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Das Sozialpartnermodell im Bundesrat:

Am Herzstück der Reform (II)

Nach seinen Ausschüssen hat sich nun der Bundesrat höchstselbst mit dem Gesetzesentwurf zum Sozialpartnermodell befasst. Anwälte, Aktuare und Consultants sind mäßig begeistert.

 

Wie berichtet hatten drei Ausschüsse des Bundesrates – federführend derjenige für Arbeit, Integration und Sozialpolitik, weiter der Finanzausschuss sowie der Wirtschaftsausschuss – ihrer Kammer Empfehlungen bezüglich des Sozialpartnermodells gegeben. Diesen ist der Bundesrat in seiner Stellungnahme zu dem Entwurf des BRSG nur teilweise gefolgt.

 

 

Verzögerungen unwahrscheinlich

 

Michael Karst, Willis Towers Watson.

Zunächst einmal kann man aus der Milde der Stellungnahme des Bundesrates ableiten, dass das Gesetz in der zweiten Kammer kaum eine Verzögerung erfahren dürfte. „Der Bundesrat hat trotz der deutlichen Kritik seiner Ausschüsse das Konzept letztlich im Wesentlichen durchgewinkt“, bewertet Michael Karst, Leiter Recht im Bereich Pensions bei Willis Towers Watson, die Stellungnahme. Karst rechnet mit einer Annahme des Gesetzes mit Wirkung zum 1. Januar 2018 und mit nur wenigen Änderungen – zum Beispiel der Anhebung der steuerlichen Fördergrenzbeträge von monatlich 2.000 auf 2.500 Euro im neuen bAV-Förderbetrag.

 

Schlussendlich sind von den Ausschussempfehlungen praktisch nur drei wirklich wichtige übrig geblieben. Schwerwiegendster Punkt (und von LEITERbAV als „Herzstück der Reform“ bezeichnet): Die Direktversicherung soll Voll- oder Teilgarantien geben können.

 

Außerdem soll die Bundesregierung prüfen, ob die Sozialversicherungsbeiträge auf Betriebsrenten auch außerhalb von Riester gesenkt werden können. Das gleiche gilt schließlich für die Frage, ob eine deutlichere Anhebung und eine Dynamisierung der Riester-Zulagen erfolgen kann.

 

 

Die Fesseln von Solvency II

 

Stefan Oecking, Mercer.

Stefan Oecking hat damit gerechnet, dass der Bundesrat die Forderung nach Aufhebung des Garantieverbots bei Direktversicherungen von seinen Ausschüssen übernimmt. „Dies war zu erwarten, nachdem nicht nur sein Wirtschaftsausschuss, sondern nach den Versicherern überraschenderweise über die BDA sogar die Arbeitgeberseite diese Forderung unterstützt hatte“, so der Partner bei Mercer gegenüber LEITERbAV.

 

Da auch die Gewerkschaften offenkundig ihre Schwierigkeiten mit dem Garantieausschluss haben, betont Oecking ausdrücklich: „Garantien in der bAV werden nicht verboten. Die klassische Direktversicherung mit den wohlbekannten Garantien ist weiterhin einer der fünf Durchführungswege der bAV und steht allen Betriebs- und Tarifpartnern als Lösungsweg offen.“

 

Nicht ganz nachvollziehbar erscheint Oecking dabei die Position der Assekuranz: „Sieht man sich vor dem Hintergrund von Niedrigzins und Solvency II die aktuelle Tariflandschaft an, fällt schnell auf, dass Zinsgarantien sich auch bei den angebotenen Tarifen deutscher Lebensversicherer keiner allzu hohen Beliebtheit mehr erfreuen.“

 

Michael Hoppstädter, Longial.

Die Übernahme der Empfehlung, dass Direktversicherungen nach Wahl der Tarifparteien Voll- oder Teilgarantien gewähren dürfen sollen, wirft für Michael Hoppstädter, Chef der Longial, unmittelbar die Frage auf, inwiefern sich die Direktversicherung von der deregulierten (Wettbewerbs-)Pensionskasse unterscheidet und warum diese also dann nicht auch die Möglichkeit der Garantiezusage erhalten solle. Hoppstädter lenkt den Blick auf die Begründung in der Stellungnahme:

 

Ein vollständiges Garantieverbot ist bei Direktversicherungen nicht erforderlich“.

