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REP, PBS, LTI und mehr – IORP-II-RL ante portas

80 Artikel: Von Krisenpotential und weiteren Angriffsflächen

 

Aller Voraussicht nach wird die Europäische Kommission am kommenden Donnerstag nun den Vorschlag der neuen Pensionsfondsrichtlinie vorlegen. Leiter-bAV.de gibt einen Überblick über die Inhalte, die bereits im Vorfeld im Mittelpunkt stehen.

 

Michel Barnier, Europäische Kommission Copyright Maleki Group, Jochen Müller
Michel Barnier, Europäische Kommission
Copyright Maleki Group, Jochen Müller

Am kommenden Mittwoch hält die Europäische Kommission in Brüssel ihre große Pensionskonferenz ab, und für den Donnerstag hat Binnenmarkt-Kommissar Michel Barnier zur Pressekonferenz eingeladen. Im Rahmen dessen will das zuständige Referat H 5 „Versicherungen und Renten“ in der Generaldirektion Binnenmarkt dann den Vorschlag für die IORP-RL-II vorlegen – zusammen mit einem Vorschlag für eine neue Shareholder Rights Directive und ein Papier zum Long Term Investing, die ebenfalls Wirkung auf die bAV haben werden.

 

 

80 Artikel – Richtlinie oder Gesetzgebung?

 

Die auf dem Parkett kursierenden unautorisierten Vorabentwürfe der neuen Pensionsfondsrichtlinie fallen zunächst durch ihre Detailverliebtheit auf, die sie streckenweise eher an ein konkretes nationales Regelwerk erinnern lässt denn an eine europäische Richtlinie mit dem Charakter der Rahmengesetzgebung. Der jüngste Vorabentwurf bringt es auf sage und schreibe 80 Artikel. Von der Würze der Kürze der bestehen Pensionsfondsrichtlinie mit ihren gerade mal 24 Artikeln kann man sich jedenfalls schon mal getrost verabschieden. Wie dem auch sei, aus deutscher Sicht stechen vor allem – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – folgende Punkte ins Auge, die fast alle geeignet sind, der betrieblichen Altersversorgung und damit der demographiefesten Vorsorge der Menschen in Europa eher zu schaden denn zu nutzen. Im einzelnen:

 

 

Nicht mehr Herr im eigenen Haus?

 

Echtes Krisenpotential für die Arbeitgeber und ihre Einrichtungen beinhaltet der neue Artikel 25 des Vorabentwurfes, in dem es um Risikomanagement, Auditing und Aktuariat und die damit befassten Personen geht. In Artikel 25 Nr. 3 heißt es dazu:

 

„The person or organisational unit carrying out the function shall be different from the one carrying out a similar function in the sponsoriong undertaking.“

 

Je nach Auslegung und Umsetzung kann das im Klartext heißen: Wer in einem Trägerunternehmen als Leiter der bAV mit Risikomanagement, Auditing oder Aktuariat befasst ist, darf als Funktionsträger in der hauseigenen EbAV für diese Themen gerade nicht mehr verantwortlich zeichnen. Das gängige und logische Modell in der deutschen Industrie, Leiter bAV im Träger zu sein und damit konsequenterweise auch Vorstand im unternehmenseigenen Pensionsfonds – das könnte damit unter Umständen der Vergangenheit angehören.

 

 

Risk Evaluation for Pensions REP

 

Ein zentrales Element der zweiten Säule von Solvency II ist das Own Risk and Solvency Assessment ORSA. In etwas abgeschwächter Form sieht der IORP-II-Vorabentwurf in seinem Artikel 29 eine ähnliche Pflicht für Einrichtungen der bAV vor – genannt Risk Evaluation for Pensions. Dabei macht auch dieser Artikel für eine europäische Richtlinie verhältnismäßig detaillierte Vorgaben, besonders bezüglich der vom EbAV-eigenen REP abzudeckenden Bereiche. Der folgende Artikel 30 ermächtigt die Kommission, hierzu die technischen Einzelheiten festzulegen.

 

Auf dem deutschen Parkett herrscht schon länger die Sorge vor, dass mit einem ORSA-artigen Element in der kommenden IORP-II-RL quantitative Elemente von Solvency II via holistischem Ansatz faktisch durch die Hintertür eingeführt werden könnten. Selbst Felix Hufeld, Chef der deutschen Versicherungsaufsicht, hat auf Leiter-bAV.de davor gewarnt – wie er gleichwohl ein ORSA auch für EbAV für geboten hält. Später hat er dann gegenüber Leiter-bAV.de einen weiteren Kommentar zu der Frage abgelehnt.

