeitgeber stehlen sich aus jeder Verantwortung“, so Birkwald wörtlich. Echte Betriebsrente sehe anders aus, sagte der Linkenpolitiker, der erneut von einer Hoffnungs-Rente, Lotto-Rente oder auch Poker-Rente sprach, da das Endergebnis ungewiss sei.

 

 

Das Rentenwerk – neuer Player aus alten Bekannten

 

Sage keiner, Märkte und Parkett reagieren nicht schnell. Noch während der Bundestag gestern tagte, kündigten fünf Versicherer an, mit Blick auf die Reform der bAV ein Konsortium namens „Das Rentenwerk“ gründen zu wollen.

 

Bei den fünf Lebensversicherern handelt es sich um Barmenia, Debeka, Gothaer, HUK-Coburg und Die Stuttgarter. Das Konsortium will eine flexible Betriebsrente anbieten, die Arbeitgeber und Gewerkschaften (hier drängt sich dem Beobachter als erstes der Gedanke an die ver.di auf) an ihre Bedürfnisse anpassen können sollen. Das Bundeskartellamt muss dem Vorhaben allerdings noch zustimmen. Die erforderliche Fusionskontrollanmeldung haben die beteiligten Unternehmen am vergangenen Dienstag dort eingereicht.

 

Bisher hätten wenige Unternehmen den Markt für Rentenlösungen der Sozialpartner dominiert. „Durch die Reform entsteht mehr Bewegung – und das wird den Beschäftigten zugutekommen“, so Uwe Laue, Vorstandsvorsitzender der Debeka, dem größten der beteiligten Unternehmen. Die angestrebte Zusammenarbeit bedeute, dass die Tarifparteien auf ein neues, solides Produkt zählen könnten, so Laue weiter.

 

Die an dem geplanten „Rentenwerk“ beteiligten Unternehmen legten in einer Mitteilung Wert auf die Feststellung, dass sie oder ihre Obergesellschaften Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit sind und somit vor allem ihren Kunden verpflichtet seien, nicht externen Aktionären oder dem Votum des Kapitalmarkts.

 

Dem Plan zufolge werden dem Konsortium konkret drei VVaG und zwei Aktiengesellschaften angehören, die sich jedoch zu 100 Prozent im Eigentum von VVaG befinden Es handelt sich bei den Partnern konkret also um:

 

  • Barmenia Lebensversicherung a.G.

  • Debeka Lebensversicherungsverein a.G.

  • Stuttgarter Lebensversicherung a.G.

  • Gothaer Lebensversicherung AG

  • HUK-Coburg Lebensversicherung AG.

 

Man darf jedenfalls gespannt sein. Nicht weniger als „Werte wie Solidarität und Fairness sollen das Angebot kennzeichnen“, wie es in der Mitteilung ambitioniert heisst. Ziel sei ein transparentes und kostengünstiges Produkt, um auch im Umfeld niedriger Zinsen attraktive Renditen zu ermöglichen.

 

Bereits heute verwalten die Konzerne der beteiligten Versicherer über eine Million Verträge in der bAV. Zusammen verfügen sie über Kapitalanlagen von 190 Milliarden Euro und zählen fast 26 Millionen Kunden (Dopplungen möglich). Auch über eine interessante Dialektik scheinen sie zu verfügen, verweisen sie doch darauf, das sie „in Summe auf über 615 Jahre Erfahrung zurückblicken“.

 

 

Aon Hewitt: Es gibt viel zu tun

 

Fred Marchlewski, Aon Hewitt.

Die ersten Reaktionen von Fachleuten auf den Durchmarsch der Reform in den parlamentarischen Gremien sind tendentiell positiv, namentlich von den drei großen Consultants. „Die bAV wird insgesamt deutlich attraktiver, die Komplexität nimmt aber ebenfalls zu,” kommentierte Aon Hewitt-Geschäftsführer Fred Marchlewski. Attraktiver werde die Betriebsrente für die Arbeitnehmer durch zahlreiche Fördermaßnahmen sowie für Unternehmen und Arbeitnehmer vor allem durch die Einführung der Zielrente.

 

Ausdrücklich begrüßt der Consultant die rechtssichere Möglichkeit, Opt-Out-Modelle einzuführen. „Die Erfahrungen mit bereits bestehenden Systemen in Deutschland und im Ausland zeigen klar, dass durch solche Modelle der Verbreitungsgrad der bAV massiv erhöht wird,” so der Berater weiter.

 

Kehrseite: Das Thema bAV werde komplizierter. Die Unternehmen müssten sich der Herausforderung stellen, wie sich die neuen Möglichkeiten des Betriebsrentenstärkungsgesetzes mit den bestehenden Altersversorgungssystemen sinnvoll kombinieren und ergänzen lassen, insbesondere mit Blick auf die erweiterten steuerlichen Fördermodelle. Überprüfungs- und ggf. Anpassungsbedarf komme auf die Unternehmen auch bei der Entgeltumwandlung zu. Eine große Zahl von Verträgen müsse hier im Rahmen der Übergangsfrist bis 2022 überprüft werden, bemerkt Marchlewski.