 

Nicht erforderlich? Hoppstädter widerspricht: „Wenn die Versicherer beziehungsweise deren Kunden wenigstens hier von den Solvency-II-Fesseln befreit werden sollen, dann ist das Garantieverbot vielleicht doch erforderlich“. Außerdem ließen sich die „echten“ Versicherungsleistungen wie Invalidität und Tod über Rückdeckungsversicherungen, in die die sozialpartnerschaftliche EbAV investieren dürften, auch indirekt abdecken. Oecking ergänzt: „Das Argument, die Absicherung gegen vorzeitige Risiken würde durch ein Garantieverbot erschwert, ist nur schwer nachzuvollziehen. Natürlich darf die durchführende Einrichtung auch bei einem Garantieverbot für wünschenswerte Risikoabsicherungen eine Leistung der Höhe nach definieren. Sie würde aber keine langjährigen Garantien mehr darüber aussprechen, welcher Anteil der Beiträge höchstens für diese Leistungen verwendet wird.“ Damit entfielen die hohen Sicherheitszuschläge, die bei mehrjährigen Garantien erforderlich seien, und die Beiträge könnten von vornherein deutlich niedriger angesetzt werden. Der sinnvolle Schutz vor Spitzenbelastungen könnte durch Risikobegrenzungen zum Beispiel über Rückversicherungen erzielt werden, ohne den Wirkungsgrad der neuen Systeme nennenswert zu beeinträchtigen, so Oecking weiter.

 

 

Redaktionell unklar – und ein Widerspruch in sich

 

Auch Rechtsanwalt Peter Doetsch übt Kritik, nicht zuletzt an der Redaktion der Stellungnahme. So hält er den dort formulierten Satz 2 des geplanten neuen Paragrafen 244b Abs. 1 VAG

 

Direktversicherungen können abweichend von Nummer 1 nach Wahl der Tarifparteien Voll- oder Teilgarantien gewähren“

 

für zunächst komplett unklar in seiner Wirkung: „Was wird hier mit 'Direktversicherung' bezeichnet, wenn zuvor im Gesetzesentwurf Beitragszusagen stets durch 'Pensionsfonds, Pensionskassen und andere Unternehmen der Lebensversicherung' angesprochen werden? Soll dies nur eine aufsichtsrechtlich falsch bezeichnete Ausnahme für Lebensversicherer sein? Schließlich ist der Begriff der Direktversicherung ein rein arbeitsrechtlicher.“

 

Peter Doetsch.

Und auch Doetsch fragt grundsätzlich, warum die Direktversicherung gegenüber Pensionskassen (die ansonsten nahezu identischen Anforderungen unterliegen) und auch Pensionsfonds bevorzugt werden soll. Für ihn wirkt die Integration von Garantien in reine Beitragszusagen wie „ein Widerspruch in sich“. Doetsch antizipiert hier eine gefährliche Problematik: „Was passiert, wenn diese Garantie von dem eine reine Beitragszusage durchführenden Versicherer eines Tages doch nicht erfüllt werden kann beziehungsweise wenn er von seinem Recht zur Leistungsanpassung Gebrauch macht? Müssen der Arbeitgeber oder die Tarifvertragsparteien dann für die Erfüllung einstehen?

 

Diese Gefahr, die Doetsch hier sieht, kann man in der Tat angesichts der langen Zeiträume in der bAV und der stets wandlungsfähigen Rechtsprechung gar nicht deutlich genug betonen: Ein Arbeitgeber, der – sollte dies möglich werden – heute eine reine Beitragszusage erteilt und diese von einer garantiegebenden Einrichtung durchführen lässt, könnte sich auf gefährliches Glatteis begeben. Schließlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass die garantiegebende Einrichtung in einigen Jahrzehnten ihrer Garantie nicht mehr nachkommen kann. Und kann man dann sicher sein, dass Arbeitsrichter – die vielleicht heute noch gar nicht geboren sind – diese Garantie dann nicht dem zusagenden Arbeitgeber zuweisen?