 

 

Pension Benefit Statement PBS

 

Der Vorabentwurf sieht in zwanzig Artikeln (38 bis 58) umfassende und verhältnismäßig detaillierte Informationspflichten für EbAV vor. Dazu gehört, den Berechtigten alle zwölf Monate ein kostenloses Pension Benefit Statement zur Verfügung zu stellen, das unter anderem über Garantien, Guthaben, Performance, Beiträge, Rentenprojektion, Investmentprofil und Kosten aufklärt. Hinzu treten Informationspflichten in den verschiedenen Phasen der Versorgung – vor Eintritt in das Versorgungswerk, während der Ansparphase und während der Rentenphase. Zu beachten ist hier die Wechselwirkung mit der derzeit im Trilog zwischen Europaparlament, Europäischem Rat und Kommission verhandelten PRIPS-Verordnung. Bekanntlich hatte sich das EP im Widerspruch zu den Vorstellungen der Kommission dafür ausgesprochen, auch die bAV der PRIPS-Verordnung zu unterwerfen, die ohne weitere Umsetzung unmittelbar nationales Recht werden wird.

 

Auf die Problematik angesprochen, hatte die Kommission gegenüber Leiter-bAV.de schon im Herbst 2013 geäußert:

 

„Die Transparenz gegenüber den Berechtigten wird eine der wichtigsten Verbesserungen in unserem Vorschlag zur neuen Pensionsfondsrichtlinie sein.“

 

Klar scheint damit, dass eines der beiden Regelwerke neue Pflichten auch für EbAV bringen wird. Völlig unverständlich ist dagegen, warum sich maßgebliche Kreise des Parlamentes derzeit vehement im Trilog dafür einsetzen, EbAV unmissverständlich in den Anwendungsbereich der PRIPS-Verordnung einzubeziehen, droht damit doch eine überflüssige und schädliche Doppelregulierung.

 

 

EbAV immer noch Finanzdienstleister?

 

Klaus Wiedner, Chef des Referats H 5, Europäische Kommission
Klaus Wiedner, Chef des Referats H 5, Europäische Kommission

Wie schon in der bestehenden Richtlinie werden – beispielsweise in Erwägungsgrund 20 des aktuellen IOPR-II-Vorabentwurfs – EbAV erneut als „Anbieter von Finanzdienstleistungen“ interpretiert („IORPs are Financial Service Providers…“).

 

Man mag einwenden, die unternehmenseigene EbAV-Welt sei auch bisher nicht davon untergegangen, dass EbAV in der Pensionsfondsrichtlinie als Finanzdienstleister bezeichnet worden sind. Das heißt jedoch erstens nicht, dass man diesen Kardinalfehler in der neuen Richtlinie wiederholen muss, anstatt ihn nun zu korrigieren, wenn die Gelegenheit dazu besteht. Und zweites gilt es die Folgen zu beachten, die dieser Punkt im Zusammenwirken mit anderen derzeit aktuellen Regulierungsvorhaben langfristig entwickeln kann.

 

 

Das Level Playing Field eingezäunt

 

Auf die ewige Sorge der Versicherer, dass diese bei Geltung von Solvency II in ihrem bAV-Geschäft gegenüber EbAV benachteiligt würden, könnte die Kommission mit einer Überarbeitung des Artikels 4 „Fakultative Anwendung“ („Optional Application“) der Pensionsfondsrichtlinie reagieren: Dieser besagt bis dato, dass „ein Herkunftsmitgliedstaat die Bestimmungen der Artikel 9 bis 16 und der Artikel 18 bis 20 der Pensionsfondsrichtlinie auf das bAV-Geschäft von unter die Richtlinie 2002/83/EG fallenden Versicherungsunternehmen anwenden kann.“ In diesem Fall wird für die diesen Geschäften entsprechenden Verbindlichkeiten und Vermögenswerte ein separater Abrechnungsverband eingerichtet, und sie werden ohne die Möglichkeit einer Übertragung getrennt von den anderen Geschäften der Versicherungsunternehmen verwaltet und organisiert („ring-fenced“). Versicherer können also bei entsprechender nationaler Regelung gemäß diesem Artikel 4 ihr bAV-Geschäft aus den Anforderungen der für Versicherer geltenden Aufsichtsvorschriften lösen und gemäß denen der EbAV-Richtlinie betreiben. In dem Vorabentwurf hat die Kommission die Verweise auf die betreffenden Artikel jedenfalls entsprechend angepasst.