 

Georg Thurnes, Aon Hewitt.

Aon Hewitt rechnet im Übrigen nicht damit, dass es vor Herbst 2018 gelingen werde, entsprechende Tarifverträge in Kraft zu setzen. „In den Verhandlungen wird es auch darum gehen, bestehende Systeme bei Zielrentenvereinbarungen angemessen zu berücksichtigen“, bemerkt Georg Thurnes, Chefaktuar von Aon Hewitt. Er begrüßt, dass der Gesetzgeber hierzu ausreichende Möglichkeiten geschaffen habe. Das stärke das Vertrauen in das Gesamtsystem Betriebsrente.

 

 

WTW: Schwerpunkte verschieben sich.

 

Reiner Schwinger. Willis Towers Watson.

Positiv auch das erste Fazit von Reiner Schwinger, Managing Director Willis Towers Watson, zum dem heute verabschiedeten Gesetz: „Endlich herrscht Klarheit für Unternehmen, Mitarbeiter und Anbieter von bAV-Dienstleistungen, denn die bisher bekannten wesentlichen Eckpfeiler der Betriebsrentenreform bleiben. Interessant sind aber die Ergänzungen, die auch die Schwerpunkte der Reform leicht verschieben.“

 

Mit der Pflicht zum „Arbeitgeber-Matching“ bei Entgeltumwandlung auch für Altverträge ab 2022 unterstreiche der Gesetzgeber, dass ein wesentlicher Fokus der Reform auf Entgeltumwandlungssystemen liegen soll. „Mit den geplanten Neuregelungen besteht jetzt nicht nur das Potenzial, die bisherigen weißen Flecken der deutschen bAV-Landkarte zu schließen, sondern auch die bereits bestehenden Versorgungslandschaften der bAV nachhaltig zu beeinflussen“, so Schwinger weiter.

 

 

Mercer: Hoffen auf die Praxis

 

Stefan Oecking, Mercer.

Das Sozialpartnermodell könnte für die nächsten Generationen die Altersversorgung erheblich verbessern, erklärte Stefan Oecking in einer ersten Reaktion. „Dazu bedarf es der Bereitschaft der Tarifpartner, die neuen Möglichkeiten rasch und umfassend zu nutzen und dabei auch die nicht-tarifgebunden Unternehmen nicht ohne sachlichen Grund auszugrenzen“, so der Partner bei Mercer. Ausdrücklich begrüßte Oecking die weitergehende Öffnung für nicht tarifgebundene Arbeitgeber, die letztlich dem Zweck diene, die Verbreitung der bAV deutlich zu bessern. Analoges gelte für die Erhöhung der Förder-Gehaltsgrenze von 2.000 Euro auf 2.200 Euro pro Monat. Allerdings sieht Oecking auch Schatten: „Die erweiterte Weitergabe individuell eingesparter Sozialbeiträge erhöht zwar auf dem Papier die Attraktivität der Entgeltumwandlung, entzieht den Betriebspartnern letztlich aber eine Verfügungsmasse. Dies kann insofern nicht zufriedenstellen.“

 

Also „konsequent“ bezeichnete Oecking, dass das Garantieverbot unangetastet bleibt und auch die zuletzt ins Spiel gebrachten Wahlmöglichkeiten für Garantieleistungen im Alter nicht umgesetzt worden sind, denn „nur durch den Verzicht auf Garantien wird den durchführenden Einrichtungen ermöglicht, eine attraktive Kapitalanlagestrategie umzusetzen, die die Chance auf angemessene Renditen, unter anderem durch höhere Anteile am Produktivkapital, bietet. Und nur durch das Verbot von Garantien lässt sich die Konstruktion einer reinen Beitragszusage ohne Haftung des Arbeitgebers konsequent und widerspruchsfrei umsetzen.“ Letztlich sei hier den Sorgen der Arbeitgeber Rechnung getragen worden, faktisch oder moralisch in Nachhaftung genommen zu werden, sollte eine durchführende Einrichtung zugesicherte Garantien am Ende doch nicht erfüllen können.

 

Mit Blick auf das ausgeweitete Fördermodell äußerte der Aktuar die Hoffnung, dass es in einigen Jahren allgemein geübte Praxis sein werde, Niedrigverdienern auf diese Art und Weise eine verbesserte Versorgung oberhalb der Grundsicherung zu sichern. Davon würden überproportional Teilzeitkräfte profitieren, und das sei angesichts der vielen Alleinerziehenden zu begrüßen, ebenso wie die verbesserten Möglichkeiten, Opt-out-Modelle einzurichten.

 

Offene Baustellen blieben, so Oecking, und zählte beispielhaft auf: „Gehaltsgrenzen müssen von vorneherein dynamisch gestaltet werden, um die Modelle nicht sukzessive zu entwerten; eine Freigabe für rein betriebliche Lösungen könnte dem Sozialpartnermodell den entscheidenden Durchbruch deutlich erleichtern; und die nachteilige und nicht sachgerechte steuerliche Behandlung der im Unternehmen finanzierte Direktzusage, immerhin die beliebteste Form der bAV, wurde von der Politik schon vor einiger Zeit von der Agenda genommen.“

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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