 

 

Geboten trotz Kassenlage

 

Die Belastung von Betriebsrenten mit vollen GKV-Beiträgen ist bekanntlich eines der wichtigsten Hemmnisse in der Frage der Verbreitung der bAV. Hoffnung, dass sich hier noch etwas ändert, gibt es kaum. So prognostiziert Hoppstädter: „Der Wunsch nach Befreiung aller bAV-Leistungen von Krankenversicherungsbeiträgen ist aus Sicht der Verbraucher richtig, in Anbetracht der Kassenlage der Kranken- und Pflegeversicherer ist die Umsetzung aber sehr unwahrscheinlich. Oecking begrüßt den Vorstoß der Kammer gleichwohl, „obwohl die Gesundheitspolitiker nicht bereit sind, die Beitragsausfälle durch geringere Beiträge hinzunehmen“. Denn in der Sache wäre eine Minderung der Rentnerbelastung mehr als geboten, um unter anderem die Attraktivität der bAV gerade für jüngere Arbeitnehmer zu erhöhen. Dies verbesserte auch die Effizienz der reinen Beitragszusage aus Sicht der Arbeitnehmer deutlich und unterstützte damit die Bemühungen vieler Akteure, dieser neuen Form der bAV zum sozialpolitisch wünschenswerten Erfolg zu verhelfen.

 

 

Und was nicht?

 

Im Umkehrschluss ist mit Blick auf die Stellungnahme schließlich erwähnenswert, inwiefern die zweite Kammer den Ausschussempfehlungen nicht gefolgt ist:

 

Die Forderung nach Ausweitung der verpflichtenden Weitergabe der SV-Ersparnis auf die Entgeltumwandlung über die reine Beitragszusage hinaus hat der Bundesrat nicht übernommen. Karst begrüßt dies gegenüber LEITERbAV ausdrücklich, „weil damit ein gesetzgeberischer Eingriff in bestehende Systeme und entsprechende Rechtsunsicherheit zur Entgeltumwandlung an diesem sensiblen Punkt vermieden werden.“ Auch fordert der Bundesrat nicht zu prüfen, wie eine angemessene Sicherung der Ansprüche aus einer kapitalgedeckten bAV in zukunftsfesten Betriebsrentenmodellen mit einer gesetzlichen Regelung aufrechterhalten werden kann.

 

Weiter regt die Kammer die Erweiterung der reinen Beitragszusage auf betriebsratslose Betriebe ebenso wenig an wie die Ausdehnung der Möglichkeiten des Opting-out auf per Betriebsvereinbarung gestaltete Systeme an, bekräftigt in diesem Punkt also die TarifexklusivitätMit Blick auf die Verbreitung der bAV wäre eine andere Entscheidung des Bundesrates hilfreich gewesen“ bedauert Karst, „hier hat die Kammer eine Chance verpasst.“

 

Der Bundesrat verlangt anders als seine Ausschüsse auch keine Anpassung des steuerlichen Rechnungszinses nach Paragraf 6a EStG. „Zunächst war ich überrascht, dass der Wirtschaftsausschuss hier überhaupt eine Prüfung empfohlen hat“, erklärt Oecking, „wenig überraschend ist dagegen, dass der Bundesrat diese Empfehlung nicht übernommen hat“. Hier gehe es schließlich nicht zuletzt um die kurzfristigen Steuereinnahmen der Länder. „Da nehmen es viele Bundesländer mit Rücksicht auf die eigene Finanzlage gerne in Kauf, dass der größte Durchführungsweg mit den umfangreichsten bAV-Anwartschaften und -Renten weiter massiv benachteiligt wird“, so Oecking weiter. Auch Karst kritisiert, dass die Besteuerung von Scheingewinnen somit weitergehen dürfte. Auf Abhilfe durch die Politik setzt er dabei nicht: „Vermutlich muss hier das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber den Weg zu einer sachgerechten Lösung weisen.“

 

Fazit von Karst: „Der Bundesrat geht selbst bei den Punkten, die er aufgegriffen haben will, deutlich hinter die Ansätze seiner Ausschüsse zurück. Damit unterbleiben weiterhin wichtige Änderungen zur Verbesserung des bisherigen bAV-Systems, die für die Verbreitung eine entscheidende Rolle spielen. So wird die Stärkung der Betriebsrenten unvollständig bleiben“.

 

Die Stellungnahme des Bundesrates findet sich hier.

 

Am 9. oder 10. März soll die erste Lesung im Bundestag erfolgen, am 27. März die öffentliche Anhörung, Ende März oder Anfang April zweite und dritte Lesung im Bundestag. Am 2. Juni könnte das Gesetz dann den zweiten Durchgang durch den Bundesrat nehmen, Inkrafttreten dann wie geplant zum 1. Januar 2018.

 

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