 

 

Long Term Investment

 

Die Kommission hat bereits vor einiger Zeit ihre Vorliebe für langfristiges Investieren von EbAV entdeckt. Nun heißt es in Artikel 20 Nr. 6c des Richtlinienvorabentwurfs:

„Member States shall not prevent institutions from investing in instruments that have a long-term economic profile and are not traded on regulated markets, multilateral trading facilities or organised trading facilities.“

 

Nicht umsonst wird die Kommission nach dem 27. März parallel zur IORP-II-RL einen Vorschlag für eine neue Shareholder Rights Directive und ein Papier zum Long Term Investing vorlegen. Die Shareholder Rights Directive – die übrigens künftig wohl besser Shareholder Duties Directive heißen sollte – könnte beispielsweise die Pflicht auch für EbAV vorsehen, zu reporten, inwiefern ihre Investments ihre Liabilities matchen, vor allem natürlich bezüglich der Duration. Zu einem ähnlichen oder ergänzenden Ergebnis könnte beizeiten die Entwicklung rund um den Themenkomplex Long Term Investing führen. Auch hier scheint der Kommission eine Art Berichtspflicht auch für EbAV vorzuschweben, im Rahmen derer eine Einrichtung rechtfertigen muss, warum sie nicht-langfristige Investments tätigt.

 

Es sei hier in diesem Zusammenhang nochmal wiederholt: Die Kommission sollte sich vergegenwärtigen, dass EbAV sich in Fragen des langfristigen Investments in einer Zwickmühle befinden, die die Kommission mit zu verantworten hat: Einerseits macht der Niedrigzins nicht zuletzt für EbAV und VAG-Anleger ständig neue Asset-Klassen zunehmend interessanter, seien es Infrastruktur, PE, Cat-Bonds et cetera. Andererseits (und hier kommt die Kommission ins Spiel) birgt jedes langfristige Investment – das damit auch ex definitione ein nicht ohne weiteres liquidierbares Investment ist – angesichts der anhaltenden Vorliebe von Kommission und EIOPA für ein zu Solvency II analoges Eigenkapitalregime ein gewisses Lock-in-Risiko für jede EbAV: Nämlich eines schönen Tages für ein heute getätigtes Langfristinvestment nicht nur mit hässlicher Marktwertbilanzierung, sondern auch mit neuen Eigenmittelanforderungen konfrontiert zu werden.

 

 

Brüssel, Triumphbogen
Brüssel, Triumphbogen

 

 

Vorläufiges Fazit: Angriffsfläche auch ohne Eigenmittelanforderungen satt und genug

 

Über Jahre stand im Fokus der Diskussion um die neue Pensionsfondsrichtlinie ausschließlich die Frage, inwieweit EbAV im Rahmen der Richtlinie analog zu Solvency II mit quantitativen Eigenmittelanforderungen konfrontiert sein werden (Säule I). Nachdem die Kommission hiervon im Mai 2013 zunächst Abstand genommen hatte (während übrigens die Arbeiten am Holistic Balance Sheet durch EIOPA unverdrossen weitergehen), glaubte man auf dem Parkett, die betriebliche Altersversorgung, so wie man sie seit guten hundert Jahren kennt, zumindest vorläufig vor dem regulatorischen Todesstoß bewahrt zu haben. Doch zeigt sich nun, dass es auch in Säule II und III Angriffsfläche genug gibt, die bAV und ihre Einrichtungen ihrer Einzigartigkeit zu berauben, das heißt den Arbeitgeber als eigenständigen und engagierten Akteur aus der bAV herauszudrängen.

 

Dass Unternehmen, die auch in Zeiten der Globalisierung noch Engagement in der Altersversorgung ihrer Mitarbeiter zeigen, sich dafür beispielsweise als Finanzdienstleister behandeln lassen müssen, mit entsprechenden Berichtspflichten konfrontiert werden oder möglicherweise nicht mehr in den Gremien ihrer eigenen Pensionsfonds vertreten sein dürfen, kann in einem Umfeld, in denen die Belastungen aus der bAV – seien sie finanzieller oder regulatorischer Natur – zunehmend sensibler wahrgenommen werden, nicht lange gut gehen. Das sollte zu Ende gedacht äußerst weitreichende Folgen haben – für die Altersvorsorge der Menschen in Europa ebenso wie für die unternehmerische Dynamik. Nicht nur, dass das brutal alternde Europa fahrlässig die einzig wirklich funktionierende, einigermaßen krisenfreie Säule der Altersversorgung, die es noch hat, aufs Spiel setzt (sei es aus bloßer Achtlosigkeit oder infolge einer Strategie, die zweite Säule der Assekuranz zuzuschieben). Denn hinzu tritt: Wenn die Politik eines Tages merkt, dass durch ihre Regulierungswut die Arbeitgeber das Interesse an der betrieblichen Vorsorge verlieren, ihr also der dritte und leistungsfähigste Akteur abhanden kommt, dann wird sie darauf möglicherweise mit erst sanftem (Opting-out), dann stärkerem Zwang (Obligatorium) reagieren. Doch spätestens dann ist die fatale Wechselwirkung mit der gesamten Leistungsfähigkeit der europäischen Wirtschaft perfekt.

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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